Ein russischer Soldat steht vor der Interkontinentalrakete RS-24.Bild: Tass / Smirnov Vladimir
International
Die internationalen Rufe nach Abrüstung finden bei den Atommächten nur bedingt Gehör: Zwar geht die Zahl der Atomsprengköpfe insgesamt zurück. Dafür werden die Arsenale seit längerem auf den modernsten Stand gebracht. Vor diesem Trend warnen Friedensforscher.
15.06.2020, 07:5815.06.2020, 15:23
Weltweit lagern noch immer mehr als 13.000 nukleare
Sprengköpfe in den Arsenalen der Atommächte. Die Gesamtzahl der
Atomwaffen auf der Erde ist im vergangenen Jahr zwar um etwa 3,5
Prozent weiter zurückgegangen, wie aus dem am Montag veröffentlichten
Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri
hervorgeht. Dennoch seien alle Atommächte dabei, ihre nuklearen
Waffen weiter zu modernisieren, teilten die Friedensforscher mit.
Es erscheine so, dass alle neun Atomwaffenstaaten an ihren Arsenalen
auf unbestimmte Zeit festhalten wollten, sagte der Sipri-Experte
Shannon Kile der Deutschen Presse-Agentur. Tatsächlich hätten einige
der Waffensysteme, die derzeit entwickelt würden, eine erwartete
Lebensdauer bis hinein in die 2080er Jahre.
Eine nordkoreanische Mittelstreckenrakete bei einem Test.Bild: KCNA via KNS/AP Images / Uncredited
Weltweit gab es Anfang 2020 insgesamt schätzungsweise 13.400 nukleare
Sprengköpfe – das ist weniger als ein Fünftel des Arsenals von etwa
70.000, über das die Atommächte zu Spitzenzeiten des Kalten Krieges
Mitte der 1980er Jahre verfügt hatten. Die beiden Supermächte dieser
vergangenen Zeit verringern ihr Kontingent seitdem kontinuierlich,
besitzen aber immer noch mehr als 90 Prozent aller Atomsprengköpfe:
Bei den USA sind es noch 5800, bei Russland 6375.
Wer neben USA und Russland noch Atomwaffen besitzt
Außerdem verfügen Großbritannien (215), Frankreich (290), China
(320), Indien (150), Pakistan (160) und Israel (90) über Atomwaffen.
Hinzu kommt das Arsenal des abgeschotteten Nordkoreas, dessen Zahl
auf 30 bis 40 geschätzt wird und das wegen großer Unsicherheit über
diese Ziffer nicht zur weltweiten Gesamtmenge hinzugerechnet wird.
Als sofort einsatzbereit gilt jedoch nur ein Teil der Atomsprengköpfe
der USA, Russlands, Großbritanniens und Frankreichs - das bedeutet,
dass sie bereits auf Raketen montiert sind oder sich auf aktiven
Stützpunkten befinden.
Ein Jahr zuvor hatte der Rückgang bei den atomaren Sprengköpfen knapp
vier Prozent betragen. Wie damals ließen sich die erneut rückläufigen
Zahlen hauptsächlich darauf zurückführen, dass die USA und Russland
alte Waffen ausrangierten, die sie nicht mehr benötigten, sagte Kile.
Zudem wiesen er und seine Mitforscher darauf hin, dass in Russland
und den USA umfassende und kostspielige Programme liefen, um ihre
Atomsprengköpfe, Raketen- und Flugzeugsysteme sowie nuklearen
Produktionsanlagen zu ersetzen und zu modernisieren.
Beide Länder räumten Atomwaffen in ihren Militärplänen neue und
größere Rollen ein, was einem Trendwechsel im Vergleich zur Zeit nach
dem Kalten Krieg entspreche. "Was uns insgesamt beunruhigt, ist die
wachsende Bedeutung von Atomwaffen", sagte Kile. "Wir sehen einen
entscheidenden Umschwung vom Trend nach dem Kalten Krieg zur
allmählichen Marginalisierung nuklearer Waffen. Ich denke, das ist
vielleicht die besorgniserregendste Entwicklung."
Der Abbau der atomaren Waffen verlangsamte sich: Waren es im Vorjahr
in absoluten Zahlen im Jahresvergleich noch 600 weniger weltweit
gewesen, betrug der Rückgang diesmal nur noch 465. Bei China kamen
gar 30 Atomwaffen hinzu, ebenso gab es einen geringeren Anstieg bei
den Erzrivalen Indien und Pakistan sowie bei Israel und
Großbritannien. Zu den Briten merkte Sipri jedoch an, dass diese
Bestände bereits wieder zurückgegangen sein könnten.
China befinde sich dagegen eindeutig in einer wesentlichen
Modernisierung seines Atomwaffenarsenals, sagte Kile. Dabei gehe es
Peking um den Aufbau einer sogenannten nuklearen Triade bestehend aus
neuen land- und seegestützten Raketen und atomwaffenfähigen
Flugzeugen. Nicht zuletzt wegen dieser Entwicklungen wollten die USA
die Volksrepublik dringend bei den neuen Abrüstungsverhandlungen für
die Zeit nach dem Auslaufen des New-Start-Vertrags mit Russland im
Februar 2021 dabei haben, sagte Kile. China hat einer Teilnahme an
solchen Gesprächen bereits wiederholt eine Absage erteilt.
Sipri bezog seine Daten für die 51. Ausgabe seines Jahresberichts
erneut aus öffentlichen Quellen, unter anderem von Regierungen. Die
Verfügbarkeit von vertrauenswürdigen Informationen über die
Atomwaffenarsenale variiere stark, monierten die Friedensforscher.
Die US-Regierung von Präsident Donald Trump habe 2019 die Praxis
beendet, die Größe des US-Bestände öffentlich offenzulegen.
(se/dpa)
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