Ein Supertanker steht im Mittelpunkt des Säbelrasselns zwischen den USA und dem Iran: Die rätselhafte wochenlange Fahrt der "Adrian Darya-1" durch das Mittelmeer ist eine Geschichte von Tücke und Tricks, von Vergeltung und Verrat – und einer zentralen Frage: Hat das Schiff iranisches Öl für das Regime in Syrien geliefert? Darum geht es in erster Linie.
Die USA hatten erklärt, jeden nötigen Schritt zu unternehmen, um diese Lieferung zu verhindern. Das Öl ist verkauft, behauptete der Iran wiederum am Sonntag, ohne Angaben zum Käufer zu machen. Das Schiff lag zuletzt vor Syrien, wie Satellitenbilder zeigen. Das Automatische Identifikationssystem (AIS), mit dem die Position eines Schiffes gesendet wird, hatte die Besatzung schon Tage zuvor abgeschaltet. Der Verkauf des Öls wurde vom Iran am 26. August schon einmal gemeldet.
Die Chronologie des brisanten Versteckspiels.
Wegen seiner schweren Beladung hatte das Schiff vom Iran kommend eine Route um das Horn von Afrika herum nehmen müssen. Es ist bereits rund drei Monate unterwegs, als es ins Mittelmeer einfährt und sich die Lage am 4. Juli vor Gibraltar zuspitzt. Britische Marineinfanteristen setzen das Schiff fest. Der Tanker wolle Öl nach Syrien bringen, was gegen Sanktionsrichtlinien der EU gegen das Regime von Machthaber Baschar al-Assad verstößt. Irans geistliches Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei wirft Großbritannien "Piraterie" vor.
Das Schiff heißt zu dem Zeitpunkt noch "Grace-1", fährt unter der Flagge Panamas, Eigner ist den Papieren nach ein Unternehmen in Singapur, es wird aber betrieben von einer iranischen Firma. Es gehört der iranischen Revolutionsgarde, erklären die USA. Diese Eliteeinheit hat Washington als Terrorgruppe eingestuft.
Es dauert zwei Wochen bis zur Vergeltung. Von einem Hubschrauber seilen sich am 19. Juli Soldaten einer iranischen Spezialeinheit auf die "Stena Impero" ab, längsseits liegen Schnellboote. Der Iran hat nun einen britischen Tanker in seiner Gewalt.
Am 15. August ändert sich die Situation für die "Grace-1". Washington hat eine fortdauernde Beschlagnahmung des Schiffes beantragt, spricht von Terrorfinanzierung. Die USA wollen iranische Ölverkäufe möglichst komplett ruhen lassen, um das Regime beim Atomprogramm zum Einknicken zu bewegen. Aber Gibraltar gibt das Schiff frei. Es liegt tief im Wasser, deshalb wirft es nur einen kleinen Schatten. Diese Tatsache wird später noch einmal wichtig werden.
Am 18. August nimmt das Schiff Fahrt auf. Es heißt nicht mehr "Grace-1", sondern trägt nun den Namen "Adrian Darya-1". Es fährt jetzt unter iranischer Flagge. Aber wohin?
Der Iran hat Gibraltars Regierungschef Fabian Picardo versichert, das Öl an Bord werde nicht an ein Land geliefert, das mit EU-Sanktionen belegt ist. Also nicht nach Syrien. Das nun folgende Verwirrspiel um die Route des Schiffes lässt sich gut in Tweets von tankertrackers.com verfolgen – Experten für die Analyse von Öltransporten auf dem Meer. Als Ziel gibt das Schiff zunächst Kalamata in Griechenland an, von dort könnte es nach Italien gehen – zum Verkauf des Öls, heißt es.
Die Experten von tankertrackers.com schließen das aus: "Mit dem Schiff will kein Käufer etwas zu tun haben. Es ist wie radioaktiv." Weiterhin wird mal Mersin in der Türkei als Ziel angegeben, dann gar kein Ziel, dann wieder Mersin. Nördlich von Zypern dreht das Schiff, fährt wieder ein Stück in die entgegensetzte Richtung, dann nach Süden.
Der aus Indien stammende Kapitän der "Adrian Darya-1" bekommt am 26. August eine E-Mail aus Washington. Der US-Sonderbeauftragte für den Iran, Brian Hook persönlich, macht ihm ein millionenschweres Angebot. Er soll Verrat an seinen Auftraggebern begehen und einen Hafen anlaufen, in dem das Schiff im Auftrag der USA beschlagnahmt wird. Dann erhalte er mehrere Millionen Dollar. Es ist nicht die einzige derartige Mail an einen Kapitän, berichtet die "Financial Times" später.
Vier Tage später machen die USA deutlich, dass sie das Schiff auch in keinem europäischen Hafen sehen wollen. Das Schiff wird auf eine Liste von Terrorunterstützern gesetzt, der Kapitän ebenso. Die US-Regierung warnt Mittelmeeranrainer: Wer der "Adrian Darya-1" Hilfe zukommen lässt, riskiert selbst Sanktionen. Außenminister Pompeo zweifelt das Versprechen an, das Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif gegeben hat. Es sei ein großer Fehler gewesen, Sarif zu trauen.
Sarif antwortet auf Twitter, der Iran habe sich in der Vergangenheit schon nichts von den USA sagen lassen: "Hören Sie auf zu meckern, Minister Pompeo. Wir verkaufen Öl an jeden und alle Käufer."
Auch an Syrien. So sieht es auch Pompeo in seinem Tweet. "Ziel Syrien" steht auf dem Bild des Schiffes, das er teilt.
Dieses Ziel haben zumindest kleinere Tanker, die durch den Suezkanal vom Iran her kommen. Ein Tanker liefert der syrischen Raffinerie Baniyas Ende August 700.000 Barrel und fährt zurück Richtung Iran, registriert tankertrackers.com. Drei iranische Schiffe mit je einer Million Barrel an Bord sind an der syrischen Küste oder befinden sich in der Anfahrt. Es gibt somit absehbar in Reichweite der "Adrian Darya-1" iranische Schiffe, die nach dem Entladen in Syrien Öl vom großen Tanker übernehmen könnten.
Am 2. September verschwindet das Signal der "Adrian Darya-1", tankertrackers.com können das Schiff aber auf Satellitenaufnahmen der ESA finden. Ein Foto vom Vormittag des 6. Septembers zeigt nach Ansicht der Experten, dass das Schiff noch voll beladen ist. Dabei meldet die Agentur Middle East Eye unter Berufung auf zwei gut informierte Quellen, gut die Hälfte des Öls sei an einem syrischen Hafen entladen worden. Doch es gibt keine Bilder aus dem All, die das belegen.
Die "Adrian Darya-1" liegt nun in syrischem Gewässer, zwei Seemeilen vor dem Ölterminal der Stadt Tartus. Das zeigt ein Foto, das Trumps damaliger Nationaler Sicherheitsberater John Bolton twittert. Doch der Hafen ist nicht tief genug für das voll beladene Schiff. Es bliebe nur das Entladen von Schiff zu Schiff.
Trumps Berater kritisiert nun alle, die gezweifelt haben, dass der Iran mit dem Schiff das Ziel Syrien hat. Sie hätten die Augen vor der Wahrheit verschlossen. Man könne miteinander sprechen, twittert er, aber Erleichterung von Sanktionen gebe es nur, wenn der Iran mit dem Lügen und Verbreiten von Terror aufhöre.
Für tankertrackers.com steht anhand der Position der Schiffe auf den Bildern fest, dass die "Adrian Darya-1" noch voll beladen ist. Es seien mindestens 24 Stunden nötig, zwei Millionen Barrel zu entladen – und Syrien habe keinen entsprechenden Hafen.
Klar ist: Ohne eine Entladung müsste das Schiff wieder um Afrika herum zurück in den Iran fahren, so schwer beladen kommt es nicht durch den Suezkanal. Mindestens ein Drittel der Ladung von 2,1 Millionen Barrel (339 Millionen Liter) Öl muss gelöscht werden, schätzen die Experten, damit es diese Reise antreten kann.
Ein Sprecher des iranischen Außenministeriums verkündet am 8. September, das Schiff habe sein Ziel erreicht. "Das Schiff ist irgendwo im Mittelmeer, hat sein Öl an Bord bereits verkauft und der Besitzer wird nun entscheiden, wie es mit dem Tanker weitergeht." An wen das Öl verkauft ist, will der Sprecher nicht verraten. Er sagt in der Pressekonferenz auch, dass die britische "Stena Impero" mit den verbliebenen 16 Besatzungsmitgliedern aus Indien, Russland und von den Philippinen bald frei kommt.
Die Experten von tankertrackers.com werten am Montagabend die Schatten eines neuen Bildes aus – und sehen sich bestätigt.
Die "Adrian Darya-1" ist weiter vor Tartus und wirft kaum Schatten. Das heißt: Das Schiff liegt so tief im Wasser, dass es voll beladen sein muss. Auch am Dienstag hatte sich daran nichts geändert. Das Rätsel bleibt.
Die britische Regierung sah das am Dienstag anders: Sie hat den Iran verurteilt. "Es ist jetzt klar, dass der Iran gegen die Zusicherungen verstoßen hat und dass das Öl an Syrien und das mörderische Regime von Assad übergeben wurde", heißt es in der Erklärung von Außenminister Dominic Raab. Das sei ein "inakzeptabler Verstoß gegen internationale Normen", Großbritannien werde das bei der UN zu Sprache bringen. Rätsel gelöst? Das Schiff lag auch am Dienstag noch vor Syrien.
Dieser Artikel erschien zuerst bei t-online.de.