Nach tagelangen Dementis hat der Iran nun zugegeben, eine ukrainische Passagiermaschine versehentlich abgeschossen zu haben. Die Revolutionsgarden übernahmen am Samstag die volle Verantwortung für das Unglück, bei dem 176 Menschen starben. Das Verkehrsflugzeug sei irrtümlich für einen Marschflugkörper gehalten worden, erklärte der für die Luftwaffe zuständige Kommandant der Revolutionsgarden, Amirali Hadschisadeh.
Viele Iraner fragten in sozialen Medien, warum der Flughafen Teherans nicht geschlossen worden sei, nachdem die iranische Armee zwei US-Stützpunkte im Irak mit Raketen beschossen hatte. In Tweets forderten Iraner Rücktritte der Verantwortlichen, unter anderem von Außenminister Sarif.
Demonstranten haben in Teheran außerdem den Rücktritt von Ajatollah Chamenei gefordert. Das zeigen auf Twitter veröffentlichte Videos von Demos gegen das geistliche Oberhaupt des Iran.
Auch die ARD-Korrespondentin Natalie Amiri berichtet von großer Wut im Iran, die sich vor allem im Internet entladen soll.
Auch die Tatsache, dass für den getöteten General Staatstrauer angeordnet wurde, jedoch nicht für die mehrheitlich iranischen Opfer des Abschusses sorge für Wut.
Präsident Hassan Ruhani schrieb auf Twitter, der Iran bedauere den "katastrophalen Fehler" zutiefst. Auch in der islamischen Republik stieß die Kehrtwende in der Darstellung des Absturzes auf Kritik. Die Ukraine verlangte Schadensersatz. International wurde eine transparente und vollständige Aufklärung des Vorfalls gefordert.
Ein ranghoher Kommandeur der Revolutionsgarden erklärte, bereits am Tag des Abschusses vergangenen Mittwoch seien die Behörden informiert worden. Allerdings hatte der Iran noch am Freitag Vermutungen der USA und Kanadas, das Flugzeug könnte versehentlich abgeschossen worden sein, als "psychologische Kriegsführung" zurückgewiesen.
Am Samstag brach der geistliche Oberhaupt des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, sein Schweigen und erklärte, die Informationen über den Absturz sollten veröffentlicht werden. Führende Regierungsmitglieder äußerten daraufhin ihr tiefes Bedauern. Im staatlichen Fernsehen wurde allerdings auch suggeriert, die Wahrheit über den Vorfall könne von den "Feinden Irans" genutzt werden. Mit dieser Floskel sind üblicherweise USA und Israel gemeint.
Außenminister Mohammed Dschawad Sarif gab den USA eine Mitschuld: Der Abschuss sei Folge eines "menschlichen Fehlers in Krisenzeiten, verursacht durch die US-Abenteuerpolitik".
Luftfahrt-Experten erklärten, bei einer internationalen Untersuchung wäre es nahezu unmöglich gewesen, den Abschuss zu vertuschen. Im Iran sei möglicherweise die Einsicht gewachsen, eine Kehrtwende in der Darlegung des Absturzes sei besser als sich wachsender internationaler aber auch innenpolitischer Kritik auszusetzen. "Es ist eine nationale Tragödie. Die Art, wie sie gehandhabt wurde und mehr noch, wie Behörden das bekannt gegeben haben, ist noch tragischer", sagte der als moderat geltende Geistliche Ajatollah Ali Ansari nach einem Bericht der halboffiziellen Nachrichtenagentur ILNA.
Die Boeing 737-800 wurde nach Darstellung des iranischen Militärs von einer Kurzstreckenrakete getroffen, nachdem sie nah an einer Militäreinrichtung der Revolutionsgarden vorbeigeflogen war. Nur wenige Stunden zuvor hatte der Iran aus Vergeltung für die Tötung eines ranghohen Generals durch die USA Militärstützpunkte im Irak mit Raketen beschossen, die von US-Soldaten und internationalen Truppen genutzt werden. Der Iran stellte sich auf einen Gegenschlag der USA ein. Die Ukraine International Airlines kritisierte, der Teheraner Flughafen hätte in dieser Situation geschlossen werden müssen. Die Piloten hätten aber keinerlei Hinweise auf drohende Gefahren erhalten und die Startfreigabe bekommen.
Mit der Tötung von General Kassem Soleimani, der in seiner Heimat als Volksheld verehrt wird, vor gut einer Woche in Bagdad durch einen gezielten US-Drohnenangriff und dem anschließenden Vergeltungsschlag der Iraner hatte sich der Konflikt zwischen den USA und dem Iran dramatisch verschärft. Erst nachdem US-Präsident Donald Trump auf eine Drohung mit einem militärischen Gegenschlag verzichtete und stattdessen lediglich weitere Sanktionen gegen den Iran ankündigte, ebbten Sorgen, dass es zu einem Krieg in Nahost kommt, ab.
(pcl/dpa/rts/afp)