Das Gezerre um den Brexit, es hört nicht auf. Drei Monate sind es nur noch bis zum geplanten EU-Austritt der Briten. Eigentlich. Doch die Chancen, dass Wackel-Premier Theresa May das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen durchs Parlament bringt – sie sind gering.
Denn für die Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals ist das ein Alptraum. Seit zweieinhalb Jahren herrscht Ungewissheit darüber, wo es hingeht. Trotz höflich-positiver Reaktionen auf Mays Austrittsvertrag lässt auch der bislang vereinbarte Deal Unternehmen nicht wirklich aufatmen - die Unsicherheit würde nur verlängert.
Eine versehentlich an die Presse gelangte E-Mail des größten britischen Unternehmerverbands CBI offenbarte kürzlich das Unbehagen. "Das ist kein guter Deal", schrieb Brexit-Expertin Nicole Sykes an einen Kollegen. Der Schwebezustand macht größere Investitionen unmöglich. Die noch immer nicht gebannte Gefahr eines Brexits ohne Abkommen zwingt viele in der Produktion und im Handel dazu, Vorräte anzulegen und Notfallpläne zu erstellen.
Das kostet Geld und bindet Kapazitäten.
Im Oktober gaben 80 Prozent der britischen Unternehmen in einer großen CBI-Umfrage an, der Brexit habe einen negativen Effekt auf ihre Investitionsentscheidungen gehabt.
Die Behörden im Vereinigten Königreich seien kaum darauf vorbereitet, ein Chaos in Dover zu verhindern, wenn Zollanmeldungen und -kontrollen nötig wären. "Just-in-Time-Produktions- und Lieferketten stehen auf dem Spiel", warnt DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Die unklare Lage beim Brexit führe zu einer massiven Verunsicherung der Unternehmen - in einem derzeit ohnehin zunehmend instabilen Konjunkturumfeld.
Empfindliche Waren wie Lebensmittel und Medikamente könnten unterwegs unbrauchbar werden, fürchten Experten. Deswegen platzen die Lagerhallen, besonders für gekühlte und gefrorene Lebensmittel, in Großbritannien inzwischen aus allen Nähten. Alles sei ausgebucht, warnte der Chef des Branchenverbands Food and Drink Federation (FDF), Ian Wright, vor einem Parlamentsausschuss Ende November.
Einer Umfrage des britischen Branchenverbands SMMT zufolge haben bereits die Hälfte der Mitglieder durch die Unsicherheit Schaden genommen. Ein Drittel hat heimische Investitionen verschoben oder abgeblasen. Zehn Prozent gaben jeweils an, Kapazitäten ins Ausland verlagert oder die Zahl an Mitarbeitern reduziert zu haben.
BMW kündigte an, eine geplante Produktionspause in seinem Mini-Werk in Oxford auf die Zeit unmittelbar nach dem EU-Austritt am 29. März zu verlegen. Jaguar Land Rover griff zu Maßnahmen wie Kurzarbeit und Jobstreichungen, um einen Rückgang der Nachfrage abzufedern.
Kaum noch ist die Rede von der angeblichen "Brexit-Dividende" - den 350 Millionen Pfund pro Woche, die Brexit-Vorkämpfer Boris Johnson auf die Seite eines roten Busses hatte drucken lassen und die dann dem nationalen Gesundheitsdienst NHS zugute kommen sollten.
Stattdessen kostet der Brexit den britischen Fiskus schon heute bares Geld. Laut jüngsten Schätzungen hat die Unsicherheit während der zähen Verhandlungen die Wirtschaftskraft des Landes seit dem Referendum 2016 um zwei Prozent kleiner ausfallen lassen, als es sonst der Fall gewesen wäre. Eine Denkfabrik bezifferte den Schaden für den Schatzkanzler im Sommer auf 500 Millionen Pfund pro Woche.
Das angesehene National Institute of Economic and Social Research (NIESR) geht davon aus, dass Großbritanniens wirtschaftliche Leistung im Jahr 2030 um vier Prozent kleiner ausfallen wird als ohne Austritt. Doch das sei noch eine sehr vorsichtige Schätzung, hieß es.
Wenn man nur die Wirtschaft betrachte, zeige die Analyse deutlich, dass in der EU zu bleiben ein besseres Ergebnis für Großbritannien bringen würde, sagte vor einigen Wochen der britische Schatzkanzler Philip Hammond. Zur Umkehr führt diese Einsicht bislang nicht.
(hau/dpa)