
Die Eltern Gary und Kate McCann im portugiesischen Ort Praia da Luz.Bild: PA Wire/dpa / Steve Parsons
International
06.06.2020, 08:1406.06.2020, 09:33
Wenn man mit einem der rund 3500 Bewohner
von Praia da Luz ins Gespräch kommen möchte, dann sollte man eines
auf keinen Fall tun: den Namen "Maddie" erwähnen. "Kaum jemand will
hier öffentlich über das Thema sprechen", sagt auch ein Reporter des
portugiesischen TV-Nachrichtensenders "TVI24". Seit dem spurlosen
Verschwinden des damals knapp vierjährigen britischen Mädchens aus
einer Ferienanlage im beschaulichen Örtchen an der Algarveküste im
Mai 2007 fühlt man sich hier stigmatisiert.
Nachrichten aus Deutschland nicht für alle erfreulich
Die Hoffnung, der Fall möge nach 13 Jahren endlich langsam in
Vergessenheit geraten, machten jetzt die Nachrichten aus Deutschland
mit einem Schlag zunichte.
Am "Strand des Lichts" löst die Nachricht, dass ein 43 Jahre
alter Mann, der in Kiel hinter Gittern sitzt, der Entführung und
Ermordung von Maddie verdächtigt wird, keine Erleichterung aus und
erst recht keinen Jubel. Vielmehr werden alte Wunden aufgerissen.
Erinnerungen an das lange Zittern um Maddie vor 13 Jahren werden
wieder wach – aber auch an die "schlimmen Kollateralschäden", wie ein
Barbetreiber sagt, der namentlich nicht genannt werden möchte.
Luz wurde "zum Zentrum des Bösen" gemacht
Er und viele andere erinnern sich nun wieder mit Schrecken daran,
wie damals der für die Region lebenswichtige Tourismus nach dem
Verschwinden des Mädchens für einige Jahre deutlich zurückging. "Und
viele der Touristen, die kamen, sahen uns schief und misstrauisch
an."
"Diese Leute (gemeint sind Maddies Eltern und die britischen
Medien) haben gar nicht an die Menschen hier gedacht, als sie 2007
ihr Spektakel aufgezogen haben", sagte Ana im Gespräch mit der
Deutschen Presse-Agentur im Mai 2017. Die Frau, die an der
Strandpromenade von Luz heute noch Schmuck verkauft und Tattoos
macht, forderte damals, als der Ort zum 10. Jahrestag des
Maddie-Verschwindens zum x-ten Mal einen Journalisten-Ansturm
erlebte: "Langsam muss Schluss sein mit dem Zirkus". Ein Kollege von
Ana bedauerte, Luz sei "zum Zentrum des Bösen" gemacht worden.

Die Eltern der vermissten Madeleine McCann: Gerry und Kate McCann.Bild: imago images / GlobalImagens
Der Ärger hält im Jahr 2020 noch an. In Vila da Luz befürchtet
man ein neues "Medienspektakel", etwa bei einer neuen Suche nach der
Leiche, das dem Image und der Wirtschaft der Region wieder Schaden
zufügen könnte – noch dazu mitten im Pandemie-Stress.
Ganz Portugal nicht gut auf den Fall "Maddie" zu sprechen
Aber nicht nur in Praia da Luz ist Unmut zu spüren. Wenn man
Portugiesen nach ihren Gefühlen und Gedanken zu der neuen Entwicklung
im Fall Maddie befragt, dann kommt auch in Lissabon die Antwort fast
unisono über die Lippen: "So viele Kinder verschwinden tagtäglich,
wieso wurde ausgerechnet um diesen Fall so viel Aufhebens gemacht?
Fragt sich das jemand mal? Wir haben gerade Pandemie und
Sozialkrise", sagte am Donnerstag die Hauptstadt-Rentnerin Maria
hörbar empört am Telefon. Der Barbetreiber in Luz wird noch lauter.
Er schimpft: "Über die kleinen Portugiesen, die verschwinden und
womöglich auch von Ausländern entführt wurden, hört und liest man in
den Medien nach zwei oder drei Wochen nichts mehr, schon gar nicht im
Ausland."
Medien sprechen von Klassifizierung der Opfer
Auch die angesehene Anwältin Sofía Matos, die im portugiesischen
Fernsehen beim Anblick von Maddie-Videos sichtlich bewegt war, kommt
bei allem Mitgefühl für die Familie des Mädchens nicht umhin, auf
eine gewisse Doppelmoral bei Medien und Behörden hinzuweisen. "Was
wir bei alldem auch nicht vergessen dürfen ist, dass in Portugal
viele andere Kinder verschwunden sind, die nicht das Glück einer
internationalen Polizeikooperation hatten wie im Fall Maddie."
Matos erinnert an den Fall von Rui Pedro: Der Junge verschwand
1988 im Alter von elf Jahren spurlos. Mutter Filomena identifizierte
ihren Sohn 15 Jahre später auf dem Portal eines internationalen
Kinderpornografie-Rings. Hoffnung kam kurz auf, aber am Ende brachte
das nichts. Hilfe und Hinweise aus dem Ausland blieben aus. Rui Pedro
ist bis heute verschwunden. Medien in Portugal und die Zeitung "El
País" im Nachbarland Spanien stellten fest, es gebe "Opfer erster und
zweiter Klasse".
Wenige positive Reaktionen gibt es auch von den Experten, die von
den portugiesischen Medien zu den Nachrichten aus Deutschland befragt
werden. Die britische Polizei habe ein sehr gutes Budget, mit dem sie
sehr viele Informanten bezahlen könne, sagte im TV der frühere
Kripo-Koordinator Carlos Carmo. "Von Zeit zu Zeit gibt es daher einen
neuen Verdächtigen, aber es sieht nicht so aus, als ob man konkrete
Beweise hat", meint er. In die gleiche Kerbe schlägt der frühere
Polizeiinspektor Paulo Santos. "Wir haben zu diesem Zeitpunkt sehr
wenig, um behaupten zu können, dass es einen Durchbruch bei den
Ermittlungen gegeben hat." Die Kripo Portugals, die Policia
Judiciaria, will auf Anfrage nichts Näheres sagen.
Umstrittene These häufig vertreten in Luz
In Praia da Luz findet der Reporter von "TVI24" derweil doch noch
eine Portugiesin, die bereit ist, etwas zu Madeleine McCann zu sagen.
Der jungen Luz-Bewohnerin Catarina Marques sieht man trotz
Corona-Schutzmaske die Empörung im Gesicht an. "Alle Jahre wieder
kommen die Leute hierher, um über diese Sache zu sprechen", klagt
sie. Und dann spricht sie das aus, was man hier immer wieder hört:
"Alle glauben zu wissen, was damals passiert ist". Was?, fragt der
Reporter. "Dass es die Eltern waren, das denken alle hier in Luz."
Diese hoch umstrittene These vertrat und vertritt bis heute auch
der der erste Chefermittler des Falles, Gonçalo Amaral. Der heute
60-Jährige wurde damals schon nach wenigen Monaten nach Kritik an den
britischen Behörden vom Fall abgezogen. Er ließ sich daraufhin
pensionieren und schrieb das Buch "Die Wahrheit über die Lüge". Darin
und in Interviews behauptet er immer wieder: Maddie ist tot, die
Eltern haben den Tod vertuscht. Jetzt, angesichts eines inhaftierten
Verdächtigen in Deutschland, hat sich Amaral bisher nicht zu Wort
gemeldet.
(vdv/dpa)
Dieser Tage gibt es viel Berichterstattung über die AfD und die Vorhaben der in weiten Teilen rechtsextremen Partei. Klar ist: Kaum eine Partei wird so kontrovers diskutiert wie sie. Das dürfte auch für das Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2025 gelten. Die AfD setzt auf einen klar nationalistischen Kurs und auf einen radikalen Bruch mit der aktuellen Politik.