Großbritannien steckt in der Brexit-Krise, und Premierminister Boris Johnson steht mit dem Rücken zur Wand. Mit aller Kraft hatte Johnson für einen EU-Austritt am 31. Oktober gekämpft – notfalls auch ohne Abkommen.
Mehrere Rücktritte haben Johnsons eigene Reihen zudem geschwächt, seine Mehrheit im Unterhaus hat der Tory-Politiker in der vergangenen Woche verloren. Bei Anne Will ging es am Sonntagabend in der ARD um nicht weniger als die Zukunft des Vereinigten Königreichs.
Dazu hatte sich die Moderatorin den CDU-Politiker Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, und den konservativen britischen Politiker Greg Hands eingeladen, der Johnsons Kurs unterstützt.
Die Runde ergänzten der Journalist Rolf-Dieter Krause, die Historikerin Tanja Bueltmann und die Europaparlamentarierin Irina von Wiese der britischen Liberal Democrats.
Hands, selbst Tory-Abgeordneter im britischen Unterhaus, erklärte bei Will, er sei tief besorgt über die Lage in Großbritannien. Seinen Glauben an ein neues Abkommen mit Brüssel hat der Konservative nicht aufgegeben. Hands beklagte: "Der Kern des Problems ist, dass das Resultat des Referendums nicht durchgeführt wurde."
Die Europaparlamentarierin von Wiese, die selbst in London lebt, meint: "Johnson hat eindeutig ausgespielt, er hat sich verzockt." Die Liberale ist über Johnsons Kurs verärgert: "Er will gar kein Abkommen, Johnson steuert auf einen gefährlichen No-Deal zu."
Die Historikerin Bueltmann ohrfeigte den Premierminister: "Johnson hat keinen Plan, er hat auch noch nie einen Plan gehabt." Johnsons Politik sei unglaubwürdig: "Es sind nur Worte und heiße Luft." Der Johnson-treue Hands konnte gar nicht mehr aufhören, den Kopf zu schütteln.
Hands stand bei Will auf verlorenem Posten: Der Tory-Politiker glaubt nicht, dass Johnson das Gesetz zur Verhinderung eines No-Deal-Brexits brechen werde. Unnachgiebig blieb Hands auf Johnsons Linie: "Ich war auch gegen den Brexit, aber der Brexit muss durchgeführt werden." Johnson hatte durchgesetzt, das Parlament kurz vor der Brexit-Entscheidung in eine Zwangspause zu schicken. Für Hands: völlig normal – "denn das hat in den letzten Jahren jeder Premierminister gemacht."
CDU-Politiker Röttgen attackierte den Konservativen: "Einer der Fehler ist, dass ihr versucht, das Volk für dumm zu verkaufen. Kein Mensch glaubt diese Erklärung." Er warnte den Briten: "Das, was an Schaden entsteht, ist dramatisch."
Schottland werde das zweite Unabhängigkeitsreferendum anstellen, Nordirland und Irland würden vielleicht auch Referenden durchführen. Die Tory-Partei sei im Grunde jetzt schon zerstört. Und "der Film" sei noch nicht zu Ende, so Röttgen.
Johnsons Plan sei, das Parlament zu suspendieren, um es kaltzustellen. Und um dann einen "No Deal"-Brexit durchzuziehen und kurz danach mit "dieser Trophäe" die Brexit-Partei zu schlagen und in die Wahlen zu gehen, sagte Röttgen. Er fügte hinzu: "Wenn dabei die Opposition mitmacht, dann wäre sie nicht nur bescheuert, sondern (dann) wäre sie verantwortungslos."
Von Wiese zeigte sich bei Will sicher: "Einfach so mit Scheuklappen auf einen 'No Deal'-Brexit zuzurennen... Ich glaube nicht, dass das viele Bürger gut finden." Von Wiese forderte bei Will ein zweites Referendum.
Der Journalist Krause warnte vor den Folgen eines ungeregelten Brexits: "Auf diesem Weg werden viele Menschen bitter leiden." Das ist sicher. Und was auch sicher ist: Die Suche nach einem Weg aus der Brexit-Krise geht weiter.
(pb)