Was tut man, wenn man die Hölle auf Erden erlebt hat? Wenn Familienangehörige, Freunde, Bekannte vor den eigenen Augen getötet oder auf brutalste Weise "geschlachtet" wurden, wie einige Augenzeugen aus Israel es berichten? Wenn das Leben nie wieder so sein wird, wie zuvor?
Als die Hamas-Terroristen am 7. Oktober ihren Großangriff auf Israel starteten, brachten sie unfassbares Leid in das Land. Sie drangen aus dem Gazastreifen unter anderem mit präparierten Gleitschirmen, Trucks und Motorrädern ein. Grenzzäune zerstörten sie mit Baggern. Dann schlachteten sie schwer bewaffnet jeden ab, der ihnen begegnete, wie Augenzeugen das brutale Vorgehen der Terroristen beschreiben. Sie gingen in Ortschaften von Haus zu Haus und töteten Zivilist:innen: Frauen, Kinder, Männer, alte Menschen, viele vergewaltigten sie. Allein auf einem Festival nahe der Grenze zum Gazastreifen gab es über 260 Tote. Unzählige Menschen verschleppten die Hamas-Kämpfer in den Gazastreifen.
Und die Überlebenden? Sie sind teilweise schwer traumatisiert, berichten von Szenen wie in einem stundenlangen "Horrorfilm". Sie sprechen von Gewalt, die selbst kriegserfahrene Menschen so "noch nie erlebt" haben.
Mit schwer traumatisierten Überlebenden geht Israel auf besondere Weise um. Daran zeigt sich, dass das Land viel Traumaerfahrung hat. Laut Medienberichten ist es das "vielleicht traumaerfahrenste" Land der Welt mit einem zehn Jahre lang gestrickten Netz der Notfallseelsorge. Eine der Bewältigungsstrategien heißt hier etwa: Urlaub im Paradies.
Einige derjenigen, die bei Hamas-Angriffen Schlimmes erlebt haben, kommen an eigentlich traumhafte Orte. Nach Gewalt, Blut und Tod sollen sie zwischen Palmen, blühenden Kakteen und Yoga-Sessions das Erlebte verarbeiten können.
Dort sind Betroffene nicht allein mit dem Erlebten. Es gibt eine feste Tagesstruktur, Aktivitäten und eine Vollverpflegung mit Buffet inklusive. Wie "Zeit" schreibt, ist ein solcher Ort der Ferienort Ein Gedi am Toten Meer.
Wie eine Oase soll Ein Gedi sein, gruppiert um ein paar Wasserfälle in der Wüste und am Westufer des Toten Meeres. Dort befinden sich Ferienbungalows. Allerdings geht es hier nicht um den Urlaub. Denn die Bewohner:innen, die seit Sonntag hier leben, haben die schrecklichen Bilder des Hamas-Angriffes im Kopf. Trotz Badekleidung und Traumumgebung. Israel verwandelt die Orte, die in sichereren Gebieten liegen, in Reha-Kliniken mit psychologischer Rundum-Betreuung.
Das Programm wird immer dann gefahren, wenn es Angriffe gibt. "Wann immer die Lage an der Grenze zu Gaza eskaliert, bringt man die Bewohner der Grenzgebiete hierher", schreibt die Zeitung.
Etwa 200 traumatisierte Menschen befinden sich demnach aktuell allein in Ein Gedi. Es ist ein Ferienort mit Unterkünften, aber auch ein ganz normaler Kibbuz. Heißt: Dort leben Menschen, die jetzt auch den Überlebenden helfen, wo sie nur können. Sie hätten sie in die Arme geschlossen wie Familienangehörige.
Etwa 100 der dort untergebrachten Menschen kommen aus Be'eri im Süden Israels. Dort lebten Menschen kollektiv in der kleinen jüdischen Gemeinde. Jeder kannte jeden, es wurde gemeinsam gegessen und in einer engen sozialen Gemeinschaft gelebt. Bis sich am 7. Oktober alles verändern sollte.
Es war der erste Kibbuz, in den die radikalislamischen Hamas eingedrungen war. Mehr als ein Zehntel der Einwohner:innen, mindestens 100, wurden dabei getötet. "Sie kamen in jedes Haus. Sie kamen in jedes Zimmer, an jeden Ort", beschreibt ein Überlebender die Szenen.
Auch die 30-jährige Noa lebte dort und musste nun nach Ein Gedi fliehen, wie die "Zeit" schreibt. Die Geologin und ihr Partner Yoav harrten in einem Bunker in ihrem Haus auf, während die Hamas die Nachbarn tötete. Für die Menschen in dem Kibbuz sind Luftangriffe nichts Neues. Diese neue Brutalität hat sie jedoch völlig überrascht, wie Noa der Zeitung erzählt: "Als der Alarm losging, dachten wir, das ist bestimmt gleich wieder vorbei, wie immer."
So kam es aber nicht.
Zu dem Alarm und Raketen-Geräuschen herrschte draußen plötzlich Geschrei und viele Schüsse fielen, wie es in dem Bericht weiter heißt. Dann kamen Nachrichten mit Warnungen von Nachbarn. Noa und Yoav suchten panisch nach dem Schlüssel ihres Schlafzimmers, das wie ein Bunker verstärkt ist, versteckten sich schließlich darin. Acht bis neun Stunden vergingen dort. Das Paar saß in dem Schlafzimmer ohne Toilette, Essen oder Wasser. Draußen fielen ständig Schüsse. Stundenlang. Dem Bericht zufolge schrieben Nachbarn ihnen, dass Angreifer im Haus seien. Dann gab es keine Reaktion mehr von ihnen.
Sie überlebten. Als sie später das Zimmer verließen, sah das Paar die Hölle: Tote Menschen, Blutlachen überall. Zwischen Kinderwägen, Fahrrädern und ebenfalls erschossenen Hunden sowie abgebrannten Häusern und Autos. Israelische Soldat:innen waren inzwischen an den Ort des Geschehens angerückt. Mindestens acht Stunden nach Beginn des Angriffs. Zu viele Orte wurden heimgesucht, um schnell reagieren zu können.
Mit einem Schulbus wurden Noa und Yoav schließlich nach Ein Gedi gefahren. Erst dort erfuhren sie durch Gespräche mit anderen und Medienberichten das ganze Ausmaß des Schreckens. Klar ist: Sie haben zahlreiche Freunde verloren. Trotz Reha wird ihr Leben nie wieder so sein wie zuvor, die schrecklichen Bilder werden sich wohl für immer in ihr Gedächtnis gebrannt haben. Trotz Aufenthalt im Paradies. Denn die Trauer bleibt. Sicher fühle sie sich nirgends mehr, sagt Noa.