Wladimir Putin am Dienstag in der Duma in Moskau. Bild: Planet Pix via ZUMA Wire / Aleksey Nikolskyi/Kremlin Pool
International
11.03.2020, 08:3411.03.2020, 09:09
Der Weg für einen "Superpräsidenten" Wladimir
Putin in Russland ist nun fast frei. Der 67-Jährige äußerte sich bei
einer Rede zur größten Verfassungsänderung der russischen Geschichte
am Dienstag erstmals zu seiner Zukunft. Das Land brauche einen
starken Manager in Krisenzeiten. Und er zeigte sich bereit, über 2024
hinaus als Präsident zu arbeiten. Laut aktueller Verfassung wäre dann
eigentlich Schluss gewesen für ihn. Doch die Abgeordneten – mit
Ausnahme der Kommunisten – beschlossen nun im Eiltempo eine neue
Verfassung.
Amtzeit wird annulliert
Der Präsident erhält damit bisher nie gekannte Machtbefugnisse.
Und weil es praktisch ein neues Amt eines "Superpräsidenten" ist,
soll auch Putin die Chance haben, sich darauf zu bewerben. Seine
bisherigen vier Amtszeiten seit 2000 werden nicht gezählt, wie das
Parlament nach einem Vorschlag der Abgeordneten Valentina Tereschkowa
beschloss.
Die 83-Jährige, die erste Frau im Weltall, hatte einen
denkwürdigen Auftritt, als sie Putin als Dauerpräsident empfahl. Seit
Wochen diskutiere Russland über die neue Verfassung. Es gebe viele
Ideen – und immer wieder die Frage, wer das Land künftig führe. Und
dann ihr Vorschlag, alle künstlichen Konstrukte einer möglichen
Machtsicherung Putins für die Zukunft zu vergessen – und der Wahrheit
ins Gesicht zu schauen. Niemand sei so gut wie Putin auf dem Posten.
Putin wissen, was die Menschen wollen
Wenig später eilte Putin zu einer Dankesrede in die Duma: Ja,
auch er habe in den vergangenen Wochen bei Reisen immer wieder den
Wunsch der Menschen gespürt, dass er künftig die Geschicke des Landes
weiter führe. Viele dieser Treffen mit handverlesenen Putin-Fans
übertrug das Staatsfernsehen. "Mir gefällt meine Arbeit", sagte Putin
einmal. Das Amt des Präsidenten sei sein "Schicksal". Kritische
Stimmen gab es keine.
Zwar sagte Putin in seiner Duma-Rede, dass Russland irgendwann
einen Präsidenten brauche, bei dem sich weniger alles um die Person
drehe. Aber eben noch nicht jetzt. Bleiben soll aber nach seiner
Einschätzung die Begrenzung auf maximal zwei Amtszeiten – für
künftige Staatschefs.
Putin warb einmal mehr dafür, die Verfassung bei der
Volksabstimmung am 22. April anzunehmen. Nur dann trete sie auch in
Kraft. Erstmals enthalten sind beispiellose soziale Garantien wie
regelmäßige Rentenanpassungen und der Anspruch auf einen Mindestlohn.
Auch die russisch-orthodoxe Kirche, seine wichtige Machtstütze,
erhält jede Menge Zugeständnisse, die es so bisher nicht gab.
Keine "Homo-Ehe" unter Putin
Neben dem nun erstmals erwähnten "Glauben an Gott" wird etwa die
Ehe als Bündnis zwischen Mann und Frau festgeschrieben. Solange er
Präsident sei, werde es keine "Homo-Ehe" in Russland geben, hatte
Putin zuletzt erklärt. Die liberalen Ideen des Westens hatte er schon
voriges Jahr in einem Interview für "tot" erklärt.
Entstanden ist nun eine konservative Verfassung, die nach Meinung
etwa der Zeitung "Wedomosti" erstmals auch massive Eingriffe des
Staates in das Privatleben der Menschen erlaubt. Viele der Vorschläge
stammen von einer Arbeitsgruppe. In ihr hatten Sportler, Künstler,
Raumfahrer und Wissenschaftler mitgewirkt, die wenigsten von ihnen
mit juristischem Sachverstand. Unabhängige Medien sprachen von einem
beliebigen Sammelsurium an Ideen.
Während vor allem Putins treu ergebene Abgeordneten im Parlament
am Anfang noch beteuerten, dass es 2024 auf jeden Fall einen neuen
Präsidenten geben werde, sprachen am Dienstag viele nur noch davon,
dass Putin keine "lahme Ente" sei. Der Kremlchef hatte zuletzt selbst
gesagt, dass er nach all den Jahren an der Macht festgestellt habe,
dass es hier und da für den mächtigsten Mann im Staat glatter laufen
könnte. Daher die neuen Vollmachten.
Kritik von der Opposition
Die Opposition kritisiert seit Wochen, dass Putin die
Verfassungsänderung für seine Operation Machterhalt missbrauche.
Kremlgegner werfen ihm einen "Staatsstreich" vor. Menschenrechtler,
darunter Prominente wie Lew Ponomarjow und Swetlana Gannuschkina,
sprachen von einem "Verfassungsumsturz". Sie forderten in einem
öffentlichen Schreiben an das Verfassungsgericht, an den Geheimdienst
und andere Sicherheitsbehörden, an die Medien und die Bevölkerung,
Putins Angriff auf das Grundgesetz abzuwehren.
Auch Oppositionspolitiker wie Alexej Nawalny und im Exil Michail
Chodorkowski forderten die Bevölkerung auf, am 22. April gegen die
Verfassungsänderung zu stimmen. In der russischen Hauptstadt kam es
am Abend zu spontanen Mahnwachen von Moskauern. Sie protestierten
nach einem Bericht des kremlkritischen Radiosenders Echo Moskwy, dass
es keine Chance auf einen Machtwechsel unter einem "ewigen Putin"
gebe.
Was wollen die Russen?
Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Lewada ergab zuletzt
noch kein klares Bild: viel Ablehnung, aber auch viel Zustimmung – vor allem aber viel Unentschlossenheit. Eine Empfehlung für die
Abstimmung gab zuletzt die Chefin der russischen Wahlkommission
Jelena Pamfilowa ab: Die neue Verfassung sei wie ein Mittagessen aus
mehreren Gängen. Nicht jeder müsse jeden Gang mögen. Das sei aber
noch kein Grund, auf das Essen zu verzichten.
(dpa/lin)
Russland und das abgeschottete Nordkorea nähern sich politisch immer weiter an. Im Juni dieses Jahres besuchte der russische Machthaber Wladimir Putin Nordkorea. Es waren 24 Jahre seit seinem ersten Besuch vergangen.