Die Frage nach dem Umgang mit Geflüchteten hat sich mit Macht in der Agenda der europäischen Politik zurückgemeldet. Seit die Türkei ihre Grenze zur EU öffnete, versuchen Tausende Menschen über die Grenze zu gelangen. Griechenland hält sie davon ab, oft unter Einsatz von Gewalt, auch gegen Kinder und Frauen.
Die Türkei wirft der EU vor, sich nicht an den Flüchtlings-Deal zu halten, die EU verurteilt Erdogans Vorgehen. Unterdessen harren um 4 Millionen Menschen in der Türkei aus, viele von ihnen sind vor der Gewalt im Nachbarland Syren geflohen.
Wird ihnen geholfen? Und wenn ja, wie und von wem? Und wie wird die Beziehung zwischen EU und der Türkei in Zukunft aussehen?
In unserem Newsblog halten wir euch auf dem Laufenden.
Beim Koalitionsausschuss am Sonntag hatten sich Union und SPD auf die Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen aus den überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland geeinigt. SPD-Chefin Saskia Esken sagte danach im ZDF-"Morgenmagazin", der Beschluss habe "beschämend lang gedauert".
Am Dienstag konterte nun Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU). Er kritisiert Esken für ihr Verhalten im Zusammenhang mit dem Treffen des Koalitionsausschusses am Sonntagabend. Die SPD habe teilweise stundenlang wegen eines Satzes verhandelt, sagte Brinkhaus am Dienstag nach Angaben aus Teilnehmerkreisen in der Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag.
Es sei nicht anständig, dass Esken danach an die Öffentlichkeit gehe und politisches Kapital daraus schlage, dass so lange verhandelt worden sei, sagte Brinkhaus demnach. Angesichts dessen, was Deutschland unter Führung der Union in den letzten Jahren für Flüchtlinge getan habe, verbitte er sich "jede Beurteilung über unsere Auffassung von Humanität", wird Brinkhaus zitiert. "Wenn alle Länder so eine Humanität hätten wie Deutschland, sähe es in Europa anders aus", sagte er demnach unter dem Applaus der Abgeordneten.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will sich am kommenden Dienstag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Istanbul treffen. "Wir werden einen Vierergipfel haben, wenn Boris Johnson (auch) kommen kann – wenn nicht, haben wir einen Dreiergipfel", sagte Erdogan laut einem am Dienstag vom präsidialen Presseamt veröffentlichten Transkript eines Gesprächs mit Journalisten auf dem Rückflug aus Brüssel am Vorabend. Zur konkreten Agenda sagte Erdogan demnach zunächst nichts.
In Brüssel hatte Erdogan sich am Montag mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratschef Charles Michel getroffen. Anlass war die Entscheidung des türkischen Präsidenten, Flüchtlinge und Migranten nicht mehr von der Einreise in die Europäische Union abzuhalten. Daraufhin kamen Tausende Menschen an die Grenze zu Griechenland.
Ein deutscher Regierungssprecher wollte den Termin am Dienstag in Berlin noch nicht bestätigen. Die Kanzlerin habe mehrfach bekräftigt, zu einem solchen Treffen bereit zu sein, erklärte er auf Anfrage. Einen konkreten Termin dafür gebe es noch nicht. Die Termine und Reisen Merkels würden wie üblich jeweils am Freitag der Vorwoche bekanntgegeben.
Merkel hatte sich am Montag für eine Weiterentwicklung des EU-Türkei-Abkommens ausgesprochen. Es sei "inakzeptabel", dass die Türkei versuche, "eigene Probleme auf dem Rücken von Flüchtlingen zu lösen". Deshalb setze sie sich dafür ein, "dass das EU-Türkei-Abkommen in eine neue Stufe überführt werden kann". Ziel sei es, "Flucht und Migration zu ordnen, zu steuern und zu reduzieren".
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu äußerte am Dienstag die Hoffnung, dass bis zum nächsten EU-Gipfel in gut zwei Wochen ein neues Flüchtlingsabkommen zwischen Ankara und Brüssel gefunden sei. "Wir sind zu konstruktiver Arbeit bereit", sagte er Anadolu. "Es geht nicht nur darum, Migranten im Gegenzug für mehr Geld zu behalten." Der nächste Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs findet am 26. März statt.
Bis zu 1500 Kinder aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Ägäis-Inseln sollen in den kommenden Wochen in anderen europäischen Staaten aufgenommen werden. Die Aufnahme dieser besonders schutzbedürftigen Minderjährigen sei "keine Frage von Monaten, sondern eher von Wochen", sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Montag in Berlin. Er betonte, diese humanitäre Aktion sei kein deutscher Alleingang.
SPD und Union hatten in der Nacht bei einem Treffen im Kanzleramt beschlossen, Griechenland solle unterstützt werden bei der "schwierigen humanitären Lage von etwa 1000 bis 1500 Kindern auf den griechischen Inseln". Es gehe um Kinder, die schwer erkrankt oder unbegleitet und jünger als 14 Jahre sind, die meisten davon Mädchen. Auf europäischer Ebene werde derzeit verhandelt, um in einer "Koalition der Willigen" die Übernahme dieser Kinder zu organisieren. "In diesem Rahmen steht Deutschland bereit, einen angemessenen Anteil zu übernehmen", teilte die Koalition mit.
Die Spitzen der schwarz-roten Koalition haben sich auf die Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen aus den überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland geeinigt. Deutschland sei bereit, im Rahmen einer "Koalition der Willigen" auf europäischer Ebene "einen angemessenen Anteil" zu übernehmen, heißt es in einem Beschluss des schwarz-roten Koalitionsausschusses vom frühen Montagmorgen. Ein Zeitraum oder eine konkrete Zahl wurden nicht genannt.
Etwa tausend unbegleitete Minderjährige müssten aus den Flüchtlingslagern auf den Ägäis-Inseln geholt werden, forderte Parteichef Norbert Walter-Borjans am Sonntag im Deutschlandfunk. Er betonte die Dringlichkeit: "Wir werden die Menschen nicht sterben lassen, wenn diese Lösung nicht schnell herzustellen ist, dann muss Deutschland handeln, erst recht, wenn SPD-geführte Bundesländer und viele Kommunen die Bereitschaft erklärt haben, diese überschaubare Zahl von Menschen aufzunehmen."
Die Ko-Vorsitzende der SPD, Saskia Eskens, mahnte in der "Augsburger Allgemeinen" (Montagsausgabe): "Wir müssen diese Kinder endlich da rausholen." In dieser Frage müsse "dringend und unter allen Umständen etwas geschehen".
Walter-Borjans betonte, er setze auf eine gesamt-europäische Beteiligung. Zudem müsse die EU Griechenland bei der Aufnahme von Flüchtlingen unterstützen, forderte er. Mitgliedstaaten, die sich nicht beteiligten, müssten bei den Haushaltsbeschlüssen sanktioniert werden.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat Forderungen eine Absage erteilt, in der jetzigen Lage Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen. "Wir brauchen eine europäische Lösung und keinen deutschen Alleingang", sagte Söder der "Welt am Sonntag". "Deswegen wäre es falsch, der EU in den Rücken zu fallen."
Natürlich müsse Deutschland humanitäre Hilfe leisten, fuhr der CSU-Chef fort. "Aber das heißt jetzt zunächst, Griechenland zu unterstützen und die Situation vor Ort zu verbessern. Europa und Deutschland dürfen Griechenland nicht alleinlassen."
Immer wieder kam es in der Nacht und am frühen Morgen zu Attacken mit Tränengas, Rauchbomben und Blendgranaten, die von der türkischen Seite aus über den Zaun geschossen wurden, wie griechische Medien berichten. Für Aufregung sorgen in Griechenland zudem Aufnahmen einer Wärmebildkamera der griechischen Polizei. In der Nacht zum Samstag wurde damit ein gepanzertes Fahrzeug beim Versuch gefilmt, den Grenzzaun einzureißen, um den Flüchtlingen und Migranten den Weg nach Europa freizumachen.
Ein Aufnahmezentrum für Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos ist am Samstag in Brand gesteckt worden. Aus der Schweizer Nichtregierungsorganisation One Happy Family, die die Einrichtung für Flüchtlingsfamilien betreibt, hieß es, das Gebäude sei schwer beschädigt worden, Menschen seien nicht zu Schaden gekommen.
In Griechenland soll ab Mitte März die finanzielle Unterstützung für Flüchtlinge gekappt werden. "Unser Ziel ist es, Berechtigten innerhalb von zwei bis drei Monaten Asyl zu gewähren und anschließend die Leistungen und die Unterbringung zu streichen, weil all diese Maßnahmen dazu beigetragen haben, dass die Menschen ins Land kommen und diese Leistungen ausnutzen", sagte der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis am Samstag dem griechischen Fernsehsender Skai.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die Küstenwache seines Landes angewiesen, Boote mit Migranten an der Überfahrt nach Griechenland zu hindern. Auf "Anordnung des Präsidenten" werde keine Erlaubnis zum Überqueren der Ägäis mehr erteilt, teilte die Küstenwache am Freitagabend im Kurzbotschaftendienst Twitter mit. Zur Begründung verwies sie auf die "Gefahren" der Überfahrt.
Die Küstenwache stellte zugleich klar, dass das neue Vorgehen in der Ägäis keinen Kurswechsel in der Flüchtlingskrise darstelle. Die Türkei hindere weiterhin keine Migranten daran, das Land auf eigenen Wunsch zu verlassen. Die Anordnung beziehe sich nur auf die Überfahrten durch die Ägäis.
In der östlichen Ägäis nehmen die Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei zu. Griechische Medien veröffentlichten Videoaufnahmen, die zeigen, wie die türkische Wasserpolizei ein griechisches Boot der Küstenwache abdrängt und dabei gefährliche Manöver vollführt. Die Aufnahmen stammen laut griechischen Angaben vom Freitagmorgen.
Im Flüchtlingsstreit hat die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock eine neue Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und der Türkei gefordert. Mit Blick auf das bisherige EU-Türkei-Abkommen sagte sie der "Rheinischen Post" (Samstag): "Statt dieses gescheiterten Deals brauchen wir ein neues, rechtsstaatlich garantiertes Abkommen, das aus den Fehlern der Vergangenheit lernt." Es müsse sicherstellen, "dass Menschen gut versorgt sind und die 27 EU-Staaten nicht wie Dominosteine umfallen, wenn (der türkische Präsident Recep Tayyip) Erdogan einmal pustet."
Die Äußerungen Hahns liegen AFP in redaktioneller Form vor - EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn hat weitere EU-Finanzhilfen für die Türkei wegen der Flüchtlingskrise an Bedingungen geknüpft. "Wir erwarten, dass die erpresserische Politik Ankaras durch die Entsendung von Flüchtlingen in Richtung EU eingestellt wird", sagte Hahn der Zeitung "Welt" (Samstagsausgabe). Die EU sei dann prinzipiell auch bereit, "weitere Finanzhilfen zur Unterstützung der Flüchtlinge in der Türkei bereitzustellen". Diese würden jedoch "deutlich geringer" ausfallen als im bisherigen EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei, kündigte Hahn an.
(reuters/dpa/afp/lin/pcl)