Bei den bisher schwersten Raketenangriffen auf Israels Küstenmetropole Tel Aviv seit Beginn des Nahostkonflikts sind mindestens drei Menschen getötet worden. Nach Angaben der Rettungsorganisation Zaka starb am Dienstagabend eine Frau in der Stadt Rischon Lezion bei einem direkten Einschlag. Wie die Polizei am Mittwochmorgen mitteilte, wurden dann in Lod bei Tel Aviv ein Mann und eine Teenagerin getötet. Zaka hatte zunächst von einer Frau und einem Kind gesprochen. In Jehud, ebenfalls im Großraum Tel Aviv, wurde nach Angaben des Rettungsdienstes ein Haus direkt getroffen.
Israels Luftwaffe reagierte nach eigenen Angaben mit dem umfangreichsten Bombardement des Gazastreifens seit dem Gaza-Krieg von 2014. Palästinensische Quellen sprachen von Dutzenden Toten in dem abgeschotteten Küstengebiet. Ein Sprecher des von der islamistischen Hamas geführten Innenministeriums teilte mit, alle Polizeigebäude im Gazastreifen seien bei israelischen Luftangriffen zerstört worden. Im Westen von Gaza-Stadt waren Dutzende laute Explosionen zu hören.
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza stieg die Zahl der seit Montag getöteten Palästinenser auf 35, darunter zwölf Kinder und drei Frauen. 233 Menschen seien verletzt worden. Nach Berichten von örtlichen Medien und Augenzeugen wurden einige Kinder durch israelische Luftangriffe getötet, andere durch fehlgeleitete Raketen der Extremisten. Nach Angaben der israelischen Armee wurden mindestens 20 Mitglieder der islamistischen Hamas und des militanten Islamischen Dschihads getötet, darunter hochrangige Vertreter.
Auf israelischer Seite wurden infolge der massiven Raketenangriffe von militanten Palästinensern aus dem Gazastreifen nach Angaben von Sanitätern mehrere Menschen verletzt. Die Nachrichtenseite "Ynet" berichtete, ein 84-Jähriger in Tel Aviv sei auf dem Weg zu einem Schutzraum zusammengebrochen. In der bereits tagsüber besonders schwer beschossenen Küstenstadt Aschkelon waren nach Angaben der israelischen Polizei bereits Stunden zuvor zwei Frauen bei Raketenangriffen getötet worden.
Die islamistische Hamas erklärte am Dienstagabend, 130 Raketen aus dem Gazastreifen auf Tel Aviv und Zentralisrael abgefeuert zu haben. Letztlich dürften es weit mehr geworden sein, denn der gegenseitige Beschuss hielt auch in der Nacht zum Mittwoch an. Die Hamas werde keinen Rückzieher machen, sagte ein Sprecher der militanten Islamisten im Gazastreifen. "Wenn Israel zuschlägt, schlägt der bewaffnete Widerstand zurück." Die israelische Armee teilte in der Nacht mit, sie habe in den vergangenen Stunden "eine Reihe wichtiger Terrorziele und Terroraktivisten im Gazastreifen getroffen".
Die Armee zerstörte in der Nacht zum Mittwoch zwei mehrstöckige Gebäude im Gazastreifen. Den Angaben zufolge befanden sich darin Büros ranghoher Hamas-Mitglieder. Die Anwohner der Gebäude waren vor dem Angriff von Israels Streitkräften gewarnt worden. Die Hamas hatte vor der Zerstörung des ersten Gebäudes mit einem "harten" Raketenangriff auf Tel Aviv gedroht.
Der internationale Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv wurde wegen der Angriffe zeitweise für Landungen und Abflüge geschlossen. Die Flüge wurden nach Zypern umgeleitet. In zahlreichen Ortschaften im Großraum Tel Aviv sowie im Umkreis des Gazastreifens sollten am Mittwoch die Schulen geschlossen bleiben.
Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte, die militanten Palästinenserorganisationen Hamas und Islamischer Dschihad würden einen hohen Preis für die jüngsten Angriffe auf Israel bezahlen. "Diese Operation wird Zeit brauchen, aber wir werden den Bürgern Israels die Sicherheit zurückbringen." Generalstabschef Aviv Kochavi sagte, man sei fest entschlossen, den militanten Gruppierungen einen harten Schlag zu versetzen.
Bundesaußenminister Heiko Maas verurteilte die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Israel scharf. "Dass es jetzt noch eine derartige Eskalation der Gewalt gibt, ist weder zu tolerieren noch zu akzeptieren", sagte Maas bei einem Besuch in Rom. "Israel hat in dieser Situation das Recht auf Selbstverteidigung."
Russland und die USA riefen alle Seiten zur Zurückhaltung auf. In New York zeigte sich UN-Generalsekretär António Guterres einem Sprecher zufolge sehr besorgt und "zutiefst traurig über die zunehmende Zahl von Opfern". Angesichts der zunehmend entfesselten Gewalt in Nahost soll der UN-Sicherheitsrat am Mittwoch zum zweiten Mal binnen weniger Tage zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen.
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat sich seit Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan Mitte April zugespitzt. In den vergangenen Tagen hatte es zunächst vor allem in Jerusalem heftige Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften gegeben. Auslöser waren unter anderem Polizei-Absperrungen in der Altstadt sowie drohende Zwangsräumungen von palästinensischen Familien im Viertel Scheich Dscharrah.
In der Stadt Lod bei Tel Aviv, in der Juden und Araber gemeinsam leben, kam es dann am Dienstagabend zu schweren Ausschreitungen. Nach Medienberichten schändeten arabische Einwohner eine Synagoge und setzten sie in Brand. Außerdem seien Dutzende Autos in Brand gesetzt und Fenster von Geschäften eingeworfen worden. Der Bürgermeister von Lod sprach im Fernsehen von einem "Bürgerkrieg" in der Stadt und forderte eine sofortige Ausgangssperre. Um für Ruhe zu sorgen, wurden zahlreiche weitere Polizeitruppen in die Stadt geschickt. Auch in den arabisch geprägten Orten Akko im Norden des Landes und in Jaffa bei Tel Aviv kam es zu schweren Zusammenstößen.
(nb/dpa)