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International
Unvermittelt schießt ein Mann in einer Straßenbahn in Utrecht auf Fahrgäste. Drei Menschen kommen ums Leben, fünf werden verletzt. Es gibt Terroralarm.
19.03.2019, 12:0219.03.2019, 12:18
Terroranschlag oder Beziehungstat: Nach den tödlichen Schüssen in einer Straßenbahn in Utrecht hat die Polizei Hinweise auf ein terroristisches Motiv. Dafür spreche unter anderem ein im Fluchtwagen gefundener Brief, teilte die Polizei am Dienstag mit. Andere Motive würden aber nicht ausgeschlossen, heißt es.
Nach bisherigen Erkenntnissen könnte es sich um einen Terrorakt gehandelt haben, die Ermittler halten aber auch eine Beziehungstat für denkbar. Nach seiner Festnahme am Montagabend sollte der 37 Jahre alte Hauptverdächtige weiter vernommen werden. Der gebürtige Türke Gökmen T. soll in der Großstadt südlich von Amsterdam drei Menschen erschossen haben. Fünf weitere Fahrgäste wurden bei dem Angriff am Montag verletzt, drei von ihnen schwer. Die Polizei hält einen Terrorakt, aber auch eine Beziehungstat für möglich.
Unterdessen gab es widersprüchliche Angaben von Utrechts Bürgermeister und der Polizei über zwei der Festgenommenen. Nach Angaben der Polizei vom Dienstagmorgen sind weiterhin drei Verdächtige in Gewahrsam. Die Polizei widersprach damit in einer Mitteilung auf Twitter Bürgermeister Jan van Zanen, der zuvor im Radio gesagt hatte, zwei Verdächtige seien freigelassen worden. Nur der Hauptverdächtige werde jetzt noch festgehalten. Die Polizei teilte dagegen mit, auch die beiden anderen Männer stünden noch unter Verdacht und seien weiter festgenommen. Die Stadtverwaltung entschuldigte sich inzwischen für das Missverständnis.
An diesem Dienstag sollen die Fahnen auf öffentlichen Gebäuden in den Niederlanden auf Halbmast wehen. Auch das niederländische Parlament in Den Haag will Medienberichten zufolge der Opfer gedenken. Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders forderte auf Twitter eine Debatte im Parlament über die Schüsse. "Die Niederlande haben ein Recht auf die Wahrheit", schrieb er.
Utrecht liegt 75 Kilometer entfernt von der deutschen Grenze, auch die Bundespolizei war im Einsatz.
Zunächst hatte Utrechts Bürgermeister Jan van Zanen in einer Videobotschaft gesagt: "Wir gehen von einem terroristischen Motiv aus." Am Nachmittag sagte dann Polizeisprecher Bernard Jens dem niederländischen NOS Rundfunk: "Es könnte auch sein, dass es eine Beziehungstat ist." Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sprach von einem Anschlag und fügte am Abend hinzu: "Aber ob es ein terroristisches Motiv gab, das müssen wir noch herausfinden." Rutker Jeuken vom Innenministerium sagte: "Im Augenblick denken wir, dass es ein terroristisches Motiv sein könnte, aber wir können auch anderes nicht ausschließen.
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Von Zeugen gab es ebenfalls unterschiedliche Hinweise zu der Tat. Augenzeuge Daan Molenaar erklärte im NOS Radio, nach seinem Eindruck habe es der Täter gezielt auf eine Frau abgesehen. Andere Zeugen wollten dagegen gehört haben, dass vier Männer "Allahu Akbar" (Gott ist groß) bei der Tat gerufen hätten, wie die Amsterdamer Zeitung "Het Parool" berichtete. Eine Sprecherin der Polizei Utrecht sagte dazu: "Das können wir nicht bestätigen."
Die Hinweise auf eine mögliche Beziehungstat mehrten sich.
Nach Informationen des niederländischen Fernsehens vernahm die Polizei den Bruder des 37-Jährigen, ohne dass zunächst Details bekannt wurden. Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete unter Berufung auf nicht näher benannte Verwandte von T., dass er in der Straßenbahn auf eine Frau wegen einer Familienangelegenheit geschossen habe. Dann habe er das Feuer auf die Menschen eröffnet, die der Frau hätten helfen wollten.
Der Vater des Tatverdächtigen forderte gegenüber der Nachrichtenagentur DHA die Bestrafung seines Sohns, sollte sich dessen Schuld erweisen. "Wenn er es getan hat, muss er bestraft werden", sagte der Mann, der 2008 aus den Niederlanden in die Türkei zurückgekehrt war.
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Sein Sohn, der mutmaßliche Täter, ist schon lange polizeibekannt. "Wir wissen relativ viel über ihn", sagte Jeuken vom Innenministerium. Der 37-Jährige hat nach Medienberichten ein langes Vorstrafenregister, im Dezember 2013 wurde er wegen versuchten Mords verurteilt, vor zwei Wochen begann eine Verhandlung wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs. Darüber hinaus wurde er wegen Ladendiebstahls, Sachbeschädigung und Beleidigung vor Gericht gestellt.
Nach dem Angriff hatte die zuständige Behörde bereits die höchste Terrorwarnstufe für die Provinz ausgerufen, die am Abend aber wieder etwas herabgestuft wurde. In Deutschland hatte die Bundespolizei an der Grenze zu den Niederlanden daraufhin ihre Kontrollen an Straßen und in Zügen verstärkt. Rutte sagte: "Wir werden nie vor Intoleranz weichen." Gewalt habe unschuldige Menschen getroffen.
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Die niederländische Polizei veröffentlichte auch Fotos des verdächtigen Mannes aus der Straßenbahn. Darüber hinaus entdeckte die Polizei ein nach dem Anschlag gesuchtes, rotes Fahrzeug. Zuvor hatte es geheißen, es würden Berichte geprüft, wonach ein Verdächtiger mit einem roten Auto geflohen sein soll. Es gab mehrere Wohnungsdurchsuchungen. Die Menschen wurden aufgefordert, in ihren Wohnungen zu bleiben, später gab es Entwarnung.
Nach Angaben der Polizei fielen die Schüsse gegen 10.45 Uhr. Der Vorfall ereignete sich im Westen der Stadt, etwa ein Kilometer entfernt von der Altstadt. Utrecht hat etwa 350.000 Einwohner. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilten die Tat.
(hd/ dpa/afp)
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