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Iran nach Waffenruhe: Repression gegen Frauen, Verhaftungen und Angst

A Muslim girl in a black hijab stands behind a patterned wrought-iron fence. Woman in a conservative Arab country.
Für Frauen im Iran endet mit dem Krieg nicht der eigentliche Kampf.Bild: imago images / Depositphotos
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"Die Angst bleibt": Was Frauen im Iran nach der Waffenruhe befürchten

Offiziell schweigen die Waffen zwischen Israel und Iran. Doch Berichte über Massenverhaftungen und neue Repressionsgesetze verdichten sich. Wie erleben Iranerinnen diesen "Frieden", der keiner ist? Eine Analyse zwischen Hoffnung, Trauma – und der Angst vor dem nächsten Schlag.
26.06.2025, 20:0626.06.2025, 20:06
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Als in der Nacht zum 23. Juni das iranische Regime einer Waffenruhe mit Israel zustimmte, atmete die Welt auf. Internationale Medien sprachen von einem "Durchbruch", von "Einsicht", manche gar von einem "strategischen Sieg" für die Diplomatie. Doch wer mit Frauen im Iran spricht, hört andere Töne.

Es sind Stimmen der Angst, der Frustration und der Vorahnung."Wir wissen nicht, was passieren wird", sagt etwa die Iranerin Shirin gegenüber der Nachrichtenagentur AP. "Ich habe Angst, dass die Regierung ihre Wut an uns auslässt."

Denn was für westliche Beobachter:innen wie ein Schritt Richtung Frieden aussieht, ist für viele Iranerinnen vor allem eines: eine Atempause für ein Regime, das sich neu sortiert, um im Innern wieder zuzuschlagen. Die Waffenruhe als Vorwand für verstärkte Repression? Es wäre eine historische Konstante im postrevolutionären Iran.

Repression als Reflex: Das Regime in Iran rüstet innenpolitisch auf

"Wir wissen, dass nach jedem Konflikt die Überwachung und die Gewalt gegen uns zunehmen. Es ist, als würde das Regime uns für seine Schwäche bestrafen", erklärt eine anonyme Aktivistin dem "Guardian". Sie lebt in Teheran, hat die Proteste nach dem Tod von Mahsa Amini miterlebt, hat gesehen, wie Frauen auf der Straße zusammengeschlagen, verschleppt, verurteilt wurden.

Daily Life In Tehran After Ceasefire Between Iran And Israel A young veiled Iranian woman stands at Azadi Square to watch a live concert in western Tehran, Iran, on June 25, 2025, as a ceasefire occur ...
Frauen in Teheran sind zahlreichen Regeln durch das Regime unterworfen.Bild: imago images / NurPhoto

Jetzt, nach dem 12-tägigen Krieg, fürchtet sie das alte Muster: Die Islamische Republik, die sich durch den Waffengang nach außen geschwächt fühlt, sucht nach innen neue Feindbilder.

Der Menschenrechtsaktivist Mahmood Amiry-Moghaddam warnt im Interview mit AP: "Nach der Waffenruhe braucht das Regime mehr Repression, um militärische Schwäche zu übertönen und Proteste zu verhindern."

Die Erfahrung gibt ihm recht: Schon nach der Niederschlagung der "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung 2022 folgte eine Phase besonders harter Verhaftungswellen. Und auch diesmal werden aus politischen Netzwerken bereits Razzien gemeldet. Die berüchtigten Gefängnisse Evin und Qarchak, belegt mit Aktivist:innen, Journalist:innen und Studierenden, füllen sich erneut.

Laut iranischen Staatsmedien wurden in den vergangenen zwölf Tagen 700 Menschen unter dem Vorwurf der Spionage für Israel verhaftet – ein massiver Einschüchterungsakt, der sich gegen die eigene Bevölkerung richtet. Gesichert ist die Zahl nicht, wohl aber, dass es zahlreiche Verhaftungen gab.

"Viele Menschen haben das Gefühl, mit dem repressiven und diktatorischen Mullah-Regime allein gelassen zu werden", schreibt Journalistin Mahtab Qolizadeh.

Iranians Celebrate Ceasefire Victory Over Israel Veiled Iranian women shout anti-Israeli slogans during a rally to celebrate the ceasefire, which they believe is a victory over Israel in a 12-day war, ...
Iraner:innen feierten den Sieg Waffenstillstand.Bild: imago images / NurPhoto

Frauen im Fokus: Doppelte Bedrohung durch Staat und Gesellschaft

Die deutsch-iranische Menschenrechtsaktivistin Daniela Sepheri berichtet gegenüber watson, dass die Frauen vor Ort aktuell vor allem wegen der aktuellen Festnahmen und Gefangenen in Sorge sind.

Was die Situation für Frauen besonders dramatisch macht: Sie sind nicht nur politisches Ziel, sondern auch gesellschaftlicher Katalysator. In der Protestbewegung gegen das Regime spielten sie eine zentrale Rolle, sie waren die Gesichter des Aufbegehrens – und sie zahlen dafür den höchsten Preis.

Eine Teheranerin namens Aida erzählt dem "Tagesspiegel", sie könne sich die Videos der Regimefeiern nicht mehr ansehen: "Das macht mich krank." Denn: "Sie hupen auf den Straßen und feiern, aber in Wirklichkeit sind sie wenige."

Sie berichtet von Angst und gleichzeitiger Erleichterung. "Meine Schwester ist sehr erleichtert. Seit gestern geht es ihr viel besser." Das ambivalente Gefühl spiegelt sich vielerorts: Der Krieg mag scheinbar vorbei sein. Die Angst ist geblieben.

Der "Guardian" schreibt, dass Frauen fürchten, der Staat könne den außenpolitischen Konflikt nutzen, um innenpolitisch einen "Rollback" durchzusetzen. Nicht nur durch Gesetze, sondern durch alltäglichen Druck: Schleierpflicht, Straßenkontrollen, Denunziation.

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Protest im Jahr 2023: Eine Frau läuft in Teheran mit offenen Haaren am Abend eine Straße entlang. Bild: dpa / Arne Immanuel Bänsch

"Nach dem Krieg werden sie wieder zuschlagen. Und diesmal ohne Kameraüberwachung durch die Weltöffentlichkeit", heißt es in einer anonymisierten Voice Message aus Teheran, die die britische Zeitung dokumentiert.

Hinzu kommt: Viele Männer wurden im Krieg eingezogen oder verletzt, die wirtschaftliche Lage hat sich weiter verschlechtert. In dieser Gemengelage steigt auch der familiäre Druck. Frauen stehen im Iran oft an der untersten sozialen Stufe. Wer allein lebt, gilt als verdächtig. Wer sich widersetzt, riskiert Gefängnis. Wer spricht, wird verfolgt.

Rufe aus dem Exil: Mahnungen und Hoffnung

Und doch gibt es auch hoffnungsvollere, fordernde Stimmen. Die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, selbst mehrfach inhaftiert und zuletzt unter medizinischer Bewährung freigelassen, sagte gegenüber "Time": "Die Waffenruhe darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Regime seine Repressionen gegen Frauen und Aktivistinnen weiter verschärft. Die internationale Gemeinschaft muss genau hinschauen."

Auch Shirin Ebadi, Exil-Juristin und erste muslimische Friedensnobelpreisträgerin, warnte gegenüber Reuters: "Das Regime ist ein Papiertiger: Es wirkt stark, doch in Wahrheit fürchtet es sein eigenes Volk – besonders die Frauen."

Beide betonen: Ein Sturz des Mullah-Regimes kann nicht von außen kommen. Es braucht die innere Revolution – und dafür die internationale Rückendeckung. Gerade jetzt, wo die Waffen schweigen.

Alltag in Alarmbereitschaft: Der stille Ausnahmezustand

Die aktuelle Lage im Iran ist paradox: Die Waffen schweigen, doch sicher ist die Lage offenbar nicht. Die iranische Bevölkerung, allen voran Frauen, lebt in einem Zustand permanenter Anspannung. In einem Klima, in dem Hoffnung immer nur ein Zwischenton ist.

Reuters schreibt von "diffuser Furcht". Der Guardian nennt es "eine Pause vor etwas Schlimmerem". Viele Frauen organisieren sich laut Berichten wieder: dezentral, digital, versteckt. Sie nutzen Netzwerke im Ausland, kommunizieren über VPN und Darknet, tauschen Informationen über sichere Orte, Anwält:innen und Überlebensstrategien.

Ein gefährliches Unterfangen.

Laut iranischem Gesetz kann jeder und jede Person verhaftet werden, die ausländischen Medien, Journalist:innen oder Regimekritiker:innen auf Social Media folgt. "Die Ära des Lebens in ständiger Angst hat begonnen", heißt es aus Teheran.

Es ist zu früh, um zu sagen, ob die Waffenruhe einen Wendepunkt markiert. Doch für die Frauen im Iran ist klar: Der eigentliche Krieg findet zu Hause statt. In Wohnzimmern, in Gerichtssälen, in den Korridoren von Polizei und Gefängnissen. Und dieser Krieg dauert an.

Russland kopiert Drohnenschutz der Ukraine – und meldet Patent an
Die ukrainische Armee setzt auf eine leichte Schutzkonstruktion gegen Drohnenangriffe. So erfolgreich, dass Russland sie nicht nur nachbaut, sondern offiziell als eigene Entwicklung registriert.

In modernen Kriegen sind es oft keine Hightech-Wunderwaffen, die den Unterschied machen, sondern improvisierte Lösungen: Netze, Stäbe, Platten, Schirme. Gegen eine billige Drohne hilft ein Metallgitter manchmal mehr als ein Millionenprojekt aus dem Waffenlabor.

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