Sie glauben, das Coronavirus sei eine Erfindung, um einen gigantischen Skandal zu verdecken. An Ostern erlebten die zahlreichen Anhänger der QAnon-Verschwörungstheorie jedoch eine herbe Enttäuschung.
Nein, Markus Brökhaus hat den deutschen Luftraum nicht abfliegen lassen, um die Gegend zu scannen nach Höhlen mit eingesperrten Kindern. "Aber die Theorie ist mal etwas Neues", frotzelt der Chef der Firma AVT Airborne Sensing. "Sonst heißt es immer, wir würden Chemtrails versprühen." Die Firma fertigt Luftaufnahmen an, für Vermessungsämter und Ingenieurbüros.
Die Erklärung ist aber zu naheliegend für Menschen, die das bevorstehende Ende der denkbar größten Verschwörung erwarten. Das Coronavirus halten sie für die Chance, den großen vorgeblichen Plan von Donald Trump voranzutreiben: Einer global vernetzten Kindesmissbrauchs-Elite das Handwerk zu legen. Eine Aktion biblischen Ausmaßes hatten die Verschwörungstheoretiker angekündigt.
Es klingt irre, aber es gibt Menschen, die daran glauben. Der "Sturm" soll begonnen haben, am Karfreitag sollte die Befreiung in die letzte Phase mit einer großen Verhaftungswelle starten.
Das knüpft an das an, was Xavier Naidoo tränenüberströmt Anfang April in einem Video erzählte. "Wenn ich's richtig verstehe, werden in diesem Moment in verschiedenen Ländern Kinder aus den Händen pädophiler Netzwerke befreit."
Da wackelt dann auch schon mal die Erde: Erdbeben werden in Verbindung gebracht mit der Sprengung von Tunneln und Höhlen nach der Befreiung der Kinder.
Das Problem ist nur: Solche Erdbeben hat es gar nicht gegeben. Jens Skapski, Betreiber der Seite erdbebennews.de, hat in den vergangenen Wochen keine der Beben registriert, die im Internet von Verschwörungstheoretikern diskutiert werden. "Beben durch Tunnelsprengungen wären auch unter Seismologen diskutiert worden", sagt er. "Die Beben in den USA in den vergangenen Wochen waren alle in etlichen Kilometern Tiefe."
Auf Twitter wurde sogar mit einem Foto die Befreiung aus einem Tunnel in Bayern gemeldet und fleißig geteilt. "Trump holt Menschen raus, die von Kabale in Käfigen gehalten werden. (...) Aktion läuft wohl gerade?" Das Bild zeigte einen Screenshot aus einem Tunneldurchbruch an der Mosel im Jahr 2011.
Also weiter nach Tunneln forschen, und da gibt es vielleicht die Suchflüge zum Scannen. Screenshots von Flugrouten wie von der Beech B200 Super King Air von AVT Airborne Sensing werden in diversen Kanälen und Gruppen gesammelt: Im konkreten Fall ist es ein Gitter mit neun Bahnen von bis zu 75 Kilometern Länge, die die Maschine im Abstand von jeweils rund drei Kilometern geflogen ist. Solche Muster konnte man auch von anderen Unternehmen sehen. "Bei wolkenlosem Himmel sind wir unterwegs", sagt Brökaus. "Und zwar das ganze Jahre über. Jetzt ist insgesamt wenig Flugverkehr. Und die Leute haben Zeit." Zudem sind im insgesamt leereren Luftraum mehr Mess- und Fotoflüge möglich, wie die Deutsche Flugsicherung erklärt.
Doch woher nehmen die Verschwörungstheoretiker all ihre Thesen und kruden Fake News?
Die Menschen haben viel Zeit, dazu kommt bei vielen Verunsicherung und Angst. "Das ist eine toxische Mischung", sagt Psychologe Sebastian Bartoschek, der über das Thema Verschwörungstheorien promoviert hat. In der Coronakrise gibt es eine hohe persönliche Betroffenheit bei allen Menschen, die sich um Gesundheit und Freiheit sorgen. "Da suchen viele nach Hoffnungen und vereinfachten Erklärungen."
Fündig werden sie dann unter anderem bei den Botschaften von "Q", einem angeblichen Top-Beamten der US-Regierung mit exklusiven Informationen über Trumps angeblichen Kreuzzug gegen den "Deep State" und gegen Eliten, die in unterirdischen Basen Kinder missbrauchen, foltern und töten. Q war ein Nutzer mit kryptischen Andeutungen und Botschaften im Internetforum 4chan, dann auf 8chan. Jetzt ist er auf der Nachfolgeseite 8kun aktiv. Von seiner Fan-Gemeinde, den QAnons, werden die Häppchen ebenso wild interpretiert wie alles, was Trump und dessen Umfeld angeblich tun.
Ein eher zusammenhangloser Trump-Tweet im April "Licht am Ende des Tunnels!" elektrisierte da etwa die Szene: Es wird um die Kinder gehen, hieß es. Ist ja klar, Trump bestätigt das ja auf Twitter. Es gab dann sogar einen Live-Ticker "Der Sturm ist da".
Sogar gelb unterlegte Schlagzeilen der "Bild" sind aus Sicht der Szene ein geheimes Signal: Im Flaggenalphabet steht Gelb für "Q"; die "Bild" ist folglich inzwischen unter Kontrolle der Patrioten. Dazu gehöre auch Trump, finden die QAnons.
Wer in dieser Welt lebt, sieht auch in einer "Bild"-Schlagzeile von "17 Toten" in New York eine Bestätigung. QAnons sind besessen von der Zahl, weil Q der 17. Buchstabe des Alphabets ist. Es gibt einen zwei Minuten langen Zusammenschnitt von mehreren Donald-Trump-Reden, bei denen er die "17" nennt. Fast 100 Mal.
Belege für ihre Thesen finden die QAnons viele. Natürlich war da auch das Militärmanöver "Defender Europe" Anfang des Jahres, das wegen der Corona-Krise abgebrochen wurde, Teil der Verschwörung. Die US-Truppen sind in Wahrheit zur Befreiung vom "Deep State" und den Satanisten unterwegs gewesen. Und die globalen Corona-Ausgangsbeschränkungen dienen dazu, dass der Einsatz ungestört laufen kann und die Bevölkerung nicht gefährdet wird.
Für die QAnons gehört das Militär zu ihnen. Das "Beweisfoto", das immer wieder die Runde macht, zeigt allerdings eine 1950 aufgestellte Einheit, deren Logo ein Pfeil nach oben in einem Kreis ist. Kein Q. Die US-Armee hatte es im Herbst 2018 getwittert.
Die Maßnahmen gegen das Coronavirus werden von den QAnons natürlich völlig anders gedeutet: Krankenhausstationen werden nicht wegen Covid-19 leer geräumt, Beatmungsplätze und Behelfskliniken sind auch nicht vorrangig für diese Erkrankten geschaffen worden. Die Plätze werden gebraucht für die mal 100.000, ein anderes Mal 5 Millionen Kinder. Es findet sich schließlich auch ein Foto, das Soldaten mit Kinderbetten zeigt. Nur deshalb liegt das US-Sanitätsschiff im Hafen von New York, ist ja klar.
Die QAnons sind sicher: Diese Kinder sind nach ihrer Befreiung voraussichtlich in schlechtem Zustand. Sie wurden ja nicht nur massenhaft sexuellem Missbrauch und satanischen Riten durch "die Elite" ausgesetzt, sondern auch Folter.
Der Politikwissenschaftler Josef Holnburger erkennt in solchen Verzerrungen ein typisches Muster: "Eine Gruppe vermeintlicher Verschwörer wird ins Groteske bösartig überzeichnet, das ist der Prototyp einer Verschwörungstheorie." Er hat seit Mitte März mehr als 250 Kanäle mit rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Inhalten analysiert. Die QAnon-Kanäle sind förmlich explodiert, der größte hat mehr als 70.000 Abonnenten, allein seit Mitte März sind es 50.000 mehr geworden.
Die Botschaft der QAnons ist verführerisch: Man ist bei den Guten, man ist bei den Aufgeklärten, und man ist dort, wo man sich keine Sorgen machen muss: "Von der Q-Bewegung geht immer nur Hoffnung und Geduld aus. Niemals Panik oder Angst", heißt es in einem Posting in der größten Gruppe. Und man ist unter Menschen, die die Theorien nicht für völlig verrückt halten. Nur das eigene Umfeld können die QAnons in der Regel nicht überzeugen. Auch darüber wird natürlich unter Verschwörungstheoretikern gesprochen.
Das permanente Wiederholen von Feindbildern und das Gerede davon, diesen Gegner zu besiegen, ist aber nicht harmlos: Ein Q-Anhänger versperrte mit seinem Auto den Highway am Hoover-Staudamm und forderte die Herausgabe eines Untersuchungsberichtes über einen angeblichen Kindesmissbrauchsring um die Clintons. Und nach immer wieder verbreiteten, falschen Behauptungen über im Keller einer Washingtoner Pizzeria festgehaltene Kinder stürmte ein schwer bewaffneter Mann das Lokal, um die Kinder zu retten.
Aus geleakten E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampfmanager John Podesta hatten QAnons Code-Wörter für "Mädchen" bzw. "Orgie" herausgelesen, der Mythos vom Kinderverlies entstand. Und auch der Attentäter von Hanau sprach in seiner "Botschaft an die Amerikaner" von einer Geheimgesellschaft von Satanisten, die Kinder quält.
In der verqueren QAnon-Logik ist das Foltern der Kinder nötig, um aus den kleinen Körpern ein Stoffwechselprodukt des Adrenalins zu gewinnen. "Adrenochrom!" sagte Naidoo in seinem Video und forderte zum Googeln auf. Inzwischen stößt man dann vor allem auf ihn und nicht in erster Linie auf gruselige Bilder, mit denen QAnon die düstere Botschaft transportiert: Eliten trinken das Blut mit dem Stoff angeblich als Verjüngungsmittel. Hillary Clinton macht das, und Tom Hanks war nicht wegen des Coronavirus in Quarantäne, sondern als kinderschändender Adrenochrom-Junkie.
Dabei lässt sich Adrenochrom ganz einfach im Handel kaufen. Die von QAnon zugeschriebene Wirkung hat das Mittel allerdings nicht.
Die Verschwörungstheoretiker, die sich für klüger als den Rest der Menschheit halten, sitzen einem jahrhundertealten Mythos auf. Der Religions- und Politikwissenschaftler Michael Blume, Beauftragter des Landes Baden-Württemberg gegen Antisemitismus, erklärt in seinem Podcast "Verschwörungsfragen": Im 15. Jahrhundert wurde vor allem Frauen vorgeworfen, gemeinsam mit Juden und Teufeln aus ermordeten, christlichen Kindern eine mächtige Salbe herzustellen. Die QAnon-Theorie ist eine Neuauflage der antisemitischen Ritualmordlegende mit neuen Namen und Chiffren.
Und was damals Brunnenvergiftung war, ist heute die Mobilfunktechnik 5G. 5G soll schuld sein an der Virusverbreitung oder das Virus eine Erfindung sein, um Gesundheitsschäden durch 5G zu verschleiern. Dass es keinerlei wissenschaftliche Grundlage dafür gibt? Nebensächlich. Ebenso, dass das Virus in vielen Teilen der Welt wütet, in denen es keinerlei 5G-Technik gibt. In Italien und vor allem England sind schon mehrere Sendestationen in Brand gesetzt worden, zum Teil gefeiert in QAnon-Gruppen. "Die Stimmung ist auch im deutschsprachigen Raum extrem aufgeheizt”, berichtet Holnburger.
Aber irgendwas muss ja passieren, wenn sich der erwartete große Sieg über das Böse einfach nicht einstellen mag. Als Anfang April zunächst "zehn Tage Dunkelheit" ausblieben, angeblich die Abschaltung aller "Mainstream-Medien", ließ sich zunächst noch eine andere Erklärung finden: Es gab zehn Tage lang kein Zeichen von Q.
Am Karfreitag sollte der Umbruch in die entscheidende Phase gehen, der Tag sollte Anfang sein von diesmal drei Tagen Dunkelheit. Das Datum ist der "Donald J. Trump"-Tag – D-J-T wie der 4., 10. und 20. Buchstabe. 4/10/20 ergibt nach amerikanischer Datumslogik den 10. April 2020. Und dann kam auch noch um 10:20:04 Uhr ein neues Bröckchen von Q: "Together we will win".
Selbst schuld, wer an Ostern Großes erwartet hatte, deutete Q dann im folgenden Infohäppchen an. "Patrioten, seid vorsichtig, was ihr in gepostete Informationen interpretiert. Falsche Erwartungen auf Basis von 'Spekulationen' liefern nur denen Munition, die uns attackieren." Damit sind die "Mainstream-Medien" gemeint.
Aber die ausgebliebene Befreiung der Kinder und das vergebene Warten auf Massenverhaftungen haben dann doch manchen QAnon ein wenig enttäuscht. "Du hast eine folgsame und unterwürfige Armee von Anons geschaffen, die dir an den Lippen hängen", kommentiert jemand auf 8kun. "MACH WAS ODER GEH HEIM!" ist die Antwort.
Andere verlieren den Glauben nicht so schnell. Der nächste große Kampf gegen den "Deep State" und die Elite zieht ja schon heran. Wenn das mit den Kindern nicht klappt, lässt sich ja vielleicht der Rest der Menschheit vor Schlimmen bewahren. Trump hat gerade den Kampf gegen die Weltgesundheitsorganisation WHO aufgenommen, die für QAnons eine Marionette von Bill Gates ist. Gates steht im Mittelpunkt diverser Verschwörungstheorien, etwa um ein Patent auf das Coronavirus.
Er könnte auch hinter dem Coronavirus stecken, weil er alle Menschen mit einem Chip versehen will. Das hat schließlich Trumps früherer Wahlkampfberater Roger Stone in einem Interview gesagt. Der Mann ist im November 2019 zu 40 Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil er in Trumps Russland-Affäre einen Zeugen manipuliert und den Kongress belogen hatte. QAnons lieben ihn.