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Türkei will Nato-Hilfe in Syrien – und droht mit Grenzöffnung

Türkische Soldaten in der nordsyrischen Provinz Idlil. Dort eskalierte in der Nacht zu Freitag der Konflikt zwischen der Türkei und Syrien.
Türkische Soldaten in der nordsyrischen Provinz Idlil. Dort eskalierte in der Nacht zu Freitag der Konflikt zwischen der Türkei und Syrien.Bild: picture alliance / AA
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Eskalation in Syrien: Türkei will Nato-Hilfe – und droht mit Grenzöffnung

In Syrien ist der Konflikt zwischen Regierungstruppen und der türkischen Armee eskaliert. Die türkische Regierungspartei fordert nun Unterstützung der Nato und kündigt an, Flüchtlinge nach Westen weiterziehen zu lassen. Hunderttausende Menschen leiden unter der Gewalt.
28.02.2020, 13:0401.03.2020, 12:48
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In der syrischen Provinz Idlib hat sich in der Nacht die Situation immens verschärft. Bei Luftangriffen des Militärs von Machthaber Baschar al-Assad auf Stellungen der türkischen Armee wurden nach türkischen Angaben mindestens 33 Soldaten getötet, 36 wurden verletzt.

Als Vergeltung griff die türkische Armee in der Nacht zum Freitag Stellungen der Assad-Truppen an. Die Uno und die Nato riefen die Konfliktparteien zur raschen Deeskalation auf.

Der Sprecher der Regierungspartei AKP, Ömer Celik, forderte, die Nato müsse an der Seite der Türkei stehen. Gleichzeitig kündigte er an, syrischen Geflüchteten im Land die Grenzen in Richtung Europa zu öffnen: "Unsere Flüchtlingspolitik bleibt dieselbe, aber hier haben wir eine Situation. Wir können die Flüchtlinge nicht mehr halten", sagte er.

Türkei auf Rache aus

Der türkische Kommunikationsdirektor, Fahrettin Altun, teilte mit, die Türkei greife als Reaktion mit Boden- und Luftkräften "alle bekannten Ziele des Regimes" an. Auf einem Sicherheitsgipfel am späten Donnerstagabend unter der Führung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sei beschlossen worden, dass "das illegitime Regime, das die Waffenläufe" auf die Soldaten gerichtet habe, auf "gleiche Weise" angegriffen werde. Die Türkei wolle ihre "tapferen Soldaten" rächen.

So reagiert die Nato

Die Nato hat den jüngsten Luftangriff in Nordsyrien scharf verurteilt. "Die Alliierten verurteilen die fortgesetzten rücksichtslosen Luftangriffe des syrischen Regimes und Russlands auf die Provinz Idlib", sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag nach einem kurzfristig einberufenen Treffen der Nato-Botschafter.

Der Norweger rief Syrien und Russland dazu auf, ihre Offensive zu beenden, internationales Recht zu achten und die Bemühungen der Vereinten Nationen für eine friedliche Lösung zu unterstützen. "Diese gefährliche Situation muss deeskaliert werden."

Die Türkei bat kurzfristig um ein Treffen des Nordatlantikrats nach Artikel 4 des Nato-Vertrags. Dieser besagt, dass jeder Alliierte jederzeit um Beratungen bitten kann, wenn seiner Meinung nach "die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist".

Stoltenberg sagte am Freitag, das Treffen sei "ein deutliches Zeichen der Solidarität mit der Türkei". Die Türkei sei ein geschätzter Alliierter in der Nato. Die Bündnispartner überprüften regelmäßig, wie sie die Türkei weiter unterstützen könnten. Derzeit hat die Nato Flugabwehrsysteme an der türkischen Grenze zu Syrien stationiert und patrouilliert mit Nato-Flugzeuge im türkischen Luftraum.

UN-Sprecher Stéphane Dujarric warnte vor der Gefahr, dass der Konflikt in Nordwestsyrien "Stunde für Stunde" weiter eskalieren könne. Er rief die Konfliktparteien zu einer "sofortigen Waffenruhe" auf.

Der einflussreiche US-Senator Lindsey Graham forderte angesichts der Eskalation eine Flugverbotszone in Idlib. Graham richtete seinen Aufruf am Donnerstag an die Adresse von US-Präsident Donald Trump: "Es ist jetzt an der Zeit, dass die Internationale Gemeinschaft eine Flugverbotszone einrichtet, um Tausende unschuldige Männer, Frauen und Kinder vor einem schrecklichen Tod zu retten."

Dramatische Lage in der Region

Idlib ist das letzte große Rebellengebiet in dem Bürgerkriegsland. Die Situation dort war jüngst eskaliert. Die Türkei unterstützt in dem Konflikt regierungsfeindliche Rebellen. Mit Russland als Schutzmacht der syrischen Regierung hatte sie ein Abkommen getroffen, um in Idlib eine Deeskalationszone einzurichten und hatte dort Beobachtungsposten eingerichtet. Eigentlich gilt auch eine Waffenruhe. In den vergangenen Wochen war das syrische Militär mit russischer Unterstützung aber weiter in dem Gebiet vorgerückt.

Im Zuge der Offensive war es der syrischen Regierungsarmee in den vergangenen Wochen gelungen, mehrere Ortschaften in Idlib unter Kontrolle zu bringen. Von der Türkei unterstützte Milizen eroberten am Donnerstag jedoch die strategisch wichtige Stadt Sarakeb zurück.

Erdogan hat wiederholt mit einem Militäreinsatz gedroht, sollte sich das syrische Militär in Idlib nicht bis Ende Februar zurückziehen. Nach UN-Angaben sind seit Anfang Dezember fast 950.000 Menschen vor der Gewalt geflohen, auch in Richtung türkischer Grenze.

Helfer beklagen eine katastrophale humanitäre Lage. Es fehlt an Unterkünften, Lebensmitteln, Heizmaterial und medizinischer Versorgung. Hilfsorganisation sprechen vom schlimmsten Flüchtlingsdrama seit Ausbruch des Bürgerkriegs vor fast neun Jahren. Die Türkei hat bereits mehr als 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen und betont immer wieder, dass sie eine neue Migrationswelle nicht hinnehmen werde.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) warf in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York Assad und Moskau Kriegsverbrechen in Nordwestsyrien vor. Die Armeen beider Länder bombardierten "zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen".

Russland und Syrien hätten als Konfliktparteien die Pflicht, die Zivilbevölkerung zu schützen, mahnte Maas: "Willkürliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung sind Kriegsverbrechen."

(pcl/afp/dpa)

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