
In den USA halten die Proteste der "Black Lives Matter"-Bewegung weiter an.Bild: imago images / Levine-Roberts
International
25.06.2020, 17:2425.06.2020, 23:33
"Ich kann nicht atmen" – die Aufnahmen von George Floyds qualvollem
Tod haben die USA verändert. Es wird über Rassismus und Polizeigewalt
debattiert. Unternehmen, Sportverbände und Politik bewegen sich. Das
dürfte auch Auswirkungen auf die Präsidentenwahl haben.
"Papa hat die Welt verändert" – das sagte George
Floyds sechsjährige Tochter Gianna schon kurz nach dem Tod ihres
Vaters bei einem brutalen Polizeieinsatz. Einen Monat später ist
klar, dass der Tod des Afroamerikaners in den USA tatsächlich
Veränderungen angestoßen hat. Im ganzen Land haben sich Menschen
aller Hautfarben an Massenprotesten beteiligt, die eine Debatte über
systematischen Rassismus und Polizeigewalt angestoßen haben. Im
Sport, in der Politik, Wirtschaft und bei der Polizei hat sich mehr
verändert als in vielen Jahren zuvor. Aber es gibt auch Widerstand.
Wandel in den Köpfen
Nach Floyds Tod am 25. Mai haben in zahlreichen Städten Amerikas an
vielen Tagen jeweils Tausende Menschen demonstriert – und das trotz
Corona-Beschränkungen. Langjährigen Beobachtern zufolge, darunter
etwa Ex-Präsident Barack Obama, hatten sich zuvor noch nie so viele
Weiße an solchen Protesten beteiligt. Millionen Menschen äußerten
sich zudem in sozialen Medien und solidarisierten sich mit der
Bewegung "Black Lives Matter". Mehrere Umfragen haben gezeigt, dass
inzwischen eine Mehrheit der Amerikaner Rassismus für ein großes
Problem hält und die Proteste dagegen unterstützt.

Ganze 8 Minuten und 46 Sekunden kniete ein Polizist auf George Floyd´s Nacken – auch nachdem dieser bereits bewusstlos wurde.Bild: imago images / ZUMA Press
Symbole der Unterdrückung
Plötzlich werden Statuen von Persönlichkeiten, denen Sklavenhaltung
oder die Unterdrückung von Schwarzen oder Ureinwohnern vorgeworfen
wird, infrage gestellt. Im Bundesstaat Virginia soll eine Statue des
einstigen Südstaaten-Generals Robert E. Lee abgebaut werden, in San
Francisco und Boston geht es um den Kolonialisten Christopher
Kolumbus.
Im Kapitol in Washington wurden historische Porträts
abgehängt, weil es dort keinen Platz für den "brutalen Fanatismus und
grotesken Rassismus der Konföderierten" gebe, hieß es. Ein Gedenktag
zum Ende der Sklaverei soll nun in vielen Bundesstaaten ein Feiertag
werden. Filmklassiker wie "Vom Winde verweht" sollen künftig nur noch
mit Erklärungen zu deren rassistischen Vorurteilen gezeigt werden.

In Washington D.C. wurde die Statue eine Konfederierten-Generals zu Boden gerissen.Bild: imago images / ZUMA Wire
Polizeireformen
Minutenlang drückte ein weißer Polizist sein Knie in Floyds Nacken.
Mehrere Bundesstaaten und Städte – darunter Minneapolis, Atlanta, New
York und Washington – brachten als Konsequenz Polizeireformen auf den
Weg, um exzessive Gewaltanwendung zu unterbinden. Sie haben
Polizisten zum Beispiel Würgegriffe und Halsfixierungen verboten.
Auch auf nationaler Ebene gibt es Bewegung. US-Präsident Donald Trump
unterschrieb eine Verfügung mit ersten Polizeireformen. Die
Demokraten schlugen im Kongress sehr weitgehende Reformen vor, die
Republikaner wollen ein weniger ambitioniertes Gesetz.
Unternehmen wollen Wandel
Einer Analyse der Online-Plattform Axios zufolge haben Amerikas
größte Unternehmen seit Floyds Tod versprochen, zusammengenommen rund
zwei Milliarden Dollar (rund 1,77 Milliarden Euro) für den Kampf
gegen Rassismus und Ungleichheit zu spenden. Darunter waren Banken,
Tech-Firmen und Einzelhändler. Viele Firmen sagten auch zu,
Angehörige von Minderheiten gezielt zu fördern. Der deutsche
Sportartikelhersteller Adidas will bei den Marken Adidas und Reebok
in den USA künftig mindestens 30 Prozent aller neuen Stellen mit
Schwarzen oder Latinos besetzen. "Wir müssen und werden besser sein",
hieß es. Luft nach oben gibt es reichlich: Obwohl Schwarze 13 Prozent
der US-Bevölkerung ausmachen, haben nur vier der 500 umsatzstärksten
Firmen einen afroamerikanischen Geschäftsführer.
Veränderungen am Frühstückstisch
Etablierte Marken beleuchten, inwieweit ihre Namen und Logos
rassistische Stereotypen bedienen. Der US-Getränke- und
Lebensmittelmulti Pepsi etwa gibt seiner 130 Jahren alten
Frühstücksmarke "Aunt Jemima", die vor allem Backmischungen für
Pfannkuchen und Sirup umfasst, nun einen neuen Anstrich. Kritiker
stören sich vor allem am Logo, das in ihren Augen klischeehaft eine
schwarze Frau als Maskottchen im Stil einer freundlichen Dienerin
abbildet. Der US-Lebensmittelkonzern Mars kündigte an, seine
Reismarke Uncle Ben's "weiterzuentwickeln". Das Produkt zeigt den
Kopf eines älteren schwarzen Mannes mit weißen Haaren. Mars wolle
helfen, rassistische Vorurteile zu bekämpfen. "Es gibt in der
Gesellschaft keinen Platz für Rassismus", erklärte der Hersteller.
Auswirkungen auf die Präsidentenwahl
Floyds Tod hat wenige Monate vor der Präsidentenwahl auch die Politik
verändert. Experten gehen davon aus, dass sich Schwarze und
Angehörige anderer Minderheiten infolge der Massenproteste verstärkt
politisch engagieren werden – und dann im November auch tatsächlich
abstimmen werden.

Gilt als designierter Präsidentschaftskandidat der Demokraten: Joe Biden.Bild: imago images / ZUMA Press
Eine höhere Wahlbeteiligung dieser Gruppen dürfte
dem designierten demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden
in die Hände spielen. Barack Obamas früherer Vizepräsident erfreut
sich bei Minderheiten größerer Beliebtheit als Trump. Zudem haben
sich seit Floyds Tod die Anzeichen vermehrt, dass er eine nicht-weiße
Frau als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft auswählen könnte.
Trump redet Rassismus klein
Vor allem einer tritt bei den Veränderungen auf die Bremse: Präsident
Trump. Er hat das brutale Vorgehen gegen Floyd als Einzelfall
verurteilt, erkennt jedoch weder Polizeigewalt gegen Schwarze noch
systematischen Rassismus als großes Problem an. Die Proteste nahm er
als Kampfansage wahr und drohte Demonstranten mit dem Einsatz
"bösartiger Hunde" und den Streitkräften – anstatt Verständnis zu
zeigen und das Land zu einen.
Eingriffe in die Erinnerungskultur
verbittet er sich, wofür er Beifall von seinen konservativen
Anhängern bekommt. "Unsere Helden sind keine Quelle der Schande",
sagte Trump am Dienstag in Arizona. "Wir müssen unsere Vergangenheit
wertschätzen, wir müssen gut oder schlecht wertschätzen."
Sport im Wandel
Der Sport hat in den USA großen Einfluss, sowohl die Stars einzelner
Sportarten als auch deren Verbände. Die National Football League
(NFL) vollzog nach Floyds Tod eine Kehrtwende. NFL-Boss Roger Goodell
gestand Fehler ein, positionierte sich so deutlich wie noch nie gegen
Rassismus und "die systematische Unterdrückung schwarzer Menschen".
Er ermunterte alle, friedlich zu protestieren. Goodell hatte 2016 den
schwarzen Quarterback Colin Kaepernick kritisiert, der aus Protest
gegen Polizeigewalt während des Abspielens der Nationalhymne gekniet
hatte. Der US-Fußballverband kippte eine seiner Regeln und
entschuldigte sich für das Verbot zu knien und die Ignoranz gegenüber
seinen schwarzen Spielerinnen und Spielern. Und die populärste und
vor allem im Süden der USA beliebte Motorsportserie Nascar hat
inzwischen die Kriegsflagge der Konföderierten bei ihren Rennen
verboten.
Der Hintergrund: Floyd und Rassismus
Der unbewaffnete Floyd (46) war bei einer Festnahme in Minneapolis im
Bundesstaat Minnesota getötet worden. Ein Polizist kniete rund acht
Minuten auf seinem Hals. Floyd war wegen des Verdachts festgenommen
worden, mit einem falschen 20-Dollar-Schein bezahlt zu haben.
Mit "systematischem Rassismus" ist die strukturelle Benachteiligung
Schwarzer gemeint. Schwarze in den USA leben im Durchschnitt weniger
lang, sind weniger gesund und weniger gebildet als Weiße. Schwarze
werden bei gleichen Verbrechen zu längeren Haftstrafen verurteilt als
Weiße. Das durchschnittliche Vermögen einer schwarzen Familie
entspricht einem Zehntel des Vermögens einer weißen Familie – ein
Verhältnis, das sich seit Jahrzehnten kaum verändert hat.
(vdv/dpa)
Der neue US-Präsident Donald Trump liefert Schlagzeilen in Fließband-Geschwindigkeit. Er droht mit Zollen, will am liebsten Kanada und Grönland einverleiben, schmeißt LGBTQIA+-Errungenschaften seines Vorgängers Joe Bidens über Bord und verlässt etwa die Weltgesundheitsorganisation.