New York war eine Stadt, in der das Leben pulsierte. "The City that doesn't sleep" heißt es im durch Frank Sinatras Version unsterblich gewordenen Song "New York, New York". Eine harte Stadt, die dich verschlingen und zermalmen, aber auch mit Energie aufladen konnte. Stets faszinierend und inspirierend, und sicher niemals langweilig.
Die Vergangenheitsform ist nötig, denn seit Andrew Cuomo, der Gouverneur des Bundesstaats New York, am 20. März den Lockdown verordnet hat, steht die Stadt still. Die sonst tagsüber permanent überfüllten Straßen in Manhattan sind wie leergefegt. Die Broadway-Theater mussten erstmals in ihrer Geschichte schließen und die Subway den 24-Stunden-Betrieb einstellen.
Das Coronavirus hat keine Region der USA so hart getroffen wie New York, eine Stadt, die in den vergangenen Jahrzehnten vieles durchmachen musste. In den 1970er Jahren war sie so gut wie pleite, schmutzig und von Kriminalität und Drogen gebeutelt. In den 90ern folgte die Wiedergeburt, ehe der 11. September 2001 ihr einen Stich ins Herz versetzte. Es folgte die Finanzkrise von 2008.
Nichts aber lässt sich vergleichen mit Corona. New York ist wieder Ground Zero, nur viel heftiger als vor 19 Jahren. Die derzeitige Bilanz: rund 200.000 positiv getestete Fälle und mindestens 20.000 Tote. Die Dunkelziffer dürfte in beiden Fällen höher sein. Zeitweise musste die Stadt Kühllaster mieten, um alle Leichen unterbringen zu können. Im Central Park entstand ein Lazarett.
"Über Ostern war es besonders schlimm, da hatten wir rund 800 Todesfälle pro Tag. Jetzt sind es weniger als 200", berichtet Barbara Leifer. Ende März hatte watson erstmals mit der Sängerin und Dirigentin gesprochen, die den Diplomatic Choir of Berlin leitet und eigentlich nur kurz in die USA reisen wollte, seit dem Lockdown jedoch in ihrem Appartement in Midtown West festsitzt.
Damals wirkte Leifer nervös, teilweise verängstigt. Manche Leute kümmerten sich "überhaupt nicht um die Aufforderung, sich und andere zu schützen, sei es im Laden oder auf der Straße", klagte sie im Skype-Gespräch. Die allgemeine Lage in New York hat sich seither nicht verändert, aber gerade dieser Punkt habe sich wesentlich gebessert: "Die Leute sind vorsichtiger geworden."
Sie befolgten nun die Regeln, so Leifer: "Alle tragen jetzt eine Maske." Ohne dürfe man sowieso nicht in die Geschäfte hinein, und auch in ihrem Wohnblock bestehe Maskenpflicht. Dazu trägt sicher auch die Tatsache bei, dass die Polizei das Social Distancing konsequent durchsetzt. Dennoch ist dieses Verhalten der oft widerspenstigen New Yorker bemerkenswert.
Es scheint sich auszuzahlen. In den Kliniken der Stadt hat sich die Lage entspannt. In der schlimmsten Phase der Krise herrschten dort unhaltbare Zustände. Mangels Ausrüstung mussten Ärzte und Pflegepersonal die gleiche Maske teilweise tagelang benutzen. Viele haben sich infiziert. "Jetzt sind die Kliniken nicht mehr voll", sagt Barbara Leifer.
Von Normalität kann die Stadt vorerst aber nur träumen. Fünf der zehn Regionen des Staates New York dürfen ab Freitag erste Lockerungen vornehmen. Es handelt sich um ländliche Gebiete im Norden. Sie erfüllen alle sieben von Gouverneur Cuomo formulierten Voraussetzungen, darunter eine klar rückläufige Infektionskurve und genügend Kapazitäten für Tests und Zurückverfolgung von Kontakten von Infizierten.
Die Stadt New York erfüllt erst vier Kriterien. So gibt es trotz Entspannung in den Krankenhäusern noch zu wenig freie Betten auf den Intensivstationen. Bürgermeister Bill de Blasio sagte am Montag, erste Lockerungen werde es wohl erst ab Juni geben, und auch das nur, wenn die Covid-19-Indikatoren weiterhin in die richtige Richtung zeigten. Auch das Maskentragen werde weiterhin nötig sein.
Selbst in diesem Fall dürfte die Metropole noch für Monate im Zeitlupenmodus verbleiben. Am Broadway soll frühestens ab September wieder gespielt werden, wenn überhaupt. Das New York Philharmonic Orchestra und die Metropolitan Opera verkaufen Tickets für die neue Saison, doch es gibt Gerüchte, wonach ein normaler Spielbetrieb erst ab Herbst 2021 geplant ist.
"Das kulturelle Leben ist vollständig tot", sagt Barbara Leifer, die als Musikerin in der Szene gut vernetzt ist. Sie selber weiß sich zu beschäftigen: "Ich mache Gymnastik und Musik und pflege die Kontakte mit der Familie." So hat sie ein Video produziert, in dem sie ihren Berliner Chor aus der Ferne dirigiert. Und sie macht zweimal pro Woche Freiwilligenarbeit in ihrem Wohnblock.
Eine Lockerung ab Juni sei unvermeidlich, meint sie. Selber aber will sie vorsichtig bleiben: "Ich gehe nicht ins Restaurant, ich würde mich dort nicht wohlfühlen." Denn das Personal ist auf jeden Tagesverdienst und jedes Trinkgeld angewiesen und geht deshalb auch krank zur Arbeit. Barbara Leifer weiß, wovon sie spricht. Sie hat in jungen Jahren selber in der Gastronomie gearbeitet.
New York City wird sich ins Leben zurückkämpfen. Etwas anderes kann man sich nicht vorstellen. Aber der Weg dorthin wird lang, hart und schmerzhaft sein.