Der Leichnahm von George Floyd wird in einer Kutsche durch die Straßen gezogen. Bild: ZUMA Wire / Bob Daemmrich
International
Im Tod wurde George Floyd zum jüngsten Symbol des Rassismus in den USA. Nun nahmen Hunderte Menschen vom Afroamerikaner Abschied. Die tiefe Wunde im Land aber bleibt. Ein politischer Kampf ist auch darum entbrannt, wer sie heilen kann.
10.06.2020, 06:3610.06.2020, 07:01
Der Sarg glänzt golden im Sonnenlicht, als er am
Friedhof eintrifft. In ihm liegt der Mann, dessen Namen etliche
Amerikaner in den vergangenen zwei Wochen bei den Massenprotesten
gegen Rassismus und Polizeigewalt gerufen haben. George Floyds Tod
hat die USA im Mark erschüttert wie kaum ein Todesfall der
vergangenen Jahrzehnte. In Houston in Texas wuchs der Afroamerikaner
auf, dort nahmen nun Tausende von ihm Abschied. Eine weiße Kutsche
bringt seinen Leichnam zum Grab seiner Mutter in der Nachbarstadt
Pearland. Neben ihr wird er beigesetzt.
Große Bilder auf der Bühne der Kirche "The Fountain of Praise" in
Houston zeigen Floyd mit angedeuteten Engelsflügeln und
Heiligenschein. Auch auf zahlreichen Corona-Schutzmasken und
Anstecknadeln prangt das Konterfei des "sanften Riesen" von fast
zwei Metern. Viele sind ganz in Weiß gekleidet, andere in Schwarz.
Unter ihnen Angehörige von Opfern von Polizeigewalt. Einige tragen
Corona-Schutzmasken, auf denen "I Can't Breathe" steht – Ich kann
nicht atmen, die letzten Worte George Floyds, längst auch eine
Zustandsbeschreibung der systematisch benachteiligten amerikanischen
Minderheiten.
Nichte Floyds mit Anspielung auf Trump
Die Stimmung ist feierlich und kämpferisch, ganz im Geiste der "Black
Lives Matter"-Bewegung. Ein Höhepunkt ist die kurze Ansprache von
George Floyds Nichte Brooke Williams:
"Keine Hassverbrechen mehr, bitte."
Floyds Nichte Brooke Williams
Und weiter: "Jemand hat gesagt: "Make
America Great Again". Aber wann war Amerika jemals großartig?" – eine
Anspielung auf Präsident Donald Trumps zentralen Wahlkampfslogan
2016. Applaus brandet auf in der Kirche.
Auch Bürgerrechtler Al Sharpton kritisierte Trump in einer flammenden
Rede: "Der Präsident spricht davon, das Militär einzusetzen, aber er
spricht nicht ein Wort über acht Minuten und 46 Sekunden" – die Zeit,
die ein weißer Polizist sein Knie auf den Nacken Floyds gedrückt
hatte. Trump hatte den Tod des Afroamerikaners zwar mehrfach
öffentlich verurteilt und auch der Familie sein Beileid ausgedrückt.
Das spielte in der aufgewühlten Stimmung am Dienstag jedoch keine
Rolle.
"Er hat China wegen der Menschenrechte angegriffen. Was ist mit dem
Menschenrecht von George Floyd?", ruft Sharpton. Trump denke eher
daran, wie er die Proteste statt der Polizeigewalt beenden könne, so
Sharpton weiter. "Sie benutzen Gummigeschosse und Tränengas, um
friedliche Proteste zu beenden." Dem Präsidenten wird vorgeworfen,
sich nicht klar gegen Rassismus zu positionieren und nicht genug
Verständnis für den Zorn über Ungerechtigkeit im Land zu zeigen.
Joe Biden spricht zu den Angehörigen Floyds
Joe Biden, der designierte Präsidentschaftskandidat der Demokraten,
wendet sich in einer vorbereiteten, mit Klaviermusik unterlegten und
deutlich ruhigeren Videobotschaft an die Trauernden. Vor allem aber
an Floyds sechsjährige Tochter Gianna.
"Du bist so mutig, dein Papa schaut runter und er ist so stolz auf dich. Ich weiß, dass du diese dicke Umarmung vermisst, die nur er geben konnte."
Biden ruft zur
Überwindung des Rassismus auf, zu dem auch Floyds Tod beitragen
werde. "Wir können die Wunden dieser Nation heilen."
Biden war am Tag zuvor nach Houston gereist und traf die Familie
Floyds. "Ich denke, was hier passiert ist, ist einer dieser großen
Wendepunkte in der amerikanischen Geschichte, was bürgerliche
Freiheiten, Bürgerrechte und die gerechte Behandlung von Menschen mit
Würde betrifft", sagte er später dem TV-Sender CBS. Der 77-Jährige
würde gerne der politische Anführer dieser Bewegung werden, der
Heiler einer gespaltenen Nation. In der Gruppe der Afroamerikaner
sieht er seinen stärksten Rückhalt für die Wahl im November.
Trump schlägt andere Töne an als Biden
Präsident Donald Trump versucht dagegen, sich den Amerikanern als
"Präsident für Recht und Ordnung" zu präsentieren. Das waren seine
Worte am Montag vergangener Woche, als seine Regierung gewaltsam
Demonstranten von einem Platz vor dem Weißen Haus vertreiben ließ.
Die landesweite Debatte über Polizeigewalt und Rassismus versucht er
für seine Zwecke zu nutzen und wirft den "radikalen linken
Demokraten" vor, diese wollten den Sicherheitsbehörden die Finanzen
entziehen und die Polizei "abschaffen".
Der Sarg mit seinem Leichnahm wurde mit einer Pferdekutsche durch die Stadt gezogen. Bild: ZUMA Wire / Bulent Selcuk
Tatsächlich finden Forderungen nach einem "Defunding" der Polizei und
einer Umwidmung der Gelder für soziale Projekte zunehmend Widerhall
bei den landesweiten Protesten. Unter anderem die großen Polizeien in
Los Angeles und New York können sich nach Ankündigung der örtlichen
Bürgermeister auf Einschnitte einstellen. Doch weder Biden noch die
Demokraten im Kongress wollen der Polizei die Mittel entziehen oder
diese sogar auflösen. Sie verlangen Reformen gegen Polizeigewalt.
Diese Gewalt trifft überproportional häufig Schwarze, wie aus Zahlen
der "Washington Post" hervorgeht. Das ist nicht der einzige Beleg
dafür, dass die USA systematischen Rassismus noch lange nicht
überwunden haben. Schwarze werden Studien zufolge häufiger von der
Polizei kontrolliert und werden bei gleichen Straftaten zu höheren
Haftstrafen als Weiße verurteilt. Schwarze stellen mehr als ein
Drittel aller Häftlinge in US-Gefängnissen, obwohl sie nur 13 Prozent
der Bevölkerung ausmachen. Auch auf dem Arbeitsmarkt und beim
Einkommen sind sie benachteiligt.
Trump spalte das Land
Die Wut über diese Verhältnisse bricht sich nun auf der Straße Bahn.
Immer mehr Kritiker werfen Trump vor, das Land inmitten der Proteste
zu spalten – darunter auch Trumps Ex-Verteidigungsminister James
Mattis und sein früherer Stabschef John Kelly. Auch viele Bürger
folgen dem Kurs des Staatsoberhauptes nach neuen Umfragen nicht.
Seine Zustimmung sinkt, das Verständnis für friedliche Proteste ist
demnach hoch.
Trump dürfte es am liebsten sein, wenn die Demonstrationen nach
Floyds Beisetzung schnell wieder abebben und der Druck auf ihn wieder
nachlässt. Die Demokraten wollen genau das verhindern – sie hoffen
für ihre Reformen und strukturellen Änderungen auf die Unterstützung
von der Straße.
Am Donnerstag will der Präsident selbst nach Texas reisen – aber
nicht, um Floyds Familie persönlich seine Anteilnahme auszudrücken.
In Dallas will er ein Essen veranstalten, um Spenden für seine
Wiederwahl im November einzusammeln. Laut "Dallas Morning News"
kostet die Teilnahme pro Paar mehr als 500.000 Euro. Trump äußerte
sich am Dienstag nicht zur Beerdigung. Unterdessen machte er
Schlagzeilen mit einer Verschwörungstheorie, dass ein 75-Jähriger,
der von der Polizei bei einer Demonstration geschubst und verletzt
wurde, ein linker Provokateur sein könnte.
(lin/dpa)
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