Das Coronavirus ist längst im Weißen Haus angekommen. Trumps Kammerdiener und Vizepräsident Mike Pences Pressesprecherin haben sich beide mit dem Virus infiziert. Präsident Trump und der Vizepräsident werden mittlerweile täglich getestet. Bis jetzt blieben die Ergebnisse negativ.
Doch was, wenn einer der beiden sich mit dem Virus infiziert und in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist? Oder gar beide gleichzeitig?
Die Nachrichtenagentur Bloomberg hat sich diesen Fragen angenommen. Das Ergebnis: Von einer vorübergehenden kleinen Störung bis zu einem riesigen Chaos mit einem Führungsvakuum, ist alles möglich.
Die Abfolge des Amts ist in den USA eigentlich in jeder Situation geklärt. Es könnte aber ein problematisches Szenario auftreten. Und das hat vor allem mit einem Begriff zu tun: der Amtsunfähigkeit (engl. inability).
Starten wir mit dem einfachsten Szenario. Präsident Donald Trump infiziert sich, ist aber amtsfähig. Die Regierungsgeschäfte laufen weiter wie gehabt.
Trotzdem würden die Märkte und Aktienkurse mit ziemlicher Sicherheit auf die Nachricht von Trumps Infizierung fallen, sagt Ian Bremmer, Präsident der Eurasia Group, eine Beratungsfirma für geopolitische Risiken.
Aber: "Wenn Trump sich infiziert und sich in Isolation begeben muss, aber weiterhin für die Regierung verantwortlich ist und wie verrückt twittert, wird das meiner Meinung nur minimale Auswirkungen geben", so Bremmer weiter.
Im zweiten Szenario verschlimmert sich Trumps Situation. Er müsste beispielsweise ins künstliche Koma versetzt werden. In diesem Fall kann er die Amtsgewalt auf seinen Vizepräsidenten übertragen. Nach seiner Genesung könnte er erklären, dass er wieder in die Ausübung seiner Rechte und Pflichten eintrete. Die Amtsgewalt ginge wieder an ihn über.
Dieser Vorgang ist im 25. Zusatzartikel zur US-Verfassung geregelt. Zur Anwendung gelangte er zuletzt 2007, als George W. Bush während einer Darmspiegelung die Amtsgewalt an seinen Vize Dick Cheney übertrug. Formell geschah diese über zwei Briefe, den ersten setzte Bush um 7.16 Uhr auf, im zweiten um 9.21 Uhr erklärte er sich wieder für amtsfähig.
In diesem Fall könnte Vizepräsident Mike Pence gemeinsam mit einer Mehrheit des Kabinetts Donald Trump gegenüber dem Kongress für amtsunfähig erklären. Die Amtsgewalt ginge dann kommissarisch an Pence über.
Einen solchen Fall gab es in der Geschichte der USA noch nie. Nach dem Attentat auf den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan 1981 lehnte es der amtierende Vizepräsident George Bush ab, die Amtsgewalt formell zu übernehmen, obwohl Reagan unter Narkose operiert wurde und zehn Tage im Krankenhaus lag.
Für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass sowohl der Präsident als auch der Vizepräsident sterben würden, gibt es auch einen Fahrplan. "In diesem Fall ist die Linie der Nachfolge klar", sagt Ilya Somin, Rechtsprofessorin an der George Mason University gegenüber Bloomberg: "Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, würde übernehmen."
Das ist das komplizierte Szenario. Verfassungsexperten warnen davor, dass Chaos ausbrechen könnte, wenn sowohl Trump als auch Pence von Covid-19 außer Gefecht gesetzt würden. Das Gesetz bietet wenig Klarheit bei der Lösung eines solchen Szenarios.
"Es wäre eine echte Shit-Show, die zu einem vollständigen Zusammenbruch der Verfassung führen könnte", sagt Brian Kalt, Rechtsprofessor an der Michigan State University. "Es würde sofort vor Gericht gehen und sie müssten sehr schnell entscheiden, was zu tun ist. Denn nicht zu wissen, wer der Präsident ist, kann für das Land äußerst gefährlich sein."
Das Problem sei laut Kalt, die Verfassung sehe kein definiertes Verfahren zur Feststellung der Leistungsunfähigkeit eines Präsidenten vor. Dies könnte zu einem Streit um das Amt führen, in dem sich die Demokratin Pelosi als dritte in der Linie selbst zur Präsidentin erklärt, auch wenn Trump und Pence (oder ihre Anwälte) sich selbst als dienstfähig sehen würden. Kalt forderte den Kongress dazu auf, das Nachfolgerecht neu zu schreiben und den Außenminister (in Trumps Fall Mike Pompeo) auf den dritten Platz für die Präsidentschaft zu setzen.
Das Weiße Haus meint, es gebe keinen Grund zur Besorgnis. Eine Sprecherin sagte, die Regierung hätte immer Pläne für solch einen Fall, lehnte es jedoch ab, offenzulegen, was wäre, wenn Trump und Pence gleichzeitig ihre Aufgaben nicht erfüllen könnten.
Was das Weiße Haus genau tut, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern, ist unklar. "Es gibt für alles ein Protokoll", sagt David Axelrod, ehemaliger leitender Berater des Weißen Hauses von Barack Obama. "Wir haben routinemäßig Übungen durchgeführt, um herauszufinden, was bei Terroranschlägen oder Atomangriffen zu tun ist, aber ich habe ehrlich gesagt nie mit einer Pandemiesituation gerechnet, wie sie das Weiße Haus derzeit hat."
Zunehmend besorgt zeigen sich einige Beamten des Weißen Hauses. Trump, Pence und ihre jeweiligen Mitarbeiter hätten in den letzten Wochen regelmäßigen Kontakt gehabt. Viele von ihnen trugen keine Maske, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass einer oder beide Amtsinhaber infiziert werden können. "Pence sollte sich weitgehend aus dem Weißen Haus raushalten, wie es Dick Cheney nach dem 11. September getan hat", sagt ein ehemaliger Trump-Berater.
Donald Trump hat sich während der Krise vielen Vorsichtsmaßnahmen, die von Beamten des öffentlichen Gesundheitswesens gefordert wurden, widersetzt. Beobachter sagen, er wolle einen Hauch von Normalität erzeugen – um Amerikaner davon zu überzeugen, das Haus zu verlassen und Geld auszugeben, damit so die Wirtschaft wiederbelebt werden kann. Seine Wiederwahl kann davon abhängen.
Trump scheint aber unterdessen seine Kontakte zu Vizepräsident Pence eingeschränkt zu haben, wie er an einer Pressekonferenz diese Woche sagte. Zudem verkündete Trump, er habe allen Mitarbeitern des Weißen Hauses befohlen, Masken zu tragen, um die Ausbreitung des Virus im Westflügel zu stoppen. Diese verstärkte Gesundheitsmaßnahme hat jedoch ihre Grenzen: Sie gilt nicht für den Präsidenten selbst.
(cki)