International
07.07.2019, 19:1007.07.2019, 19:24
Ja, das soll schwimmen. Das russische Atomkraftwerk "Akademik Lomonossow" sticht bald in See.Bild: dpa
Auf dem ersten schwimmenden Atomkraftwerk der Welt
riecht es nach frischer Farbe. Es laufen die letzten Arbeiten für
Russlands milliardenschweres Prestigeprojekt, die "Akademik
Lomonossow". Das AKW auf See sieht trotz der Reaktoren im Inneren aus
wie ein ganz normales Schiff. In Weiß, Blau und Rot – den Farben der
russischen Trikolore – ist die Außenwand des Megabaus gestrichen, der
noch im Hafen von Murmansk vor Anker liegt.
In wenigen Monaten soll die Anlage mit zwei Druckwasserreaktoren an
Bord ihren Betrieb aufnehmen. Die Bauweise erinnert an die riesigen
Atomeisbrecher, die im Norden Russlands seit Jahrzehnten mit
Nuklearantrieb unterwegs sind. Kritiker warnen vor einer möglichen
Katastrophe im Polarmeer, und bezeichnen die Anlage als "schwimmendes
Tschernobyl".
Kraftwerk soll noch dieses Jahr ans Netz
Im August soll die 144 lange und 30 Meter breite "Akademik
Lomonossow" von Schleppern rund 4000 Kilometer weit in den äußersten
Nordosten Russlands gezogen werden. Noch in diesem Jahr soll der vor
der Küste Tschukotkas produzierte Strom die Hafenstadt Pewek sowie
Gas- und Ölbohrinseln vor der Küste mit Energie versorgen. Das Ganze
ist Teil eines Plans der russischen Regierung, die abgeschiedene,
aber an Bodenschätzen reiche Region auf Vordermann zu bringen.
"Schwimmende AKW bringen viele Vorteile mit sich", sagt Wladimir
Iriminku, der als Ingenieur für Umweltschutz auf der "Akademik
Lomonossow" arbeitet. "Abgelegene Regionen können profitieren, ohne
größere Verpflichtungen einzugehen", sagt er, während im Hintergrund
im Maschinenraum leise Motoren brummen. Zu den Kosten eines
derartigen Kernkraftwerks auf See gibt es keine genauen Angaben. Auf
der "Akademik Lomonossow" werden rund 70 Megawatt produziert, die
dann ins lokale Stromnetz eingespeist werden. Eine Stadt mit etwa 100.000 Einwohnern könnte damit versorgt werden.
Der Kontrollraum in der Akademik Lomonossow.Bild: dpa
Das bisherige Kraftwerk der Region – Bilibino – ist auf
Permafrostboden gebaut, veraltet und anfälliger für Umwelteinflüsse.
Durch den Klimawandel taut auch der bislang dauerhaft feste
Untergrund auf. "Das schwimmende Akw ist viel sicherer als alles
bisherige: Es kann selbst dem stärksten Tsunami standhalten und ist
unsinkbar", versichert der Vizechef des AKW, Dmitri Alexejenko.
Selbst auf potenzielle Terrorangriffe sei man vorbereitet. Auf See,
Land und Luft werde das Militär die Anlage bewachen und schützen.
Russland setzt auf Atomenergie
In Deutschland ist der Atomausstieg seit der Reaktorkatastrophe im
japanischen Fukushima bis Ende 2022 geplant. Sieben AKW sind noch in
Betrieb. Mit Isar II, Emsland und Neckarwestheim II sollen in
zweieinhalb Jahren auch die letzten von ihnen vom Netz gehen.
Russland verfolgt einen ganz anderen Plan. Insgesamt hat das Land
mehr als 30 Atomkraftwerke in Betrieb. Moskau investiert zudem über
seinen Energiekonzern Rosatom im großen Stil in neue Atomkraftwerke – besonders in ehemaligen Sowjetrepubliken, die selbst weder über
Know-how noch über ausreichend Mittel verfügen. Auch in Indien,
Bangladesch und in der Türkei plant Rosatom, für den weltweit rund
250.000 Menschen arbeiten, Atomkraftwerke. Immens umstritten ist das
Engagement etwa in Weißrussland.
Die geplante Anlage in Ostrowez an der Grenze zum EU-Staat Litauen
sorgt für viel Unmut in der Region. Es wird das erste nukleare
Kraftwerk in der autoritär regierten Ex-Sowjetrepublik, die 1986
neben der Ukraine extrem von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl
getroffen wurde. Der Schock darüber sitzt noch immer tief, die
gesundheitlichen Folgen sind auch Jahrzehnte später zu spüren.
Wird es weitere schwimmende Reaktoren geben?
"Russland plant noch mehr, wir bauen aus", sagt ein Ingenieur auf dem
schwimmenden AKW im weitentfernten Murmansk. Sollte das Projekt
erfolgreich sein, könnte eine ganze Flotte an schwimmenden
Atomkraftwerken gebaut werden. Es gebe auf jeden Fall bereits großes
Interesse aus Südostasien, heißt es. Russische Umweltschützer glauben
daher, dass die "Akademik Lomonossow" eine Art Muster-AKW für
potenzielle Käufer sei und weniger die Stromversorgung für Bewohner
von Pewek im Sinn habe.
Rosatom könne bei einem potenziellen Vorfall kaum rasch handeln, sagt
Raschid Alimow von der Umweltorganisation Greenpeace. "Allen muss
klar sein, dass die Infrastruktur in dem abgelegenen Gebiet im
Notfall fehlt", sagt der Energieexperte.
"Wenn etwas schief geht, kann man nicht schnell mal hinfliegen. Die Folgen für die Region in der empfindlichen Arktis werden dramatisch sein."
Die Regierung solle
die Milliarden eher in alternative Energien investieren, als mit
Atomenergie zu experimentieren.
Rosatom hält dagegen: Es sei eines der modernsten Atomkraftwerke, von
der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) als sicher eingestuft.
"Es gibt also keinen Grund, sich Sorgen zu machen", beschwichtigt
Ingenieur Iriminku.
(ts/dpa)
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