Die Bilder, die uns täglich aus Hongkong erreichen, werden immer apokalyptischer. Mit der Besetzung der Polytechnischen Universität erreichten die Proteste vergangene Woche eine neue Eskalationsstufe. Die Polizei umstellte den Campus der Universität, nachdem Demonstranten den Cross-Harbor-Tunnel und die Hauptstraße außerhalb des Campus blockiert hatten.
Am Dienstag, 19. November, haben etwa 600 Aktivisten das Gebäude verlassen und wurden festgenommen, wie die "Tagesschau" berichtete. Einigen harren jedoch immer noch aus.
Eine, die die Belagerung der Polizei aus erster Hand erlebte ist Karen Leung*. Am Dienstag gelang der 23-Jährigen, die an der PolyU im Abschlussjahr studiert, die Flucht. Hier erzählt sie uns von ihren Erlebnissen:
"Die PolyU war die erste Universität, die von der Polizei massiv mit Tränengas beschossen wurde. Meine Kommilitonen und ich haben uns im Gebäude verbarrikadiert, um zu verhindern, dass die Einheiten ins Innere gelangen.
Ab dem 17. November wurden die Angriffe dann immer heftiger. Am Morgen des 18. November erkannten wir schließlich, dass die Polizei uns komplett eingekesselt hat, um unsere Versorgung abzuschneiden. Wir diskutierten, ob wir auf Hilfe von Draußen warten sollten oder ob ein paar von uns irgendwie durch die Reihen der Polizei fliehen könnten.
An dem Punkt hatten wir schon einige Verletzte unter uns, darunter auch Studenten unter 18. Ich beschloss, bei ihnen zu bleiben. Die Universität, die noch wenige Tage zuvor so gut organisiert war, glich mittlerweile einem Schlachtfeld. Manche von uns hatten Panikattacken. Andere saßen depressiv in der Ecke. Wiederum andere, die beim Versuch zu fliehen gescheitert waren, reagierten total frustriert. Unsere Lebensmittel gingen langsam zur Neige, während die Attacken von außen nicht abbrachen.
Ich selbst versuchte ruhig zu bleiben und allen, die im Chaos die Übersicht verloren, die Wege zu den Erste-Hilfe-Stationen und zur Versorgung mit Wasser und Essen zu zeigen. Außerdem war ich Teil eines Teams von Fact-Checkern, die all die Gerüchte von außen überprüften – zum einen, um Panikmache zu minimieren und zum anderen, um die Leute, die draußen an der Frontlinie kämpften, rechtzeitig zu warnen.
Ich war seit dem 11. November ununterbrochen in der Uni. Die Nächte schlief ich auf zusammengeschobenen Stühlen in der Cafeteria. Am 19. gelang es mir schließlich, aus dem Gebäude zu entkommen. Ich kann nicht verraten wie, weil ich nicht möchte, dass die Polizei diese kleinen Lücken, die sich immer wieder auftun, auch noch schließt. Als ich floh, gab es vielleicht noch Essen für eine Woche. Die Hygieneverhältnisse waren miserabel.
Momentan befinden sich vielleicht noch 50 bis 100 Studenten im Gebäude. Die anderen wurden als 'Aufständische' verhaftet, was harte Strafen von bis zu zehn Jahren Gefängnis bedeuten kann. Ich hatte Glück. Es gibt da drinnen viele, die ihre Sicherheit und ihre Freiheit für mich aufs Spiel gesetzt haben. Das werde ich niemals vergessen. Und der Polizei werde ich niemals vergeben können, dass sie unsere Universität in eine Kriegszone verwandelt hat.
Ich weiß nicht, ob diese Belagerung ein Höhepunkt der Proteste bedeutet, aber ich weiß, dass diese Bewegung, die nicht von oben gesteuert wird, durch so einen Angriff nicht gestoppt werden kann. Wir kämpfen für Freiheit und ein allgemeines Wahlrecht. Dabei geht es nicht nur um uns, sondern auch um die nächsten Generationen. Wir können jetzt nicht die Hoffnung aufgeben. Wir müssen weitermachen."
*Name wurde aus Sicherheitsgründen von der Redaktion geändert