Seit bald neun Jahren tobt in Libyen ein Bürgerkrieg – nun will der Berliner Libyen-Gipfel mit seiner Abschlusserklärung den Weg zurück zu einem politischen Prozess bahnen. Vertreten waren die wichtigsten Mächte, die in dem Bürgerkriegsland mitmischen.
Ihr neun Seiten langes Dokument enthält zahlreiche Punkte, die zum Ende der Gewalt führen sollen. Doch schon die Unterzeichner selbst vermeiden jede Euphorie. Sie wissen, dass die Umsetzung des Abkommens schwer werden wird.
Ein Realitätscheck in sieben Punkten.
Die Erklärung ruft alle Konfliktparteien auf, ihre Anstrengungen für einen dauerhaften Waffenstillstand zu verstärken. Ein Ende der Kämpfe wäre die Voraussetzung für alle weiteren Schritte.
Dabei ist jedoch vor allem fraglich, ob der mächtige General Chalifa Haftar dazu bereit ist. Anders als sein Gegenspieler Fais al-Sarradsch, Chef der international anerkannten Regierung, weigerte er sich bisher, einen Waffenstillstand zu unterzeichnen.
Haftar hatte im Frühjahr vergangenen Jahres eine Offensive auf die Hauptstadt Tripolis begonnen, wo die Sarradsch-Regierung sitzt. Haftars selbst ernannte Libysche Nationalarmee (LNA) konnte seitdem zusammen mit lokalen Verbündeten große Gebiete des Krisenlandes unter Kontrolle bringen.
Angesichts der Erfolge dürfte Haftar ohne starken Druck von außen kaum Anreiz verspüren, seine Operation zu beenden.
Die Unterzeichner sagen zu, sich nicht in den Bürgerkrieg einzumischen. Das dürfte der wohl wichtigste Teil der Einigung sein. Zahlreiche Mächte spielen in dem Konflikt mit, was eine Lösung so schwierig macht. Allerdings gibt es viele unterschiedliche Interessen und mindestens genauso viel Misstrauen.
Ein Beispiel: Russland, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) unterstützen zwar Haftar, verfolgen aber nicht unbedingt dieselben Ziele.
So wollte Moskau den General zu einem Waffenstillstand drängen – Ägypten und die VAE sollen sich jedoch quer gestellt haben. Keine Seite dürfte zudem von sich aus anfangen, die Unterstützung zu beenden, ohne dass die Gegenseite dasselbe tut.
So will Haftar einen Abzug der türkischen Truppen, die Sarradsch unterstützen. Die Türkei wiederum wird nur dann abziehen, wenn Haftar keine ausländische Hilfe mehr erhält.
Diese Forderung ist nicht neu, sie tauchte schon 2015 in einer von den UN vermittelten politischen Vereinbarung auf. Und sie scheint nur schwer durchsetzbar: In Libyen konkurrierten schon vor Haftars Angriff auf Tripolis zahlreiche Gruppen um Macht. Seine Offensive hat zwar Gruppen vereint, die vorher teils offen gegeneinander kämpften.
Ihre alten Konflikte über politische, regionale und Stammesgrenzen hinweg könnten aber neu ausbrechen, wenn der gemeinsame Feind auf der jeweils anderen Seite verschwindet. Bei Auflösung einer Gruppe könnten deren unnachgiebige Mitglieder auch neue Bündnisse formen.
Das UN-Waffenembargo für Libyen gilt seit 2011, trotzdem verstoßen andere Länder regelmäßig dagegen. Mit der Berliner Vereinbarung soll die Einhaltung nun noch stärker "auf See, aus der Luft und an Land" und durch Satellitenaufnahmen kontrolliert werden.
Wirkliche Chancen hätte das Embargo aber wohl erst, wenn der UN-Sicherheitsrat die verantwortlichen Länder bei Verstößen mit harten Sanktionen belegen würde.
Das scheint wegen der Differenzen im höchsten UN-Gremium unwahrscheinlich. Auch in Berlin sei "über Sanktionen als solche" nicht gesprochen worden, sagte Kanzlerin Angela Merkel am Sonntag nach Ende der Konferenz.
Dieser soll weiter unter Federführung der UN laufen – und zwar im Rahmen des politischen Abkommens, das libysche Vertreter unter UN-Vermittlung ausgehandelt und im Dezember 2015 unterschrieben hatten.
Es führte unter anderem zur Bildung der internationalen anerkannten Sarradsch-Regierung. Haftar und das mit ihm Verbündete Parlament in der ostlibyschen Stadt Tobruk erkennen dieses Abkommen jedoch nicht an – der General selbst erklärte es im Dezember 2017 für nichtig. Es ist deshalb eine sehr brüchige Grundlage für einen politischen Prozess.
Libyen besitzt die größten nachgewiesenen Erdölvorkommen Afrikas, und Öl- sowie Gasexporte sind heute die fast einzig verbleibenden Einnahmequellen des Landes. Seit 2011 werden diese Ressourcen gewissermaßen als Geisel genommen.
Haftars Truppen und Verbündete kontrollieren den Zugang zu den wichtigsten Terminals. Der Schutz der Ölfelder, Pipelines und Exporthäfen hängt nach Einschätzung des Vorsitzenden der Nationalen Erdölgesellschaft (NOC) daher direkt davon ab, ob sich eine Waffenruhe im Land dauerhaft durchsetzen lässt und die Kämpfe enden.
Ein solcher Einsatz ist nicht Teil des Berliner Abkommens, wird aber diskutiert. Die Bundeswehr könnte – zusammen mit anderen europäischen Armeen – einen Waffenstillstand in Libyen überwachen.
Doch die Bundesregierung bremst. Sie verweist darauf, dass dafür zunächst einmal ein Waffenstillstand umgesetzt werden müsste.
Auch danach würde eine solche Mission einige Risiken bergen – in einem zersplitterten Land, in dem zahlreiche Milizen um Einfluss buhlen und deren Chaos sich Terrorgruppen zunutze machen.
Welche Rolle die EU insgesamt in Libyen übernehmen könnte, ist noch unklar. Die EU erwägt eine Wiederbelebung ihrer Marinemission vor der Küste Libyens. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte sich zuvor offen für einen solchen Schritt gezeigt.
Die EU-Mission "Sophia" soll eigentlich zum Kampf gegen Schmuggel und Menschenhandel beitragen. Dabei spielt auch das UN-Waffenembargo für Libyen eine Rolle.
Seit dem Frühjahr 2019 ist die EU jedoch nicht mehr mit Schiffen vor Ort, sondern beschränkt sich auf die Ausbildung der libyschen Küstenwache. Grund dafür ist, dass die EU-Staaten sich nicht auf ein System zur Verteilung Geretteter einigen konnten. Das Mandat für die Mission läuft Ende März aus. Dann muss die EU ohnehin entscheiden, wie es mit "Sophia" weitergeht.
(pcl/dpa)