Nach der umstrittenen Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee haben tausende Muslime erstmals seit Jahrzehnten an einem Freitagsgebet in dem historischen Bau teilgenommen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan las bei der Zeremonie in Istanbul eine Koran-Sure. "So Gott will, wird (die Hagia Sophia) allen Gläubigen für die Ewigkeit als Moschee dienen", sagte Erdogan im Anschluss. Scharfe Kritik kam aus Griechenland.
Von den vier Minaretten erschallten die Gebetsrufe, die ebenso wie die ganze Zeremonie im türkischen Fernsehen übertragen wurden. Erdogan trug zu dem Anlass eine muslimische Gebetskappe und zeitweilig einen Mund-Nasen-Schutz. Wegen der Corona-Pandemie waren im Inneren der Moschee nur einige hundert Menschen zugelassen. Vor der früheren byzantinischen Kathedrale drängten sich Tausende. Laut Erdogan beteten rund 350.000 Gläubige in und vor der Moschee. Diese Zahl war von unabhängiger Seite nicht verifizierbar.
Der islamisch-konservative Staatschef besuchte anschließend zusammen mit seinem Koalitionspartner Devlet Bahceli, Chef der ultrarechten MHP, das Mausoleum von Sultan Mehmet II., dem Eroberer von 1453. Kein Oppositionsführer nahm an der Veranstaltung teil.
Der Staatschef hatte die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee am 10. Juli angeordnet, nachdem das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei zuvor den seit 1934 geltenden Museumsstatus des Gebäudes aufgehoben hatte.
Für Griechenland, das ohnehin angespannte Beziehungen zur Türkei unterhält, ist die Umwandlung der Hagia Sophia eine "Provokation der zivilisierten Welt". Regierungschef Kyriakos Mitsotakis erklärte am Freitag, "dieser Tag ist keine Demonstration der Stärke, sondern ein Beweis der Schwäche". Das Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Griechenland sprach von einem "Tag der Trauer für das gesamte Christentum". Erzbischof Hieronymos bezeichnete die Umwandlung als einen "unheiligen Akt der Schändung".
Auch der aus Griechenland stammende EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas zeigte sich "ziemlich bitter" und "ziemlich wütend". Wenn die Türkei wirklich mit der EU zusammenarbeiten wolle, sei das, "was heute mit der Hagia Sophia geschieht, wirklich ein schlechter Anfang."
Paris und Berlin bedauerten die Entscheidung der türkischen Regierung. US-Außenminister Mike Pompeo hatte von einer "Verpflichtung" Ankaras "zum Respekt gegenüber den Glaubenstraditionen und der diversen Geschichte" der türkischen Republik gesprochen. Der Papst zeigte sich "sehr betrübt".
Die UN-Kulturorganisation Unesco hatte scharf protestiert und darauf verwiesen, dass der Kuppelbau als Teil der Istanbuler Altstadt zum Weltkulturerbe gehöre. Ein Staat dürfe "keine Veränderung an dem herausragenden universellen Wert" eines Welterbe-Monuments vornehmen.
Beobachtern zufolge trieb Erdogan die Umwandlung der Hagia Sophia voran, um seine religiöse Wählerschaft inmitten von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die durch die Corona-Pandemie zusätzlich verschärft wurden, zu mobilisieren.
Die Hagia Sophia wurde im 6. Jahrhundert zunächst als Basilika errichtet und war über Jahrhunderte die Hauptkirche des Byzantinischen Reiches und eine der wichtigsten Kirchen der Christenheit. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 wurde sie in eine Moschee umgewandelt.
Nach der türkischen Republikgründung wurde sie 1934 zum Museum erklärt. Die Umrüstung in ein Museum war eine zentrale Reform der modernen Republik unter der Führung des säkularen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk.
(lin/dpa)