Politik
International

Hongkong: Rückgriff auf Notstandsrecht löst neue Proteste aus + U-Bahn-Verkehr eingestellt

Bei den Protesten kam es erneut zu gewaltsamen Ausschreitungen
Bei den Protesten kam es erneut zu gewaltsamen AusschreitungenBild: ap
International

Hongkong: Rückgriff auf Notstandsrecht löst neue Proteste aus + U-Bahn-Verkehr eingestellt

05.10.2019, 12:24
Mehr «Politik»

Der Rückgriff auf koloniales Notstandsrecht und das Vermummungsverbot haben in Hongkong neue Proteste ausgelöst. Tausende Menschen demonstrierten am Freitag, bauten Straßenblockaden, warfen Brandsätze und demolierten U-Bahnstationen oder Geschäfte mit Beziehungen zur Volksrepublik China. Ein junger Mann wurde angeschossen und verletzt.

Ein Polizist, der nicht im Dienst war, sei in einen Tumult geraten und habe die Waffe gezogen, berichtete die "Hong Kong Free Press".

Eine von Aktivisten beantragte einstweilige Verfügung gegen das Vermummungsverbot lehnte das Oberste Gericht noch am Freitagabend ab, wie die "South China Morning Post" berichtete.

Es kam zu schweren Ausschreitungen.

Bei der neuen Welle von Protesten hielten sich die Polizeikräfte zunächst zurück, gingen aber dann mit Tränengas und Schlagstöcken vor. Es kam zu schweren Ausschreitungen. Wegen Brandstiftungen und Beschädigungen stellte die U-Bahn aus Sicherheitsgründen alle Dienste ein. Viele Demonstranten trugen als Zeichen des Protestes Masken, bevor um Mitternacht das Vermummungsverbot in Kraft trat.

Die Regierung in Peking begrüsste den Bann auf Grundlage eines fast 100 Jahre alten Kolonialgesetzes und forderte ein härteres Durchgreifen. "Das gegenwärtige Chaos in Hongkong kann nicht ewig andauern", sagte der Sprecher des Hongkong-Amtes des Staatsrates. "Jetzt ist ein wichtiger Zeitpunkt gekommen, um den Sturm mit einer eindeutigen Haltung und wirksameren Methoden zu stoppen."

Das verschärfte Vorgehen durch Regierungschefin Carrie Lam erfolgte nach ihrer Rückkehr von einem Besuch in Peking, wo sie am Dienstag an den Feiern und der Militärparade zum 70. Gründungstag der Volksrepublik teilgenommen hatte. "Die öffentliche Ordnung ist in einem sehr gefährlichen Zustand", begründete Lam, warum sie sich mit dem Notstandsgesetz ermächtigte, das Vermummungsverbot durchzusetzen.

Zunahme der Gewalt

Die Gewalt habe zugenommen, sagte Lam. Die Täter hätten meistens ihre Gesichter bedeckt. "Wir können nicht erlauben, dass die Situation immer schlimmer wird", sagte sie.

So tragen die Demonstranten Masken und Brillen, um sich vor Tränengas oder Pfefferspray zu schützen. Außerdem wollen sie verhindern, dass die Polizei sie identifiziert.

Nachdem am Dienstag erstmals ein Demonstrant angeschossen worden war, bekam das zweite Schussopfer nach Medienberichten eine Kugel in den linken Oberschenkel. Es gab eine Auseinandersetzung zwischen dem Polizisten, der nicht im Dienst war, und Aktivisten. Laut "Apple Daily" soll er einen Demonstranten auf der Straße mit seinem privaten Auto angestoßen haben. Er sei umringt worden. In dem folgenden Chaos habe der Polizist seine Waffe gezogen und geschossen.

Demonstranten hätten ihn verprügelt. Wie in einem Video zu sehen ist, wurde dann ein Brandsatz auf ihn geworfen. Doch konnte er dem Feuer entkommen. Er verlor seine Waffe, die auf dem Boden landete, konnte sie aber wieder zurückholen, bevor ein Demonstrant sie aufgreifen konnte.

Die Argumentation der Regierungschefin zum Notstand wirkte widersprüchlich. So betonte Lam, dass sie nicht formell den Notstand erkläre, auch wenn sie sich auf das Notstandsrecht stütze. "Das bedeutet nicht, dass Hongkong im Notstand ist."

Ziel des Verbots sei, dass die Wirtschafts- und Finanzmetropole wieder zu Frieden zurückkehre. Dem Parlament werde der Bann auf seiner nächsten Sitzung am 16. Oktober vorgelegt, um ihn zu einem Gesetz zu machen.

Gesetz von 1922

Das Gesetz "für Notfälle und bei öffentlicher Gefahr" hatten die britischen Kolonialherren 1922 erlassen, und es wurde nur zweimal angewandt: Um im selben Jahr einen Streik von Seeleuten niederzuschlagen, der den Hafen lahmgelegt hatte, sowie 1967 bei Unruhen und Protesten prokommunistischer Kräfte gegen die britische Kolonialherrschaft.

Das Gesetz unter Kapitel 241 ermöglicht weitere Notstandsmaßnahmen, "die als notwendig im öffentlichen Interesse betrachtet werden". Ausdrücklich genannt werden unter anderem Zensur, erleichterte Festnahmen und Haftstrafen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme und die Unterbrechung von Kommunikationsnetzwerken.

Ausnahmen vom Vermummungsverbot gelten für Personen, die aus beruflichen, gesundheitlichen oder religiösen Gründen einen Gesichtsschutz tragen. Ähnlich für Journalisten, die über die Proteste berichten und sich auch mit Masken gegen Tränengas schützen. Die Polizei kann aber jede Person in der Öffentlichkeit bei Verdacht auffordern, zur Identifizierung den Gesichtsschutz abzulegen. Wer dem nicht folgt, muss mit Strafen bis zu sechs Monaten Haft rechnen.

U-Bahn-Verkehr einegstellt

Angesichts der teils gewaltsamen Massenproteste wurde der U-Bahn-Verkehr vorläufig eingestellt. Die Bahnen und Busse in der chinesischen Sonderverwaltungszone würden ab Samstagmorgen nicht fahren, erklärte der Betreiber.

Betroffen sei auch die Verbindung zum internationalen Flughafen Hongkong. Im Verlauf des Tages werde über die Fortdauer der Maßnahme entschieden.

Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften waren mehrfach U-Bahn-Stationen verwüstet worden. Bevor Mitarbeiter des Verkehrsbetriebs zu Reparaturarbeiten ausrücken könnten, müsse deren Sicherheit gewährleistet sein, begründete der Betreiber die jüngste Entscheidung.

In Hongkong gibt es seit Monaten Massenproteste gegen die wachsende Einflussnahme der Regierung in Peking und die Beschneidung der Bürgerrechte. Die Demonstrationen hatten sich anfänglich gegen ein geplantes Gesetz gerichtet, das Überstellungen von Verdächtigen an Festland-China vorsah. Mittlerweile richten sich die Proteste aber generell gegen die prochinesische Führung in Hongkong und die Einschränkung der Demokratie.

(viw/afp/dpa)

Dauer-Streit über Abtreibungen: Warum dieses Thema die US-Wahl entscheiden könnte

Das Thema Abtreibung hat noch nie eine so große Rolle im US-Wahlkampf gespielt, wie dieses Mal. Denn vor zwei Jahren kippte der oberste Gerichtshof in Washington das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche.

Zur Story