Tripolis: Kämpfer der von den Vereinten Nationen unterstützten Regierungstruppen sind im Einsatz. Nach Inkrafttreten einer Waffenruhe für das umkämpfte Bürgerkriegsland Libyen bestehen vorsichtige Hoffnungen auf ein Ende der monatelangen Gefechte.Bild: dpa
International
In Libyen kämpfen zwei Regierungen um die Macht. Sie erhalten Unterstützung von unterschiedlichen ausländischen Mächten. Das macht den Konflikt so kompliziert. Zudem herrscht großes Misstrauen.
20.01.2020, 17:3220.01.2020, 17:37
Seit bald neun Jahren tobt in Libyen ein
Bürgerkrieg – nun will der Berliner Libyen-Gipfel mit seiner
Abschlusserklärung den Weg zurück zu einem politischen Prozess
bahnen. Vertreten waren die wichtigsten Mächte, die in dem
Bürgerkriegsland mitmischen.
Ihr neun Seiten langes Dokument enthält
zahlreiche Punkte, die zum Ende der Gewalt führen sollen. Doch schon
die Unterzeichner selbst vermeiden jede Euphorie. Sie wissen, dass
die Umsetzung des Abkommens schwer werden wird.
Ein Realitätscheck in sieben Punkten.
Hält die Waffenruhe?
Die Erklärung ruft alle Konfliktparteien auf, ihre
Anstrengungen für einen dauerhaften Waffenstillstand zu verstärken.
Ein Ende der Kämpfe wäre die Voraussetzung für alle weiteren
Schritte.
Dabei ist jedoch vor allem fraglich, ob der mächtige
General Chalifa Haftar dazu bereit ist. Anders als sein Gegenspieler
Fais al-Sarradsch, Chef der international anerkannten Regierung,
weigerte er sich bisher, einen Waffenstillstand zu unterzeichnen.
Merkel spricht mit Haftar.Bild: reuters
Haftar hatte im Frühjahr vergangenen Jahres eine Offensive auf die
Hauptstadt Tripolis begonnen, wo die Sarradsch-Regierung sitzt.
Haftars selbst ernannte Libysche Nationalarmee (LNA) konnte seitdem
zusammen mit lokalen Verbündeten große Gebiete des Krisenlandes unter
Kontrolle bringen.
Angesichts der Erfolge dürfte Haftar ohne starken
Druck von außen kaum Anreiz verspüren, seine Operation zu beenden.
Halten sich die ausländischen Player raus?
Die Unterzeichner sagen zu, sich
nicht in den Bürgerkrieg einzumischen. Das dürfte der wohl wichtigste
Teil der Einigung sein. Zahlreiche Mächte spielen in dem Konflikt
mit, was eine Lösung so schwierig macht. Allerdings gibt es viele unterschiedliche Interessen und mindestens genauso viel Misstrauen.
Putin im Gespräch mit Merkel.Bild: picture alliance/Alexei Nikolsky/TASS/dpa
Ein Beispiel: Russland, Ägypten und die
Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) unterstützen zwar Haftar,
verfolgen aber nicht unbedingt dieselben Ziele.
So wollte Moskau den
General zu einem Waffenstillstand drängen – Ägypten und die VAE
sollen sich jedoch quer gestellt haben. Keine Seite dürfte zudem von
sich aus anfangen, die Unterstützung zu beenden, ohne dass die
Gegenseite dasselbe tut.
So will Haftar einen Abzug der türkischen
Truppen, die Sarradsch unterstützen. Die Türkei wiederum wird nur
dann abziehen, wenn Haftar keine ausländische Hilfe mehr erhält.
Lösen sich die Milizen auf?
Diese Forderung ist nicht
neu, sie tauchte schon 2015 in einer von den UN vermittelten
politischen Vereinbarung auf. Und sie scheint nur schwer
durchsetzbar: In Libyen konkurrierten schon vor Haftars Angriff auf
Tripolis zahlreiche Gruppen um Macht. Seine Offensive hat zwar
Gruppen vereint, die vorher teils offen gegeneinander kämpften.
Ihre
alten Konflikte über politische, regionale und Stammesgrenzen hinweg
könnten aber neu ausbrechen, wenn der gemeinsame Feind auf der
jeweils anderen Seite verschwindet. Bei Auflösung einer Gruppe
könnten deren unnachgiebige Mitglieder auch neue Bündnisse formen.
Hat das Waffenembargo Chancen?
Das UN-Waffenembargo für Libyen gilt
seit 2011, trotzdem verstoßen andere Länder regelmäßig dagegen. Mit
der Berliner Vereinbarung soll die Einhaltung nun noch stärker "auf
See, aus der Luft und an Land" und durch Satellitenaufnahmen
kontrolliert werden.
Wirkliche Chancen hätte das Embargo aber wohl
erst, wenn der UN-Sicherheitsrat die verantwortlichen Länder bei
Verstößen mit harten Sanktionen belegen würde.
Das scheint wegen der
Differenzen im höchsten UN-Gremium unwahrscheinlich. Auch in Berlin
sei "über Sanktionen als solche" nicht gesprochen worden, sagte
Kanzlerin Angela Merkel am Sonntag nach Ende der Konferenz.
Kommt der politische Prozess in Gang?
Dieser soll weiter unter
Federführung der UN laufen – und zwar im Rahmen des politischen
Abkommens, das libysche Vertreter unter UN-Vermittlung ausgehandelt
und im Dezember 2015 unterschrieben hatten.
Es führte unter anderem
zur Bildung der internationalen anerkannten Sarradsch-Regierung.
Haftar und das mit ihm Verbündete Parlament in der ostlibyschen Stadt
Tobruk erkennen dieses Abkommen jedoch nicht an – der General selbst
erklärte es im Dezember 2017 für nichtig. Es ist deshalb eine sehr
brüchige Grundlage für einen politischen Prozess.
Was passiert mit dem Öl?
Libyen besitzt die größten
nachgewiesenen Erdölvorkommen Afrikas, und Öl- sowie Gasexporte sind
heute die fast einzig verbleibenden Einnahmequellen des Landes. Seit
2011 werden diese Ressourcen gewissermaßen als Geisel genommen.
Haftars Truppen und Verbündete kontrollieren den Zugang zu
den wichtigsten Terminals. Der Schutz der Ölfelder, Pipelines und
Exporthäfen hängt nach Einschätzung des Vorsitzenden der Nationalen
Erdölgesellschaft (NOC) daher direkt davon ab, ob sich eine
Waffenruhe im Land dauerhaft durchsetzen lässt und die Kämpfe enden.
Muss die Bundeswehr ausrücken?
Ein solcher Einsatz ist nicht Teil des
Berliner Abkommens, wird aber diskutiert. Die Bundeswehr könnte –
zusammen mit anderen europäischen Armeen – einen Waffenstillstand in
Libyen überwachen.
Doch die Bundesregierung bremst. Sie verweist
darauf, dass dafür zunächst einmal ein Waffenstillstand umgesetzt
werden müsste.
Auch danach würde eine solche Mission einige Risiken
bergen – in einem zersplitterten Land, in dem zahlreiche Milizen um
Einfluss buhlen und deren Chaos sich Terrorgruppen zunutze machen.
Welche Rolle die EU insgesamt in Libyen übernehmen könnte, ist noch unklar. Die EU erwägt eine Wiederbelebung ihrer Marinemission vor der Küste Libyens. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte sich zuvor offen für einen solchen Schritt gezeigt.
Die EU-Mission "Sophia" soll eigentlich zum Kampf gegen Schmuggel und Menschenhandel beitragen. Dabei spielt auch das UN-Waffenembargo für Libyen eine Rolle.
Seit dem Frühjahr 2019 ist die EU jedoch nicht mehr mit Schiffen vor Ort, sondern beschränkt sich auf die Ausbildung der libyschen Küstenwache. Grund dafür ist, dass die EU-Staaten sich nicht auf ein System zur Verteilung Geretteter einigen konnten. Das Mandat für die Mission läuft Ende März aus. Dann muss die EU ohnehin entscheiden, wie es mit "Sophia" weitergeht.
(pcl/dpa)