Allein auf weiter Flur: Sebastian Kurz ist mit seiner Forderung beim EU-Gipfel vorerst gescheitert.Bild: dpa / Helmut Fohringer
International
Österreich ist mit seiner Forderung nach
einer Umverteilung der Corona-Impfstoffe in der Europäischen Union
vorerst gescheitert. Die EU-Staats- und Regierungschefs bekräftigten
bei ihrem Videogipfel am Donnerstagabend den bisherigen
Verteilschlüssel nach Bevölkerungsgröße. Nach stundenlangem Streit
wurde nur vereinbart, über eine vorgezogene Teillieferung von zehn
Millionen Impfdosen "im Geiste der Solidarität" weiter zu verhandeln.
Österreich und fünf weitere EU-Staaten hatten eine ungleiche
Verteilung der Impfstoffe in der EU beklagt. Der österreichische
Kanzler Sebastian Kurz beharrte auf einem Korrekturmechanismus. Wenn
es keine Lösung gebe, könne das einen Schaden für die EU nach sich
ziehen, "wie wir es schon lange nicht erlebt haben", sagte Kurz.
Österreich droht Impstoff-Engpass: "Sebastian Kurz hat sich verzockt"
Doch kamen die übrigen Staats- und Regierungschefs Österreich
kaum entgegen. "Sebastian Kurz hat sich verzockt", sagte ein
EU-Diplomat. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte,
ein Blick auf die Zahlen zeige, dass vor allem Bulgarien, Lettland
und Kroatien ein Problem hätten. Denen wolle man helfen. Bei
Österreich könne er dies hingegen derzeit nicht erkennen.
Das Ungleichgewicht bei der Impfstoffverteilung liegt daran, dass
nicht alle EU-Staaten die ihnen nach Bevölkerungszahl zustehenden
Mengen gekauft haben. Einigen Staaten war der neuartige Impfstoff von
Biontech/Pfizer suspekt oder zu teuer. Die Lieferschwierigkeiten von
Astrazeneca werfen einige Staaten nun zurück. Österreich könnte
demnächst in Rückstand geraten, weil es sein Kontingent des
Impfstoffs von Johnson & Johnson nicht ausgeschöpft hat, das ab Mitte
April geliefert werden soll.
Merkel spricht von "Quadratur des Kreises"
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, der Rat der Botschafter sei
nach langen Diskussionen beauftragt worden, eine "faire Lösung im
Rahmen der Solidarität" zu finden. "Das ist natürlich wie immer eine
relativ komplizierte Aufgabe, so was wie die Quadratur des Kreises."
Kurz schrieb auf Twitter: "Wir haben uns intensiv dafür
eingesetzt, dass sich die Kluft innerhalb der EU bei der Durchimpfung
der Bevölkerung nicht weiter vergrößert. Durch die 10 Millionen
zusätzlichen Impfdosen soll eine gerechtere Auslieferung der
Impfstoffe in der EU im 2. Quartal erreicht werden." Die 10 Millionen
Impfdosen stammen aus einer vorgezogenen Lieferung von
Biontech/Pfizer und sollen nun einige Löcher stopfen. Kurz sprach von
einer "guten Lösung für alle". Aber entschieden ist noch nichts.
Dreimal so viel Impfstoff wie im ersten soll nun im zweiten Quartal zur Verfügung stehen
Der akute Impfstoffmangel in allen EU-Staaten soll sich im
zweiten Quartal deutlich abmildern - dann sollen bis zu 360 Millionen
Impfdosen geliefert werden, nach 100 Millionen im ersten Quartal.
"Endlich kommen die Impfungen stetig voran", sagte
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Pandemielage sei
angesichts der Ausbreitung der Virusvarianten sehr schwierig. Aber
dass die Sterblichkeit weniger stark ansteige, zeige erste Erfolge
bei der Impfung der Menschen über 80 Jahre.
Eine gemeinsame Linie fand die EU zur Türkei: Dem Land wird wegen
der Entspannung im Erdgasstreit eine engere Partnerschaft in Aussicht
gestellt. So entschieden die 27 Staaten, mit den Vorbereitungen für
eine Ausweitung der Zollunion zu beginnen. Auch eine
Visaliberalisierung wurde Ankara indirekt in Aussicht gestellt.
Darüber hinaus will die EU die Zusammenarbeit in der
Migrationspolitik stärken. Dabei geht es vor allem darum, dass die
Türkei gegen unerwünschte Einwanderung in die EU-Staaten vorgeht. Als
Anreiz soll die EU-Kommission weitere Finanzhilfen für die Versorgung
syrischer Flüchtlinge vorbereiten.
Mit einem digitalen Kurzbesuch von US-Präsident Joe Biden beim
Gipfel wurde zudem der Neustart der transatlantischen Beziehungen
gewürdigt - aus Merkels Sicht eine "Geste, die sehr, sehr wichtig
war". Die EU und die USA seien wieder enger im Gespräch, sagte die
Kanzlerin nach dem Gipfel. Ministerpräsident Rutte sagte aber auch,
Biden habe nicht in Aussicht gestellt, Impfstofflieferungen aus den
USA in die EU zu erlauben. US-Präsident Biden machte nach Angaben des
Weißen Hauses deutlich, er wünsche sich eine starke EU. Dies sei im
Interesse der USA. Biden habe zudem auf die gemeinsamen
demokratischen Werte und die weltweit größte Handels- und
Investitionspartnerschaft hingewiesen.
(hau/dpa)
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