Carola Rackete hatte vergangene Woche das Rettungsschiff "Sea-Watch 3" mit mehr als 40 Migranten an Bord unerlaubt in die italienischen Hoheitsgewässer gesteuert. Ihre Begründung: die katastrophalen humanitären Bedingungen an Bord.Bild: Matteo Guidelli/ANSA/ap
International
02.07.2019, 05:0902.07.2019, 06:31
Die deutsche Kapitänin Carola Rackete hat die Nacht erneut im
Hausarrest verbracht. Auch wenn dieser nun aufgehoben werden sollte.
Das Hin und Her um die 31-Jährige und die deutsche Hilfsorganisation
Sea-Watch sind damit längst nicht am Ende.
- In dem Fall wird am Dienstag eine Entscheidung des Ermittlungsrichters erwartet. Nach einer etwa dreistündigen Vernehmung am Montag war offen geblieben, ob die 31-Jährige auf freien Fuß gesetzt oder ein Haftbefehl für sie erlassen wird.
- Rackete verbrachte eine weitere Nacht im Hausarrest. Unterdessen wurden Details zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft gegen die Deutsche bekannt.
In Deutschland und Italien formiert sich Hilfe für die Kapitänin:
Was war passiert?
Rackete hatte vergangene Woche das Rettungsschiff "Sea-Watch 3" mit
mehr als 40 Migranten an Bord unerlaubt in die italienischen
Hoheitsgewässer gesteuert. In der Nacht auf Samstag fuhr sie – ebenfalls trotz eines Verbots – in den Hafen der sizilianischen Insel
Lampedusa.
Rackete rechtfertigte ihre Entscheidung mit der verzweifelten
Lage an Bord. Die deutsche Hilfsorganisation Sea-Watch hatte am 12.
Juni insgesamt 53 Migranten vor Libyen gerettet. Aus gesundheitlichen
und humanitären Gründen hatten schon 13 Migranten frühzeitig von Bord
gehen können. Das Schiff aber bekam keine Anlegeerlaubnis.
Was wird der Deutschen vorgeworfen?
Die Staatsanwaltschaft wirft Rackete nun Widerstand gegen ein
Militärschiff und Vollstreckungsbeamte vor. Rackete hatte sich nicht
nur über Anweisungen hinweggesetzt. Das Schiff hatte beim Einlaufen
in Lampedusa ein Boot der Finanzpolizei touchiert. Zudem wird gegen
Rackete wegen Beihilfe zur illegalen Migration ermittelt. "Es gab
keine Notlage", sagte der Staatsanwalt Luigi Patronaggio am
Montagabend. Sea-Watch habe auch außerhalb des Hafens ärztliche Hilfe
bekommen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte wenige Tage vor
dem unerlaubten Einlaufen in Lampedusa einen Eilantrag unter anderem
von Rackete abgelehnt, mit dem Schiff in Italien anlegen zu dürfen.
Ermittelt wird laut Patronaggio nun auch, ob der Rettungseinsatz
unweit der libyschen Such- und Rettungszone notwendig war. "Wir
werden die konkreten Methoden zur Durchführung der Rettung prüfen,
das heißt, ob es Kontakt zwischen Menschenhändlern und der Sea-Watch
gab", erklärte Patronaggio. Es solle also geprüft werden, ob es eine
"Rettungsaktion im Meer oder eine verabredete Aktion" war.
Wer steht wo im Streit um die Seenotrettung?
Der italienische Innenminister Matteo Salvini bezeichnet Seenotretter
immer wieder als Komplizen der Schmuggler, die Migranten auf die
gefährliche Fahrt ins Mittelmeer schicken. Er will die
Hilfsorganisationen komplett aus dem Mittelmeer verbannen. Die
Regierung aus rechter Lega und populistischer Fünf-Sterne-Bewegung
fährt seit einem Jahr einen harten Anti-Migrations-Kurs.
Der Repräsentant des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen
(UNHCR) in Deutschland wies angesichts der Todesrate im Mittelmeer
auf die Notwendigkeit der Seenotrettung hin. "Ich erwarte, dass sich
Italien an seine humanistische und auch nautische Tradition
erinnert", sagte Dominik Bartsch der "Rheinischen Post" (Dienstag).
"Selbstverständlich muss sich auch Sea-Watch an internationale und
nationale Gesetze halten." Aber in einer Notsituation hätten Leben
und Gesundheit Priorität. Seit 2015 kamen nach UNHCR-Angaben fast 14.900 Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ums Leben.
Wann kommt Rackete frei?
Der frühere Kapitän des Rettungsschiffs "Cap Anamur" und jetzige
Flüchtlingsbeauftragte von Schleswig-Holstein, Stefan Schmidt,
rechnet nicht mit einer schnellen Freilassung von Kapitänin Rackete.
"Ich habe schlechte Erfahrungen mit den italienischen Behörden
gemacht. Damals hieß der Regierungschef Silvio Berlusconi – und der
war schon schlimm", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung"
(Dienstag). "Wie damals bei uns läuft da ein politischer Prozess."
Schmidt hatte 2004 mit der "Cap Anamur" Sizilien trotz Verbots
angelaufen. An Bord waren 37 Flüchtlinge. Schmidt musste sich vor
Gericht wegen Beihilfe zur illegalen Einreise verantworten. Er wurde
Jahre später freigesprochen.
In Deutschland hat die Festnahme von Rackete eine Welle der
Solidarität ausgelöst. Selbst Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier hatte sich in die Sache eingeschaltet und
Italien wegen der Festnahme kritisiert.
(pb/dpa)
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