
Frieden sei erst möglich, wenn niemand mehr Israel das Existenzrecht abspreche, betonte US-Präsident Joe Biden.Bild: dpa / Patrick Semansky
International
Der Teufelskreis der Gewalt ist vorerst durchbrochen. Israel und die Hamas reklamieren beide den Sieg. Aber ohne eine ernsthafte Friedensperspektive könnte es heißen: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. US-Präsident Biden kennt nur eine Antwort.
22.05.2021, 11:4822.05.2021, 12:01
Die Waffenruhe im Gaza-Konflikt hat
auch die zweite Nacht überstanden. Für die Menschen in Israel und im
Gazastreifen begann mit dem Ende der Kämpfe der Weg zurück in die
Normalität. Vor allem im verwüsteten Gazastreifen ist dieser lang und
beschwerlich. Der Weg zu einem dauerhaften Frieden und damit der
Vermeidung des nächsten Krieges in einigen Jahren war hingegen
unklarer denn je. Nach Ansicht von US-Präsident Joe Biden kann der
Nahost-Konflikt nur durch eine Zwei-Staaten-Lösung, also ein
unabhängiges Palästina neben Israel, befriedet werden. "Das ist die
einzige Antwort, die einzige Antwort", betonte Biden am Freitag
(Ortszeit) im Weißen Haus.
Auch die Europäische Union (EU) sprach sich erneut für zwei Staaten
aus. "Die Wiederherstellung eines politischen Horizonts für eine
Zwei-Staaten-Lösung bleibt von größter Bedeutung", erklärte ihr
Außenbeauftragter Josep Borrell.
Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte angesichts antisemitischer Vorfälle auf Demonstrationen in Deutschland vor Grenzüberschreitungen.
Biden kündigt Hilfspaket für Gazastreifen an
Biden betonte, die Hamas sei eine Terrororganisation. Trotzdem seien
die USA um der Zivilbevölkerung willen entschlossen, den Wiederaufbau
im Gazastreifen über die Palästinensische Autonomiebehörde mit einem
"großen Hilfspaket" zu unterstützen. Gleichzeitig betonte er, dass
ein nachhaltiger Frieden erst möglich sei, sobald alle Akteure in der
Region zweifelsfrei "das Recht Israels anerkennen, als unabhängiger
jüdischer Staat zu existieren".
Das aber lehnt die Hamas ab, es ist sozusagen das Markenzeichen der
von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften
Organisation, die Zerstörung Israels zu fordern. Und der gerade
beendete Krieg hat die Hamas im innerpalästinensischen Ringen mit dem
verhandlungsbereiten Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas im
Westjordanland eher noch gestärkt. Der hatte die eigentlich für
Samstag geplante erste Parlamentswahl in den Palästinensergebieten
seit 15 Jahren Ende April formell wegen Streits um die Stimmabgabe in
Jerusalem auf unbestimmte Zeit verschoben. Kritiker warfen ihm
hingegen vor, er habe einen Sieg der Hamas verhindern wollen.

Menschen im Gazastreifen besehen nach Beginn der Waffenruhe die Schäden.Bild: dpa / -
Merkel: Meinungsfreiheit ja, Hetze nein
Aber auch Israels Siedlungspolitik im besetzten Westjordanland und in
Ost-Jerusalem, wo nach Vorstellung von Abbas ein Palästinenserstaat
entstehen soll, macht eine Zwei-Staaten-Lösung, die bereits seit
Mitte der 1970er Jahre angestrebt wird, immer schwieriger.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte unterdessen angesichts antisemitischer Vorfälle bei Demonstrationen gegen Israels Palästinenser-Politik vor Grenzüberschreitungen. "Das Grundgesetz garantiert das Recht zur freien Meinungsäußerung und friedlichen Versammlung. Aber es lässt keinen Raum für Angriffe gegen Menschen anderen Glaubens, keinen Raum für Gewalt, Rassismus und Hetze", sagte sie in ihrer am Samstag veröffentlichten wöchentlichen Videobotschaft. "Wer Hass gegen Juden auf unsere Straßen trägt, wer volksverhetzende Beleidigungen äußert, stellt sich außerhalb unseres Grundgesetzes. Solche Taten müssen konsequent geahndet werden und für die Täterinnen und Täter spürbare Folgen haben."
Neue Demonstrationen erwartet
Merkel äußerte sich anlässlich des Tags des Grundgesetzes an diesem Sonntag. Am Samstag sind in Berlin erneut zwei Demonstrationen zum Israel-Palästinenser-Konflikt geplant, darunter die größere am Abend mit erwarteten 2000 Teilnehmern. Eine für den Nachmittag geplante ebenso große dritte Demonstration war am Freitag verboten worden.
Die Kanzlerin sprach von "unerträglichen antisemitischen Äußerungen auf einigen Demonstrationen der letzten Tage". Sie fügte hinzu: "Ich bin aber auch froh, dass sich so viele Menschen gegen solche Tendenzen stellen, dass sie sich klar für die Werte unseres Grundgesetzes und den Schutz der Menschenwürde einsetzen. Solche Mitbürgerinnen und Mitbürger sind es, die die Worte des Grundgesetzes mit Leben füllen, und dafür bin ich ihnen dankbar."
Wieder Gewalt auf dem Tempelberg
Wie brenzlig die Lage im nahen Osten immer noch ist, zeigten am Freitag neue
Auseinandersetzungen auf dem Tempelberg (Al-Haram al-Scharif) in
Jerusalem zwischen Palästinensern und der israelischen Polizei.
Palästinensischen Rettungskräften zufolge wurden 15 Menschen
behandelt, nachdem die Polizei unter anderem Gummigeschosse
eingesetzt hatte. Nach Angaben der Polizei waren Polizisten zuvor aus
einer Menge Hunderter junger Menschen mit Steinen und einem Brandsatz
beworfen worden.
Solche Zusammenstöße hatte die Hamas zum Anlass genommen, am 10. Mai
Raketen Richtung Jerusalem abzufeuern. Daraufhin hatte Israel mit
massiven Bombardierungen des Gazastreifens begonnen. In dem Konflikt
wurden im Gazastreifen nach offiziellen Angaben mindestens 248
Menschen getötet und es gab 1910 Verletzte. In Israel starben 12
Menschen und mehr als 300 wurden verletzt.
(andi/dpa)
Israel soll im Gazastreifen einen Völkermord an Palästinenser:innen begehen. Das ist der wohl schwerwiegendste Vorwurf, den das Völkerrecht kennt. Doch was genau ist Genozid? Und welche Hinweise darauf bestehen im Fall des Gaza-Kriegs?
"Stop the Genocide" – auf Plakaten, bei Protesten, in Insta-Stories ist dieser Satz zu lesen. Gemeint ist im aktuellen politischen Diskurs der Vorwurf, Israel begehe im Gazastreifen Völkermord an Palästinenser:innen.