Weltweit versucht der russische Machthaber Wladimir Putin, im Hintergrund die Fäden zu ziehen. Man denke da etwa an zahlreiche Cyberangriffe, Spionage-Aktionen oder sogar Vergiftungen mitten in Europa, die in den vergangenen Jahrzehnten regelmäßig ans Licht gekommen sind.
Doch seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine ist die Spionagearbeit schwieriger geworden. Die Geheimdienstarbeit wird durch zahlreiche Sanktionen vonseiten des Westens erschwert. Seit dem Kriegsausbruch im Jahr 2022 wurden etwa 600 Diplomat:innen aus der EU ausgewiesen, 400 von ihnen galten als Geheimdienstoffiziere, die unter diplomatischer Tarnung agierten.
Obwohl das gerade anfangs einen schweren Schlag gegen die Geheimdienstarbeit bedeutete, agiert Russland weiterhin im Ausland.
In einem beispiellosen Schachzug scheint Russland sein Spionagenetzwerk in Europa neu zu beleben. Ohne, dass entscheidende Betroffene überhaupt davon wissen.
Trotz zahlreicher Sanktionen ist es den russischen Geheimdiensten gelungen, ihr Wirken so neu zu gestalten und umzuorganisieren, sodass das zerstörte Spionagenetzwerk in Europa aufgefangen wird. Das zumindest geht aus Recherchen der "Financial Times" hervor. Demnach haben die russischen Geheimdienst FSB, GRU und SVR erfolgreich Teile des einst geschwächten Netzwerks in Europa reaktiviert. Trotz der erhöhten Wachsamkeit gegenüber russischen Aktivitäten auf dem Kontinent.
Die britische Zeitung berichtet, dass Moskau nun vermehrt auf den Einsatz von Stellvertretergruppen setzt, die sich aus Personen anderer Staaten zusammensetzen. Darunter fallen etwa Politiker:innen, Geschäftsleute und Mitglieder organisierter Kriminalität. Diese "Stellvertreter" agieren oft unwissentlich im Auftrag der russischen Sonderdienste, indem sie bestimmte Aufgaben ausführen – gegen Bezahlung.
Ein Beispiel für diese Taktik soll etwa die Flucht von Artem Uss, dem Sohn des ehemaligen Gouverneurs der Region Krasnojarsk, aus dem Hausarrest in Italien sein. Berichten zufolge wurde diese Flucht von einer serbischen Verbrechergruppe organisiert, die im Auftrag des russischen Geheimdienstes handelte. Der mutmaßliche Organisator erhielt dafür demnach rund 50.000 Euro. Doch wer der eigentliche Auftraggeber war, wussten die Akteure angeblich nicht.
Expert:innen weisen laut dem unabhängigen russischen Medium "Meduza" darauf hin, dass dieser Ansatz dem von Putin regierten Land sowohl Vor- als auch Nachteile birgt. Einerseits ermöglicht er es Russland, bei Enttarnung die Verbindung zu den Agent:innen zu leugnen.
Zudem könnten solche Spione effektiver sein als traditionelle Agent:innen, insbesondere bei Cyberoperationen oder der Umgehung von Sanktionen. Andererseits bergen laut FT-Quellen ein erhöhtes Risiko. Denn sie achten demnach möglicherweise weniger auf Geheimhaltung. Zudem sei ihre Effektivität im Vergleich zu regulären Mitarbeitenden geringer.
Die Herausforderung bestehe für Russland darin, diese Agent:innen ohne lokale Aufsicht zu kontrollieren. Daher baut Russland derzeit ein Netzwerk von Kuratoren auf, wobei die GRU vermehrt Mitarbeitende ohne militärischen Hintergrund rekrutiert, wie die "Financial Times" weiter schreibt. Dadurch sollen Legenden geschaffen werden, die es den Agent:innen ermöglichen, sich unauffällig in europäischen Ländern zu bewegen.
Neben dieser neuen Strategie setzt Russland weiterhin auf traditionelle Spionagemethoden, insbesondere in Ländern wie der Schweiz und Österreich. Dort operieren russische Agent:innen oft unter diplomatischer Tarnung. Laut österreichischen Nachrichtendiensten sind in den Botschaften dieser Länder noch rund 150 Agent:innen aktiv. Spannend: Dem Bericht zufolge werden fast ein Drittel aller Geheimdienstoperationen Russlands in Europa von Wien und Genf aus koordiniert.
Darüber hinaus habe Russland seine Spionageaktivitäten in der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten verstärkt, während ausgewiesene Agent:innen der EU nun in Serbien operieren.