Triggerwarnung: Dieser Artikel thematisiert und beschreibt brutale Folter. Es können negative Gefühle und Erfahrungen getriggert werden.
Vier bewaffnete Personen standen am Freitagabend plötzlich in der Konzerthalle Crocus City Hall in der Nähe von Moskau, schossen um sich und warfen einen Brandsatz. Mehr als 140 Menschen sind dabei gestorben, rund 200 wurden verletzt, die Konzerthalle stand bis Samstagmorgen in Flammen.
Russlands Machthaber Wladimir Putin sah sofort die Schuld bei der Ukraine. Trotz späterem Bekennerschreiben der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS).
Inzwischen rückte er zwar von seiner ursprünglichen Linie ab und gab dem IS die Schuld. Doch der Kremlchef blieb dabei, dass die Angreifer im Anschluss in die Ukraine fliehen wollten, die ihnen wiederum ein Schlupfloch bereitet haben soll.
Elf Menschen wurden festgenommen, darunter vier Personen, die womöglich direkt in den Anschlag verwickelt sind.
Kurz darauf kursierten auf der Social-Media-Plattform Telegram brutale Foltervideos. Einem der festgenommenen Männer wurde darin offensichtlich ein Teil des Ohrs abgeschnitten. Es gibt sogar Berichte darüber, dass er gezwungen worden sein soll, es zu essen. Ein anderer soll mit Stromstößen im Genitalbereich gefoltert worden sein.
Die vier Männer wurden am Sonntagabend übel zugerichtet vor dem Moskauer Bezirksgericht Basmanny vorgeführt. Aus ihren brutalen Misshandlungen wurde kein Hehl gemacht. Es sollte offenbar jede:r sehen, wie in Russland mit solchen potenziellen Angreifern umgegangen wird.
Einem baumelte sogar noch eine Plastiktüte um den Hals, ihm wurde damit offenbar die Luft entzogen. Ein anderer wurde in Krankenhauskleidung vorgeführt, er verlor laut Berichten während der Verhandlung mehrfach das Bewusstsein.
Der Anschlag und die darauffolgenden Vorwürfe der russischen Folter lösten internationale Bestürzung aus. Auch in Deutschland oder Frankreich werden nun Sicherheitsbedenken geäußert, über temporäre Grenzkontrollen nachgedacht. Denn in diesem Jahr finden in Paris die Olympischen Sommerspiele statt und in Deutschland wird die Fußball-Europameisterschaft der Männer ausgetragen.
Der US-Terrorexperte Colin Clarke hat im Interview mit dem "Spiegel" nun darüber gesprochen, welche Länder er für besonders gefährdet hält für einen drohenden Anschlag des IS.
Clarke hatte schon vor Monaten vor einem drohenden Anschlag des IS in Russland gewarnt. Genauer vor dem afghanischen IS-Ableger "Provinz Khorasan", kurz ISPK. Deshalb war der Experte auch nicht überrascht, als sich nun tatsächlich die Terrororganisation zu dem Anschlag nahe Moskaus bekannt hat.
Der Terrorexperte betonte jedoch im Gespräch mit dem Spiegel, dass sich bisher nicht explizit der ISPK zu dem Anschlag bekannt hat. Diese Information sei von amerikanischen Beamten verbreitet worden. Er selbst halte es jedoch für sehr wahrscheinlich, dass tatsächlich der ISPK dahintersteckt, "möglicherweise mit Unterstützung anderer Dschihadisten".
Die Terroristen des ISPK seien in der Lage gewesen, auf ihr Netzwerk in Zentralasien zurückzugreifen, erklärt Clarke. Die festgenommenen Tatverdächtigen sollen Tadschiken sein. Der Terrorexperte führt aus:
Dass Russland spätestens seit seiner Invasion in die Ukraine ein potenzielles Ziel für den IS darstellte, sei klar gewesen. Denn damals habe der IS-Propagandaapparat Nachrichten veröffentlicht, in denen der ISPK über diesen Krieg jubilierte, ihn als Krieg von "Kreuzritter gegen Kreuzritter" bezeichnete. Also Russland gegen die USA, die die Ukraine unterstützt.
Die USA seien ohnehin ein Feindbild des IS. Die Informationskanäle des ISPK richteten sich seit 2022 aber gezielt gegen Russland. Zudem sei den Terroristen bewusst gewesen, dass sich Putins Ressourcen derzeit quasi vollständig in der Ukraine befinden. Clarke sagt: "In der Regel ziehen sie auch durch, was sie ankündigen – wenn sie es denn können." Im Fall von Moskau konnten sie. "Wenn sie China angreifen könnten, würden sie es tun", fügte der Terrorexperte an.
Doch vor allem mache sich Clarke derzeit Sorgen um Europa.
In einer Woche sei Russland das Ziel, in der nächsten könne es aber ein ganz anderes Land sein. "Wir haben es mit einem globalen Netzwerk zu tun."