Mit bislang unveröffentlichten Videoaufnahmen haben die Ankläger im Impeachment-Prozess gegen Ex-US-Präsident Donald Trump die dramatischen Stunden der Kapitol-Erstürmung nachgezeichnet – und den Republikaner als "Ober-Anstifter" der Gewalt angeprangert. Trump sei kein "unschuldiger Unbeteiligter" gewesen, sondern habe "eindeutig zu diesem Angriff angestiftet", sagte der demokratische Abgeordnete und Anklageführer Jamie Raskin am Mittwoch im Senat. Nachzuweisen oder zu widerlegen, dass zwischen der Rede Trumps und dem Sturm auf das Kapitol ein kausaler Zusammenhang besteht, ist Ziel des Impeachment-Verfahrens. "Donald Trump hat seine Rolle als Oberbefehlshaber aufgegeben und ist zum Ober-Anstifter eines gefährlichen Aufruhrs geworden."
Wie bereits am ersten Verhandlungstag zeigten die Ankläger umfassendes Videomaterial, um ihre Ausführungen zu unterstreichen. Sie spielten dabei bislang unveröffentlichte Aufzeichnungen von Überwachungskameras im Kongressgebäude vor, die zeigen, wie radikale Trump-Anhänger gewaltsam in das Kapitol eindrangen, Polizisten attackierten und durch das Parlament zogen.
Die Aufnahmen zeigen auch, wie der damalige Vizepräsident Mike Pence, Abgeordnete, Senatoren und Kongressmitarbeiter teilweise in letzter Sekunde vor dem Mob in Sicherheit gebracht wurden. In einem Video läuft der heutige demokratische Senatsmehrheitsführer Chuck Schumer während der Evakuierung einen Gang entlang – und muss dann rennend umkehren.
Aufnahmen der Körperkamera eines Polizisten zeigen, wie der Beamte und seine Kollegen gewaltsam attackiert werden. Vorgespielt wurde zudem Polizeifunk, in dem Einsatzkräfte verzweifelt Verstärkung anforderten.
Das setzten die Demokraten parallel zur aufwieglerischen Rede Trumps unmittelbar vor der Kapitol-Erstürmung, zu zahlreichen Twitter-Botschaften des damaligen Präsidenten und zu Äußerungen von Kapitol-Angreifern, die explizit Bezug auf Trump nahmen und erklärten, für ihn zu "kämpfen, wie die Hölle".
Die US-Demokraten sehen die Kapitol-Erstürmung als direkte Folge einer monatelangen Kampagne Trumps, sich an der Macht zu halten. Die Attacke auf den Kongress habe womöglich wie "Chaos und Wahnsinn" gewirkt, sagte Raskin. "Aber der Wahnsinn dieses Tages hatte Methode. Das war ein organisierter Angriff auf die Auszählung der Stimmen des Wahlleute-Kollegiums in einer gemeinsamen Sitzung des US-Kongresses."
Raskins Kollege Joe Neguse sagte, der "Mob" sei von Trump "gerufen, versammelt und angestiftet worden", um eine friedliche Machtübergabe an seinen Nachfolger Joe Biden zu verhindern. "Präsident Donald J. Trump hatte keine gewaltfreien Optionen mehr, um sich an der Macht zu halten", fügte ein dritter Ankläger, Ted Lieu, hinzu.
Die Abgeordnete Stacey Plaskett verwies auf Videos, auf denen Trump-Anhänger eine Hinrichtung des damaligen Vizepräsidenten Pence forderten und die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, suchten. Beide leiteten am 6. Januar die Kongress-Sitzung zur Bestätigung von Bidens Wahlsieg. "Präsident Trump hat sie zu Zielscheiben erklärt, und der Mob ist in das Kapitol eingedrungen, um sie zu jagen", sagte Plaskett.
Die demokratischen Abgeordneten werden am Donnerstag ihre Beweisführung gegen Trump fortsetzen. Dann sind Trumps Verteidiger am Zug.
Die Demokraten wollen, dass Trump wegen "Anstiftung zum Aufruhr" verurteilt wird und nie wieder ein öffentliches Amt ausüben darf. Ein Schuldspruch im Senat, für den eine Zweidrittelmehrheit notwendig wäre, gilt allerdings als nahezu ausgeschlossen. Es müssten zusammen mit den 50 Senatoren der Demokraten mindestens 17 Republikaner für eine Verurteilung stimmen. Eine große Mehrheit der Republikaner scheint Trump aber die Treue zu halten.
Ungemach droht Trump aber auch auf juristischer Ebene: Im Bundesstaat Georgia laufen Ermittlungen zur Wahleinmischung Trumps. Bezirksstaatsanwältin Fani Willis verschickte am Mittwoch Briefe an mehrere Behördenverantwortliche des Südstaates, darunter an Wahlleiter Brad Raffensperger. Darin ist von Ermittlungen unter anderem wegen möglicher Anstiftung zum Wahlbetrug, Verschwörung, Verletzung eines Amtseides und Beteiligung an Drohungen gegen die Wahlbehörden die Rede.
Der abgewählte Präsident hatte unter anderem in Georgia versucht, das Wahlergebnis zu kippen. Für Empörung sorgte ein publik gewordenes Telefonat Anfang Januar, in dem er Wahlleiter Raffensperger aufforderte, genug Stimmen zu "finden", damit er Biden doch noch überhole.
(vdv/afp)