Jair Lapid hat ein Bündnis aus acht verschiedenen Parteien gegründet.Bild: dpa / Oded Balilty
International
Erstmals seit zwölf Jahren ist in Israel
eine Regierung ohne den rechtskonservativen Ministerpräsidenten
Benjamin Netanjahu gebildet worden. Der bisherige Oppositionsführer
Jair Lapid teilte Präsident Reuven Rivlin am Mittwochabend kurz vor
Ablauf einer Frist mit, er habe ein Bündnis von acht Parteien aus
allen politischen Lagern geschmiedet. Darunter ist die ultrarechte
Jamina-Partei des Ex-Verteidigungsministers Naftali Bennett, der laut
einer Rotationsvereinbarung zunächst Regierungschef werden und zwei
Jahre später von Lapid abgelöst werden soll. Erstmals soll auch eine
arabische Partei Teil der israelischen Regierung werden.
Lapid schrieb am Mittwochabend auf Twitter: "Ich verpflichte
mich, dass diese Regierung allen Bürgern Israels dienen wird." Dies
gelte für "jene, die für sie gestimmt haben, und jene, die dies nicht
getan haben", schrieb der 57-jährige Vorsitzende der Zukunftspartei,
die in der politischen Mitte angesiedelt ist. Die neue Regierung
werde "ihre Gegner respektieren und alles dafür tun, alle Teile der
israelischen Gesellschaft zu einen und zu verbinden".
Vorerst Ende der Ära Netanjahu
Mit Vereidigung der neuen Regierung im Parlament wäre die Ära
Netanjahu vorerst beendet. Als voraussichtlicher Vereidigungstermin
galt bislang der 14. Juni, Lapid teilte jedoch mit, er strebe den
frühestmöglichen Termin an. Damit die ungewöhnliche Koalition ihre
Regierungsarbeit aufnehmen kann, muss eine einfache Mehrheit der 120
Abgeordneten für sie stimmen. Es wird damit gerechnet, dass
Netanjahus Anhänger bis zur Vereidigung mit aller Macht versuchen
werden, das wacklige Bündnis von Lapid und Bennett zum Scheitern zu
bringen. Bis zuletzt gab es Berichte über mögliche Abtrünnige in den
Reihen der Jamina-Partei.
Der Jamina-Vorsitzende Bennett galt nach der Wahl am 23. März – der vierten binnen zwei Jahren – als Zünglein an der Waage. Lapid
will dem 49-Jährigen bei der Rotation den Vortritt lassen, um die
Regierungsbildung überhaupt erst zu ermöglichen, obwohl Bennetts
Partei deutlich kleiner ist. Erst am 27. August 2023 soll Lapid laut
der Vereinbarung Bennett im Amt des Ministerpräsidenten ablösen.
Bis zur letzten Minute hatte es heftige Meinungsverschiedenheiten
zwischen den potenziellen Koalitionspartnern gegeben. Die
Verhandlungen dauerten bis kurz vor Ablauf einer Frist an: Bis 23 Uhr
deutscher Zeit am Mittwoch musste Lapid eine Regierung bilden, sonst
wäre dieser Auftrag ans Parlament übergegangen – mit wohl sehr
geringen Erfolgsaussichten. Im Falle eines Scheiterns wären abermals
Neuwahlen fällig geworden.
Bündnis aus acht Parteien
Lapids Zukunftspartei war bei der Wahl im März zweitstärkste
Kraft hinter dem rechtskonservativem Likud von Netanjahu geworden.
Der Langzeit-Premier war bereits von 1996 bis 1999 Ministerpräsident
und ist seit 2009 durchgängig im Amt. Länger als er hat niemand seit
Israels Staatsgründung 1948 regiert. Lapid stieg nach einer Karriere als Fernsehmoderator in die Politik ein. In einer früheren Netanjahu-Regierung diente er als Finanzminister.
Lapid stützt sich auf ein Bündnis seiner Zukunftspartei mit
sieben kleinen Parteien aus allen Bereichen des politischen
Spektrums. Sie eint vor allem die Abneigung gegen Netanjahu, der sich
mit einem laufenden Korruptionsprozess konfrontiert sieht. Ihre
politischen Ziele klaffen jedoch weit auseinander.
Bennett, der mit einem Internet-Start-up zum Millionär wurde,
steht für national-religiöse Politik, seine Partei gilt als
siedlerfreundlich. Die Koalitionspartner der Partei Meretz, der
Arbeitspartei sowie der von Islamisten geführten arabischen Partei
Raam sind für die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates.
Dies könnte die Arbeit der Lapid-Koalition erschweren.
Politische Krise
Israel verharrte zuletzt in einer politischen Dauerkrise. Auch
die vierte Parlamentswahl seit 2019 hatte Ende März erneut keine
klaren Mehrheitsverhältnisse ergeben. Rivlin beauftragte am 5. Mai
Lapid mit der Regierungsbildung, Netanjahu war zuvor daran
gescheitert.
Die Vorsitzende der sozialdemokratischen Arbeitspartei, Merav
Michaeli, sagte nach der Regierungsbildung: "Heute haben wir es
geschafft, wir haben Geschichte geschrieben." Der Eintritt in das
Bündnis sei für sie eine schwere Entscheidung gewesen. "Wir haben
noch einen langen Weg vor uns", sagte sie. "Heute Abend machen wir
einen neuen Anfang."
Zusammenarbeiten muss der künftige Ministerpräsident mit dem am
Mittwoch neu gewählten Staatsoberhaupt Izchak Herzog. Der 60-jährige
ehemalige Oppositionsführer gewann mit 87 zu 26 Stimmen gegen die 67
Jahre alte Lehrerin und Aktivistin Miriam Peretz. Herzog kündigte an,
er wolle "Präsident aller Israelis" sein und sich für eine Einheit in
dem gespaltenen Land einsetzen. "Jetzt ist die Zeit, Brücken zu
bauen." Er übernimmt am 9. Juli Rivlins Amt. Der Präsident hat in
Israel vor allem eine repräsentative Funktion.
(pas/dpa)
Die Historikerin Anne Applebaum ist eine ausgewiesene Russland- und Ukraine-Expertin. Im Interview erklärt sie, weshalb Wladimir Putin den Krieg eskaliert, sie den Deutschen dankbar ist und Donald Trump in Moskau mit Michail Gorbatschow verglichen wird.
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