Greta Thunberg ist das Gesicht der "Fridays for Future"-Bewegung. Und sie ist konsequent: Um möglichst klimaneutral zu leben, fliegt sie nicht. Termine in Übersee hat sie trotzdem. Es ist also Kreativität gefragt. Um zum UN-Klimagipfel in New York und der Weltklimakonferenz in Chile zu kommen, segelt Great Thunberg deshalb über den Atlantik. Segelerfahrung hatte die junge Aktivistin bislang keine. Deshalb hat sie sich einen professionellen Unterstützer engagiert.
Seine Wassersportwiege ist das ostfriesische Wattenmeer, sein Arbeitsplatz sind die Weltmeere: Der Oldenburger Segelprofi Boris Herrmann strebt dem Gipfel seiner Karriere entgegen, er will als erster Deutscher an der härtesten Regatta der Welt teilnehmen. Die Vendée Globe führt ihre Herausforderer unter Segeln solo, nonstop und ohne Hilfe von außen in unter 80 Tagen um die Welt. Vor der ab Ende 2020 geplanten ultimativen Bewährungsprobe hat der 38-Jährige in Kürze aber noch einen Sonderauftrag zu bewältigen - und einen ganz besonderen Gast an Bord der Hochseejacht "Malizia".
Herrmann und sein Co-Skipper, Segelfreund und Förderer Pierre Casiraghi, werden voraussichtlich am kommenden Mittwoch von einem Hafen im Süden Englands aus in See stechen – mit Greta Thunberg an Bord. Der genaue Start hängt vom Wetter ab. Auch Gretas Vater Svante sowie der Filmemacher Nathan Grossman, der die große Reise über den großen Teich dokumentieren will, segeln mit. Etwa zwei Wochen lang werden sie mit der "Malizia" unterwegs sein. In Übersee warten auf die Schwedin dann unter anderem der UN-Klimagipfel in New York im September sowie die Weltklimakonferenz in Chile im Dezember.
Was nach großem Abenteuer klingt, ist für Herrmann auch eine große Verantwortung. Für Thunberg ist es der erste Segeltörn ihres Lebens – ein krasserer Einstieg als der Transatlantik-Törn auf Herrmanns 18 Meter langem Kohlefaser-Geschoss ist kaum vorstellbar. Doch der deutsche Segelprofi hat schon drei Weltumseglungen mit Profi-Crews absolviert und mehr als eine Viertelmillion Seemeilen Erfahrung im Kielwasser. Angst vor der Verantwortung für seinen prominenten Passagier hat Herrmann deshalb nicht, wie er sagt.
Thunberg fliegt nicht, weil Flugreisen immense Mengen an Treibhausgasen ausstoßen. Deshalb hatte sie länger nach einer klimaschonenderen Alternative für die Reise nach Amerika Ausschau gehalten. Bei der "Malizia" wurde sie fündig, wie sie Ende Juli bekanntgab. Die High-Tech-Jacht ist mit Solarpaneelen und Unterwasserturbinen ausgestattet, mit denen der an Bord benötigte Strom erzeugt wird. Viel Komfort bietet sie dagegen nicht – letztlich ist sie für Hochseerennen ausgestattet. Unter Deck ist kaum Platz.
"Eine Rennjacht ist nie komfortabel, sondern bietet im Bestreben um Leichtigkeit nur die minimalste Ausstattung", erzählt Herrmann. Toiletten gebe es an Bord keine, statt Betten nur zwei Rohrkojen. Es wird laut und unbequem für Thunberg, bei Sturm auch ruppiger. Ob die junge Schwedin aktiv mitsegelt, ließ Herrmann offen: "Ich werde ihr gerne alles zeigen und erklären und sehen, inwieweit sie Lust hat zu lernen." Er könne sich vorstellen, dass sie wegen ihres Klimabewusstseins eine starke Neugier für Wetter und Navigation mitbringe.
Anders als Thunberg saß Herrmann schon als Baby auf einem Segelboot: Im Alter von sechs Wochen nahmen ihn seine Eltern mit auf ihre kleine Familien-Fahrtenjacht. Später erkundete der Vater mit ihm erst das Wattenmeer hinter den Ostfriesischen Inseln, dann die Nordsee und in den Schulferien auch skandinavische Gefilde. Das Seemannsherz habe er von Zuhause mitbekommen, sagt er. Deutschlands erfolgreichster Segler Jochen Schümann urteilt über ihn: "Boris weiß, was er will."
Selbst steuern lernte Herrmann klassisch in der Kinderjolle Optimist. Bei seiner Mini-Transat-Premiere als jüngster und einziger deutscher Regattateilnehmer machte ihm kurz nach der Jahrtausendwende und dem bestandenen Abitur Platz elf Lust auf mehr Meer. Parallel studierte er Wirtschaftswissenschaften. Seine Diplomarbeit schrieb er über "Nachhaltiges Management", obwohl "das damals noch nicht so hoffähig war und einen alle ausgelacht haben".
Doch Herrmann blieb beharrlich, im Umweltinteresse wie im Segelsport. Auch der dreimalige Olympiasieger und zweimalige America's-Cup-Gewinner Schümann half, indem er den jungen Herrmann vor Jahren als Nachwuchs-Navigator in seine Crew holte. "Boris sollte damals lernen, lernen, lernen. Er begriff zügig, setzte das Gelernte gut um und kam auch in den Genuss süßer Siege."
Nun folgt also der Törn mit Thunberg.
Gefahr bestehe für sie keine, sagt auch die Britin Dee Caffari, die die Welt als erste Frau in beiden Richtungen nonstop und solo umsegelt hat. In einer Botschaft an Thunberg schrieb sie: "Du bist bei Boris in guten Händen, also genieße die Reise."
(fh/dpa)