Im Gaza-Streifen wurden weiterhin viele Luftangriffe geflogenBild: imago images / Ashraf Amra
International
12.05.2021, 07:4912.05.2021, 08:12
Bei den bisher schwersten Raketenangriffen auf
Israels Küstenmetropole Tel Aviv seit Beginn des Nahostkonflikts sind
mindestens drei Menschen getötet worden. Nach Angaben der
Rettungsorganisation Zaka starb am Dienstagabend eine Frau in der
Stadt Rischon Lezion bei einem direkten Einschlag. Wie die Polizei am
Mittwochmorgen mitteilte, wurden dann in Lod bei Tel Aviv ein Mann
und eine Teenagerin getötet. Zaka hatte zunächst von einer Frau und
einem Kind gesprochen. In Jehud, ebenfalls im Großraum Tel Aviv,
wurde nach Angaben des Rettungsdienstes ein Haus direkt getroffen.
Israels Luftwaffe reagierte nach eigenen Angaben mit dem
umfangreichsten Bombardement des Gazastreifens seit dem Gaza-Krieg
von 2014. Palästinensische Quellen sprachen von Dutzenden Toten in
dem abgeschotteten Küstengebiet. Ein Sprecher des von der
islamistischen Hamas geführten Innenministeriums teilte mit, alle
Polizeigebäude im Gazastreifen seien bei israelischen Luftangriffen
zerstört worden. Im Westen von Gaza-Stadt waren Dutzende laute
Explosionen zu hören.
Seit Montag 35 getötete Palästinenser
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza stieg die Zahl der seit Montag getöteten Palästinenser auf 35, darunter zwölf Kinder und drei Frauen. 233 Menschen seien verletzt worden. Nach Berichten von örtlichen Medien und Augenzeugen wurden einige Kinder durch israelische Luftangriffe getötet, andere durch fehlgeleitete Raketen der Extremisten. Nach Angaben der israelischen Armee wurden mindestens 20 Mitglieder der islamistischen Hamas und des militanten Islamischen Dschihads getötet, darunter hochrangige Vertreter.
Auf israelischer Seite wurden infolge der massiven Raketenangriffe
von militanten Palästinensern aus dem Gazastreifen nach Angaben von
Sanitätern mehrere Menschen verletzt. Die Nachrichtenseite "Ynet"
berichtete, ein 84-Jähriger in Tel Aviv sei auf dem Weg zu einem
Schutzraum zusammengebrochen. In der bereits tagsüber besonders
schwer beschossenen Küstenstadt Aschkelon waren nach Angaben der
israelischen Polizei bereits Stunden zuvor zwei Frauen bei
Raketenangriffen getötet worden.
Hamas will keinen Rückzieher machen
Die islamistische Hamas erklärte am Dienstagabend, 130 Raketen aus
dem Gazastreifen auf Tel Aviv und Zentralisrael abgefeuert zu haben.
Letztlich dürften es weit mehr geworden sein, denn der gegenseitige
Beschuss hielt auch in der Nacht zum Mittwoch an. Die Hamas werde
keinen Rückzieher machen, sagte ein Sprecher der militanten
Islamisten im Gazastreifen. "Wenn Israel zuschlägt, schlägt der
bewaffnete Widerstand zurück." Die israelische Armee teilte in der
Nacht mit, sie habe in den vergangenen Stunden "eine Reihe wichtiger
Terrorziele und Terroraktivisten im Gazastreifen getroffen".
Die Armee zerstörte in der Nacht zum Mittwoch zwei mehrstöckige
Gebäude im Gazastreifen. Den Angaben zufolge befanden sich darin
Büros ranghoher Hamas-Mitglieder. Die Anwohner der Gebäude waren vor
dem Angriff von Israels Streitkräften gewarnt worden. Die Hamas hatte
vor der Zerstörung des ersten Gebäudes mit einem "harten"
Raketenangriff auf Tel Aviv gedroht.
Flughafen in Tel Aviv zwischenzeitlich geschlossen
Der internationale Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv wurde wegen der
Angriffe zeitweise für Landungen und Abflüge geschlossen. Die Flüge
wurden nach Zypern umgeleitet. In zahlreichen Ortschaften im Großraum
Tel Aviv sowie im Umkreis des Gazastreifens sollten am Mittwoch die
Schulen geschlossen bleiben.
Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte, die militanten
Palästinenserorganisationen Hamas und Islamischer Dschihad würden
einen hohen Preis für die jüngsten Angriffe auf Israel bezahlen.
"Diese Operation wird Zeit brauchen, aber wir werden den Bürgern
Israels die Sicherheit zurückbringen." Generalstabschef Aviv Kochavi
sagte, man sei fest entschlossen, den militanten Gruppierungen einen
harten Schlag zu versetzen.
Maas findet deutliche Worte
Bundesaußenminister Heiko Maas verurteilte die Raketenangriffe aus
dem Gazastreifen auf Israel scharf. "Dass es jetzt noch eine
derartige Eskalation der Gewalt gibt, ist weder zu tolerieren noch zu
akzeptieren", sagte Maas bei einem Besuch in Rom. "Israel hat in
dieser Situation das Recht auf Selbstverteidigung."
Russland und die USA riefen alle Seiten zur Zurückhaltung auf. In New
York zeigte sich UN-Generalsekretär António Guterres einem Sprecher
zufolge sehr besorgt und "zutiefst traurig über die zunehmende Zahl
von Opfern". Angesichts der zunehmend entfesselten Gewalt in Nahost
soll der UN-Sicherheitsrat am Mittwoch zum zweiten Mal binnen weniger
Tage zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen.
Vermehrte Zusammenstöße seit April
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat sich seit
Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan Mitte April zugespitzt.
In den vergangenen Tagen hatte es zunächst vor allem in Jerusalem
heftige Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen
Sicherheitskräften gegeben. Auslöser waren unter anderem
Polizei-Absperrungen in der Altstadt sowie drohende Zwangsräumungen
von palästinensischen Familien im Viertel Scheich Dscharrah.
In der Stadt Lod bei Tel Aviv, in der Juden und Araber gemeinsam
leben, kam es dann am Dienstagabend zu schweren Ausschreitungen. Nach
Medienberichten schändeten arabische Einwohner eine Synagoge und
setzten sie in Brand. Außerdem seien Dutzende Autos in Brand gesetzt
und Fenster von Geschäften eingeworfen worden. Der Bürgermeister von
Lod sprach im Fernsehen von einem "Bürgerkrieg" in der Stadt und
forderte eine sofortige Ausgangssperre. Um für Ruhe zu sorgen, wurden
zahlreiche weitere Polizeitruppen in die Stadt geschickt. Auch in den
arabisch geprägten Orten Akko im Norden des Landes und in Jaffa bei
Tel Aviv kam es zu schweren Zusammenstößen.
(nb/dpa)
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