Diese Frau mit Kind wurde von den Soldaten am Flughafen Kabul evakuiert.Bild: www.imago-images.de / U.S. Marines
International
Angesichts des zunehmenden Zeitdrucks werden
Verzweiflung und Gewalt rund um den Flughafen von Afghanistans
Hauptstadt Kabul immer größer. Tausende Afghanen hoffen immer noch
auf eine Gelegenheit, nach der Machtübernahme der
militant-islamistischen Taliban mit westlichen Flügen außer Landes zu
kommen.
Trotz der Gefahr hielt der Ansturm der Menschen,
die auf das Flughafengelände gelangen wollen, den fünften Tag in
Folge an. Taliban-Kämpfer feuerten am Eingang zum zivilen Teil des
Flughafens in die Luft und schlugen mit Peitschen, um die Leute zu
vertreiben, wie ein Augenzeuge der Deutschen Presse-Agentur dpa
berichtete.
Am Flughafen gibt es einen zivilen und einen militärischen
Bereich. Die Menge am Zugang zum militärischen Teil sei groß und
unberechenbar, berichtete ein Reporter des US-Senders CNN. Bilder
zeigten, wie US-Soldaten in die Luft schossen, damit die
Menschenmenge von den Außenmauern zurückweicht.
Der Bundeswehrgeneral Jens Arlt leitet den deutschen Evakuierungseinsatz am Flughafen in Afghanistan. Er spricht von dramatischen Szenen. "Es ist sehr sehr turbulent alles", sagte er in einer Online-Pressekonferenz. "Sie sehen die verzweifelten Augen der Afghanen und auch der Staatsbürger unterschiedlicher Nationen, die einfach versuchen, in den inneren Bereich des Airports zu gelangen."
ZDF-Korrespondentin weiß von keinem deutschen Gate am Flughafen
In einem Schreiben der deutschen Botschaft an Menschen, die auf
einen Flug hoffen, hieß es: "Die Lage am Flughafen Kabul ist äußerst
unübersichtlich. Es kommt an den Gates immer wieder zu gefährlichen
Situationen und bewaffneten Auseinandersetzungen. Der Zugang zum
Flughafen ist derzeit möglich. Zwischendurch kann es aber immer
wieder kurzfristig zu Sperrungen der Tore kommen, auch weil so viele
Menschen mit ihren Familien versuchen, auf das Gelände zu kommen. Wir
können Sie leider nicht vorab informieren, wann die Tore geöffnet
sein werden."
Bei "Maybrit Illner" berichtete Katrin Eigendorf, ZDF-Korrespondentin, darüber, dass es nach ihren Informationen gar kein Gate gibt, für das die Deutschen zuständig sind. Stattdessen entscheiden die US-Soldaten alles. Zwei Ortskräfte erzählten der dpa, dass sie an den Eingängen zurückgehalten werden: "Die amerikanischen Soldaten lassen nur ihre Leute durch."
Ebenso in der Talkshow am Donnerstag war eine der sieben Menschen zu Gast, die in der ersten Maschine der Bundeswehr aus Afghanistan evakuiert wurde. Patoni Izaaqzai-Teichmann. Sie erhob schwere Vorwürfe gegen die deutsche Regierung und kritisierte die Vorgehensweise der Deutschen in Afghanistan.
"Wir lassen einfach alle dort [zurück]. Wir können die Leute nicht rausholen, weil wir keine Strategie haben."
Patoni Izaaqzai-Teichmann nach ihrer Flucht aus Afghanistan
Es gebe zu viele Listen mit unterschiedlichen Namen, weshalb einige gar nicht erst zum Flughafen kommen. Auch die Zusammenarbeit mit der USA muss verbessert werden. "Wir lassen einfach alle dort [zurück]. Wir können die Leute nicht rausholen, weil wir keine Strategie haben."
Die Nerven liegen bei vielen Menschen blank, weil der Zeitdruck
wächst: Die USA wollen eigentlich bis zum 31. August den Abzug ihrer
Truppen aus Afghanistan abschließen. Vom Schutz durch die derzeit
5200 US-Soldatinnen und -Soldaten hängen aber die
Evakuierungseinsätze anderer Streitkräfte wie beispielsweise der
Bundeswehr ab. US-Präsident Joe Biden geht davon aus, dass zwischen
50.000 und 65.000 Menschen von den USA in Sicherheit gebracht werden
wollen. Möglicherweise bleiben auch über den 31. August hinaus
US-Truppen in Kabul – sicher ist das nicht. Zudem ist ungewiss, wie
sich die Taliban verhalten.
Menschen werfen ihre Babys über den Zaun zum Flughafengelände
Es sind nur noch wenige Journalisten vor Ort. Eine davon ist die amerikanische CNN-Reporterin Clarissa Ward. Besonders brisant, da sie eine Frau ist. In einem Video ist zu sehen, wie sie sich zur Seite stellen soll, weil sie eine Frau ist. Mindestens drei afghanische Journalistinnen wurden laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ in diesem Jahr bereits ermordet.
Ward berichtet darüber, dass Menschen ihre Babys über den Zaun zum Flughafengelände werfen, damit diese in Sicherheit sind. Die Menschen versuchen trotz Schüssen auf das Flughafengelände zu kommen, "weil sie wissen, dass sie außerhalb des Flughafens eine Situation erwartet, die schlimmer ist als der Tod."
NATO-Mitarbeiter spricht von mehr als 18.000 evakuierten Menschen
Die Bundeswehr twitterte am Freitag, sie habe bislang 1649
Menschen aus 38 Nationen über eine Luftbrücke in Sicherheit gebracht.
Es ist der bislang größte Evakuierungseinsatz der Bundeswehr. Die
US-Streitkräfte flogen seit Samstag dem Pentagon zufolge 7000
Menschen ins Ausland. Ein NATO-Mitarbeiter sprach von einer Gesamtzahl von 18.000 Menschen, die aus Kabul evakuiert worden sind.
Am Sonntag hatte der afghanische Präsident
Aschraf Ghani fluchtartig das Land verlassen. Wenige Stunden später
nahmen die Taliban kampflos die auf 5,4-Millionen-Einwohner-Stadt
ein. Seitdem sind sie die neuen Machthaber in Afghanistan.
(drob/dpa)
Aktuell eskaliert die Lage in Nahost weiter. Israel hat die militärische Offensive gegen die libanesische Hisbollah-Miliz und die Hamas ausgeweitet. Israel marschiert in den Südlibanon ein.