Der Sarg glänzt golden im Sonnenlicht, als er am Friedhof eintrifft. In ihm liegt der Mann, dessen Namen etliche Amerikaner in den vergangenen zwei Wochen bei den Massenprotesten gegen Rassismus und Polizeigewalt gerufen haben. George Floyds Tod hat die USA im Mark erschüttert wie kaum ein Todesfall der vergangenen Jahrzehnte. In Houston in Texas wuchs der Afroamerikaner auf, dort nahmen nun Tausende von ihm Abschied. Eine weiße Kutsche bringt seinen Leichnam zum Grab seiner Mutter in der Nachbarstadt Pearland. Neben ihr wird er beigesetzt.
Große Bilder auf der Bühne der Kirche "The Fountain of Praise" in Houston zeigen Floyd mit angedeuteten Engelsflügeln und Heiligenschein. Auch auf zahlreichen Corona-Schutzmasken und Anstecknadeln prangt das Konterfei des "sanften Riesen" von fast zwei Metern. Viele sind ganz in Weiß gekleidet, andere in Schwarz. Unter ihnen Angehörige von Opfern von Polizeigewalt. Einige tragen Corona-Schutzmasken, auf denen "I Can't Breathe" steht – Ich kann nicht atmen, die letzten Worte George Floyds, längst auch eine Zustandsbeschreibung der systematisch benachteiligten amerikanischen Minderheiten.
Die Stimmung ist feierlich und kämpferisch, ganz im Geiste der "Black Lives Matter"-Bewegung. Ein Höhepunkt ist die kurze Ansprache von George Floyds Nichte Brooke Williams:
Und weiter: "Jemand hat gesagt: "Make America Great Again". Aber wann war Amerika jemals großartig?" – eine Anspielung auf Präsident Donald Trumps zentralen Wahlkampfslogan 2016. Applaus brandet auf in der Kirche.
Auch Bürgerrechtler Al Sharpton kritisierte Trump in einer flammenden Rede: "Der Präsident spricht davon, das Militär einzusetzen, aber er spricht nicht ein Wort über acht Minuten und 46 Sekunden" – die Zeit, die ein weißer Polizist sein Knie auf den Nacken Floyds gedrückt hatte. Trump hatte den Tod des Afroamerikaners zwar mehrfach öffentlich verurteilt und auch der Familie sein Beileid ausgedrückt. Das spielte in der aufgewühlten Stimmung am Dienstag jedoch keine Rolle.
"Er hat China wegen der Menschenrechte angegriffen. Was ist mit dem Menschenrecht von George Floyd?", ruft Sharpton. Trump denke eher daran, wie er die Proteste statt der Polizeigewalt beenden könne, so Sharpton weiter. "Sie benutzen Gummigeschosse und Tränengas, um friedliche Proteste zu beenden." Dem Präsidenten wird vorgeworfen, sich nicht klar gegen Rassismus zu positionieren und nicht genug Verständnis für den Zorn über Ungerechtigkeit im Land zu zeigen.
Joe Biden, der designierte Präsidentschaftskandidat der Demokraten, wendet sich in einer vorbereiteten, mit Klaviermusik unterlegten und deutlich ruhigeren Videobotschaft an die Trauernden. Vor allem aber an Floyds sechsjährige Tochter Gianna.
Biden ruft zur Überwindung des Rassismus auf, zu dem auch Floyds Tod beitragen werde. "Wir können die Wunden dieser Nation heilen."
Biden war am Tag zuvor nach Houston gereist und traf die Familie Floyds. "Ich denke, was hier passiert ist, ist einer dieser großen Wendepunkte in der amerikanischen Geschichte, was bürgerliche Freiheiten, Bürgerrechte und die gerechte Behandlung von Menschen mit Würde betrifft", sagte er später dem TV-Sender CBS. Der 77-Jährige würde gerne der politische Anführer dieser Bewegung werden, der Heiler einer gespaltenen Nation. In der Gruppe der Afroamerikaner sieht er seinen stärksten Rückhalt für die Wahl im November.
Präsident Donald Trump versucht dagegen, sich den Amerikanern als "Präsident für Recht und Ordnung" zu präsentieren. Das waren seine Worte am Montag vergangener Woche, als seine Regierung gewaltsam Demonstranten von einem Platz vor dem Weißen Haus vertreiben ließ. Die landesweite Debatte über Polizeigewalt und Rassismus versucht er für seine Zwecke zu nutzen und wirft den "radikalen linken Demokraten" vor, diese wollten den Sicherheitsbehörden die Finanzen entziehen und die Polizei "abschaffen".
Tatsächlich finden Forderungen nach einem "Defunding" der Polizei und einer Umwidmung der Gelder für soziale Projekte zunehmend Widerhall bei den landesweiten Protesten. Unter anderem die großen Polizeien in Los Angeles und New York können sich nach Ankündigung der örtlichen Bürgermeister auf Einschnitte einstellen. Doch weder Biden noch die Demokraten im Kongress wollen der Polizei die Mittel entziehen oder diese sogar auflösen. Sie verlangen Reformen gegen Polizeigewalt.
Diese Gewalt trifft überproportional häufig Schwarze, wie aus Zahlen der "Washington Post" hervorgeht. Das ist nicht der einzige Beleg dafür, dass die USA systematischen Rassismus noch lange nicht überwunden haben. Schwarze werden Studien zufolge häufiger von der Polizei kontrolliert und werden bei gleichen Straftaten zu höheren Haftstrafen als Weiße verurteilt. Schwarze stellen mehr als ein Drittel aller Häftlinge in US-Gefängnissen, obwohl sie nur 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Auch auf dem Arbeitsmarkt und beim Einkommen sind sie benachteiligt.
Die Wut über diese Verhältnisse bricht sich nun auf der Straße Bahn. Immer mehr Kritiker werfen Trump vor, das Land inmitten der Proteste zu spalten – darunter auch Trumps Ex-Verteidigungsminister James Mattis und sein früherer Stabschef John Kelly. Auch viele Bürger folgen dem Kurs des Staatsoberhauptes nach neuen Umfragen nicht. Seine Zustimmung sinkt, das Verständnis für friedliche Proteste ist demnach hoch.
Trump dürfte es am liebsten sein, wenn die Demonstrationen nach Floyds Beisetzung schnell wieder abebben und der Druck auf ihn wieder nachlässt. Die Demokraten wollen genau das verhindern – sie hoffen für ihre Reformen und strukturellen Änderungen auf die Unterstützung von der Straße.
Am Donnerstag will der Präsident selbst nach Texas reisen – aber nicht, um Floyds Familie persönlich seine Anteilnahme auszudrücken. In Dallas will er ein Essen veranstalten, um Spenden für seine Wiederwahl im November einzusammeln. Laut "Dallas Morning News" kostet die Teilnahme pro Paar mehr als 500.000 Euro. Trump äußerte sich am Dienstag nicht zur Beerdigung. Unterdessen machte er Schlagzeilen mit einer Verschwörungstheorie, dass ein 75-Jähriger, der von der Polizei bei einer Demonstration geschubst und verletzt wurde, ein linker Provokateur sein könnte.
(lin/dpa)