Mette Frederiksen (l), Ministerpräsidentin von Dänemark, und Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission.Bild: EPA Pool via AP / Stephanie Lecocq
International
Mit einem Haushalts- und Finanzpaket von
historischem Umfang nimmt die Europäische Union den Kampf gegen die
coronabedingte Wirtschaftskrise auf. Nach einem gut viertägigen zwischendurch immer wieder dem Scheitern nahen Verhandlungsmarathon
einigte sich der Sondergipfel der 27 Mitgliedsstaaten am frühen
Dienstagmorgen auf einen Kompromiss im Umfang von 1,8 Billionen Euro.
Zahlreiche Staats- und Regierungschefs – voran Bundeskanzlerin Angela
Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron - sowie die
Spitzen der EU zeigten sich erleichtert und sprachen von einem
Erfolg. Rechtspopulisten in Europa reagierten mit beißender Kritik.
Das Paket umfasst 1074 Milliarden Euro für den siebenjährigen
Haushaltsrahmen bis 2027 und 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur-
und Investitionsprogramm. Dieser Wiederaufbauplan beinhaltet 390
Milliarden Euro an nicht zurückzuzahlenden Zuschüssen und 360
Milliarden Euro an Krediten. Ursprünglich sollte das Verhältnis 500
Milliarden Euro an Zuschüsse zu 250 Milliarden Euro an Krediten
betragen.
Damit will sich die Europäische Union gegen den beispiellosen
Wirtschaftseinbruch stemmen und den EU-Binnenmarkt zusammenhalten.
Gleichzeitig soll in eine digitalere und klimafreundlichere
Wirtschaft investiert werden.
Schwieriger Punkt erst am Montag gelöst
Erst am Montag waren zwei der umstrittensten Punkte gelöst
worden. Das machte den Weg zum Gesamtdeal frei. Zum einen
akzeptierten die sogenannten sparsamen Staaten, dass gemeinsame
Schulden aufgenommen werden und Geld als Zuschuss an EU-Staaten geht.
Im Gegenzug willigten Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien
ein, die Summe dieser Zuschüsse zu verringern.
Zudem fand man eine Formel zur Koppelung von EU-Geldern an die
Rechtsstaatlichkeit, die alle 27 Staaten annahmen. Zuvor hatten sich
Polen und Ungarn strikt gegen einen solchen Rechtsstaatsmechanismus
gewehrt, zumal gegen beide Staaten Verfahren wegen Verletzung von
EU-Grundwerten laufen. Im Kompromiss heißt es nun, dass der
Europäische Rat die Bedeutung des Schutzes der finanziellen
Interessen der EU und des Respekts der Rechtsstaatlichkeit
unterstreiche. Wie diese Formel konkret ausgelegt wird, wurde direkt
nach dem Gipfel sehr unterschiedlich interpretiert.
Reaktionen nach der Einigung
"Das war nicht einfach", sagte Merkel nach der Gesamteinigung.
Für sie zähle aber, "dass wir uns am Schluss zusammengerauft haben".
Der Haushalt sei auf die Zukunft Europas ausgerichtet. "Historischer
Tag für Europa", schrieb Macron auf Twitter. Auch EU-Ratschef Charles
Michel und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen feierten den
Beschluss als historisch. "Wir haben es geschafft", sagte Michel. Das
sei der richtige Deal für Europa. "Wir sind uns bewusst, dass dies
ein historischer Moment in Europa ist", ergänzte von der Leyen.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sprach von einem "guten
Resultat für die EU und Österreich". Er lobte namentlich das Bündnis,
das Österreich mit Schweden, Dänemark und den Niederlanden
eingegangen war. "Vielen Dank an alle Kollegen, besonders an die
"Sparsamen"", twitterte er. Der niederländische Ministerpräsident
Mark Rutte sprach von einem "umfangreichen und guten Paket, durch das
die niederländischen Interessen gewahrt bleiben".
Ähnlich äußerte sich die dänische Ministerpräsidentin Mette
Frederiksen. Es handele sich um eine solidarische Abmachung mit einem
weiterhin großen Volumen, das jedoch nun eine bessere Balance habe.
Aus dänischer Sicht sei wichtig, einen großen Rabatt erhalten zu
haben.
"Das lässt erkennen, dass man gleichzeitig für dänische und für europäische Interessen kämpfen kann".
Trotz aller Schwierigkeiten
habe die EU gezeigt, dass sie in einer schwierigen Lage handeln
könne, sagte Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin laut dem
Sender Yle. Aus finnischer wie aus europäischer Sicht sei das
Ergebnis zufriedenstellend.
Staaten, die es am meisten brauchen
Erleichtert zeigten sich auch die Regierungen, deren Staaten am
stärksten von der Corona-Pandemie betroffen sind und daher am
dringendsten Hilfe brauchen. Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez
sagte, er sei "zu 95 Prozent zufrieden" mit dem Ergebnis. Für sein
Land stünden "in etwa" 140 Milliarden zur Verfügung, davon 72,7
Milliarden nicht rückzahlbare Subventionen. "Wir sind zufrieden",
sagte auch Italiens Regierungschef Giuseppe Conte. Der
Wiederaufbauplan entspreche den enormen Herausforderungen der Krise.
Für Italien seien etwa 209 Milliarden Euro vorgesehen. "Es ist ein
historischer Moment für Europa, es ist ein historischer Moment für
Italien", betonte Conte.
Reaktionen der Rechtspopulisten
Die Reaktionen von Rechtspopulisten fielen derweil ganz anders
aus: "Doch 390 Milliarden Euro Zuschüsse für Südeuropa. ... Wahnsinn!
Milliarden weggeschmissen, die wir im eigenen Land ausgeben müssten",
twitterte der Niederländer Geert Wilders. "Noch nie hat eine
Regierungschefin so lange und hartnäckig darum gekämpft, die
Steuergelder ihrer Bürger im ganz großen Stil an andere verschenken
zu dürfen, wie Angela Merkel in Brüssel", erklärte die
AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel. Merkel betreibe
einmal mehr Europapolitik gegen die Interessen der Bürger, "um sich
als "große Europäerin" feiern zu lassen".
CSU-Chef Markus Söder lobte dagegen das Ergebnis. "Zum Glück
konnte sich Europa einigen. Das neue Finanzpaket ist die
entschlossene Antwort auf Corona", schrieb er bei Twitter. In der CSU
gibt es aber auch kritische Stimmen.
"Der Preis des Deals ist hoch."
Europaabgeordnete Markus Ferber
"Jeder Mitgliedstaat
hat ein "Zuckerl" für die Heimfahrt in die Hauptstädte bekommen, aber
wer das Ganze als großen Wurf verkauft, lügt sich in die eigene
Tasche."
Zu dem von Ferber angesprochenen Punkt gehören teure
Zugeständnisse an die "Sparsamen Vier" – also die Niederlande,
Österreich, Dänemark und Schweden. Sie sollen deutlich höhere
Nachlässe auf ihre Einzahlungen in den EU-Haushalt bekommen als
ursprünglich vorgesehen. So wurde etwa die jährliche Rabattsumme für
Österreich von 237 Millionen Euro auf 565 Millionen Euro angehoben – eine Steigerung um 138 Prozent.
Umstritten ist auch, wie strikt künftig die Auszahlung von
EU-Geldern an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien gekoppelt
ist. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sagte in Brüssel:
"Jeder Versuch, der darauf abzielte, zwei wichtige Fragen – die der
EU-Gelder und die der Rechtsstaatlichkeit – miteinander zu verbinden,
wurde erfolgreich zurückgewiesen."
Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley, warf
den EU-Staats- und Regierungschefs zu große Nachgiebigkeit gegenüber
Staaten wie Ungarn und Polen vor. "Ja, man ist eingeknickt und das
Schlimme ist, man ist schon sehr früh eingeknickt", sagte die
SPD-Politikerin dem TV-Sender "Welt".
Von der Leyen und Michel bestritten dagegen, dass eine starke
Lösung zugunsten des Kompromisses geopfert worden sei. Mit
qualifizierter Mehrheit der EU-Staaten könnten bei Verstößen
Maßnahmen ergriffen werden, sagte von der Leyen. Rutte, der die
Rechtsstaatsklausel zur Bedingung für eine Zustimmung gemacht hatte,
betonte, mit der gefundenen Lösung "können die Auszahlungen gestoppt
werden".
(lin/dpa)