
Der Regierungskritiker Alexej Nawalny sitzt seit zwei Wochen in Haft.Bild: dpa / Fabian Sommer
International
Ungeachtet massiver Polizeigewalt gegen
friedliche Demonstranten haben Zehntausende Menschen in Russland
gegen die Inhaftierung des Kremlgegners Alexej Nawalny und gegen
Präsident Wladimir Putin demonstriert. "Russland ohne Putin!",
"Russland wird frei sein" und "Freiheit für alle politischen
Gefangenen!" skandierten am Sonntag Menschen bei eisigen Temperaturen
und Schneefall in der Hauptstadt Moskau und in mehr als 100 Städten – das zweite Wochenende hintereinander.
Hundertschaften der
Sonderpolizei OMON gingen erneut mit Schlagstöcken und teils brutalen
Festnahmen gegen die Demonstranten vor. Es gab viele Verletzte.
Menschenrechtler gaben die Zahl der Inhaftierten mit mehr als
4000 landesweit an. Sie kritisierten massive Verstöße gegen das
Versammlungsrecht und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Besonders
hart ging die Polizei demnach in Putins Heimatstadt St. Petersburg
vor, wo auch Tränengas und Elektroschocker eingesetzt wurden. Viele
Demonstranten riefen "Putin wor!" – zu Deutsch: "Putin ist ein
Dieb!", auch weil der Präsident den Menschen demokratische Freiheiten
raube. Landesweit kamen auch Dutzende Journalisten, die von den
Protesten berichteten, in Polizeigewahrsam.
Nawalnys Ehefrau Julia und sein Bruder Oleg wurden festgenommen
Unter den Festgenommenen war einmal mehr Nawalnys Ehefrau Julia
Nawalnaja. Die 44-Jährige hatte zuvor bei Instagram ein Foto von sich
auf der Straße veröffentlicht. In einem weiteren Eintrag mit einem
Familienfoto kritisierte sie, dass ihr Mann inhaftiert sei, weil er
es gewagt habe, den Mordanschlag mit dem chemischen Kampfstoff
Nowitschok zu überleben. Die zweifache Mutter war bereits bei
Protesten vor einer Woche vorübergehend festgenommen worden.
Zudem beklagte Nawalnaja, dass Alexejs Bruder Oleg Nawalny als
"Geisel" in Haft genommen worden sei. "Wenn wir schweigen, dann holen
sie morgen jeden von uns." Sie warf Putin vor, nach Belieben über das
Schicksal von Menschen zu bestimmen – er entscheide, "wer
eingesperrt, wer vergiftet wird". Bei Nawalnajas Festnahme
kritisierten Unterstützer, dass sie willkürlich bei einem einfachen
Spaziergang auf der Straße von der Polizei gefasst und abgeführt
wurde, wie der Internet-Kanal Doschd zeigte.
Protestzug zum Gefängnis
In Moskau versammelten sich nach einer Sperrung der Innenstadt an
verschiedenen Punkten Menschen, die Protestzüge bildeten. Ein Zug mit
Tausenden zog zum Moskauer Untersuchungsgefängnis Nummer eins – der
im Volksmund so bezeichneten Matrosenstille. Dort sitzt Nawalny in
Haft. "Otpuskaj!" – zu Deutsch: "Freilassen!" – riefen die Menschen.
Die Sicherheitskräfte hatten die Zufahrten zum Gefängnis gesperrt. Es
kam zu einzelnen Zusammenstößen der Polizei mit Protestierern. Der
Ort galt als der am stärksten bewachte in Moskau.
Nawalnys Team, das die Proteste teils über die sozialen Netzwerke
steuerte, erklärte, dass Nawalny die Rufe seiner Unterstützer in
seiner Zelle hören solle. Viele Menschen riefen: "Freiheit für Alexej
Nawalny!". Trotz Drohungen der Polizei waren auch in anderen
russischen Städten Menschen zu Tausenden auf den Straßen. In
Jektarinburg am Uralgebirge etwa waren es mehr als 10.000 Menschen,
wie Abgeordnete der Stadt berichteten. Der ehemalige Bürgermeister
Jewgeni Roisman sagte, dass es deutlich mehr Menschen gewesen seien
als am Samstag vor einer Woche.
Die Menschen protestieren gegen soziale Ungleichheit und Korruption
Die Menschen protestierten außerdem gegen Korruption,
Justizwillkür und die Unterdrückung Andersdenkender unter Putin. Der
Politologe Gleb Pawlowski meinte, dass die Aktionen am Sonntag größer
gewesen seien als vor einer Woche. Der Machtapparat unterschätze die
Proteststimmung im Land. "Das Bild ändert sich." Themen für die
Menschen seien auch die soziale Ungleichheit und die wachsende Armut,
darunter die geringen Renten.
Die Behörden hatten prominente Vertreter von Nawalnys Team schon
im Vorfeld festgenommen. Die Hoffnung des Machtapparats, durch die
Inhaftierung der führenden Köpfe der Opposition die Proteste zum
Erliegen zu bringen, erfüllten sich nicht, wie zahlreiche
Kommentatoren immer wieder betonten.
Medien gehen von weiteren Protesten aus
Die Proteste hatte zunächst auch ein neues Enthüllungsvideo von
Nawalnys über einen riesigen Palast am Schwarzen Meer angeheizt, der
Putin zugeschrieben wurde. Am Wochenende meldete sich nach zwei
Wochen ein als Putin-Vertrauter geltender Unternehmer zu Wort und
erklärte, er sei der Eigentümer des luxuriösen Anwesens.
"Stellen Sie sich auf Proteste an jedem Wochenende ein", sagte
der Chefredakteur des Radiosenders Echo Moskwy, Alexej Wenediktow,
einer der profiliertesten Beobachter, der auch im Kreml geschätzt
wird. Es gehe bei den Demonstrationen nicht nur um Freiheit für
Nawalny. Es handele sich um Proteste gegen Ungerechtigkeit. Experten
betonen, dass der Machtapparat die russische Justiz zunehmend
instrumentalisiere, um politische Andersdenkende mundtot zu machen.
Die USA und die EU fordern Freilassung Nawalnys
Der Putin-Gegner Nawalny sitzt seit seiner Rückkehr nach Russland
vor zwei Wochen eine 30-tägige Haftstrafe ab, weil er während seines
Aufenthaltes in Deutschland gegen Bewährungsauflagen in einem
früheren Strafverfahren verstoßen haben soll. In Deutschland hatte
sich Nawalny fast fünf Monate von dem Nowitschok-Anschlag erholt. Der
russische Strafvollzug wirft ihm vor, in der Zeit gegen Meldeauflagen
bei Behörden verstoßen zu haben. Bei einem an diesem Dienstag
angesetzten Prozess soll ein Gericht darüber entscheiden, ob Nawalnys
frühere Bewährungsstrafe nachträglich in echte Haft umgewandelt wird.
Nawalnys Team hat neue Proteste angekündigt, sollte Nawalny am 2.
Februar zu einer Haftstrafe verurteilt werden. Das Vorgehen der
russischen Justiz steht in westlichen Ländern in der Kritik. Die USA,
die EU und die Bundesregierung haben mehrfach die Freilassung
Nawalnys und seiner friedlichen Unterstützer verlangt.
Russland verweist auf "innere Angelegenheiten"
Wegen der Vergiftung mit dem international geächteten Nervengift
Nowitschok hatte die EU bereits Sanktionen gegen ranghohe russische
Funktionäre verhängt. Es drohten bei einer Gefängnisstrafe für
Nawalny und den Verstößen gegen Menschenrechte weitere Sanktionen.
"Die USA verurteilen die anhaltende Anwendung brutaler Taktiken
gegen friedliche Demonstranten und Journalisten durch die russischen
Behörden in der zweiten Woche in Folge", teilte US-Außenminister
Antony Blinken am Sonntag auf Twitter mit. Das russische
Außenministerium wies dies als unzulässige Einmischung in innere
Angelegenheiten zurück.
(lfr/dpa)
Selten war Konsens trauriger. Alle Spitzenparteien sind sich einig, dass die Migrationspolitik noch ein paar Zähne mehr vertragen könnte. Die CDU setzt für den merz'schen Fünf-Punkte-Plan auf Unterstützung von Rechtsaußen, die Grünen mit ihrem habeck'schen Zehn-Punkte-Pendant versuchen es ganz demokratisch, frei nach dem Motto: Solange die AfD nicht mitmacht, ist es schon okay.