Monatelang wurde darauf gewartet – auf die Gegenoffensive der Ukraine. Nun soll sie bereits in vollem Gange sein. Immer wieder machen die Tage Meldungen die Runde, die Ukraine könne kleinere Geländegewinne vermelden. Ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj lobt die Arbeit seiner Truppen.
Indes verbreitete Russlands Machthaber Wladimir Putin die gegenteiligen Informationen in seinem Land: Am Dienstag sprach er über "katastrophale" Verluste der Ukraine.
Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin schloss sich nun einer unerwarteten Seite an und überraschte mit einer Aussage zur ukrainischen Gegenoffensive.
Prigoschin ist auch als "Putins Koch" bekannt und berüchtigt. Denn er ist für die schmutzigeren Geschäfte des Kremls zuständig. Zuletzt sparte er nicht an Kritik an der russischen Militärführung. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Prigoschin sich nicht mit russischen Generälen anlegt.
Er prangert fehlende Munition und fehlende Söldner an, suchte sogar via Stellenausschreibung kürzlich Nachschub, den er in seinem sogenannten "Fleischwolf", einer militärischen Offensive in Bachmut, verpulvern konnte.
Mit der Kritik an der russischen Militärführung ging bereits einmal ein großes Lob an die ukrainische Armee seitens Prigoschin einher. Damals sagte der Wagner-Chef:
Nun wurde Prigoschin sogar noch deutlicher. In einem Video, das Anton Gerashchenko auf Twitter veröffentlichte, fragte der Wagner-Chef: "Was haben wir erreicht?" Gerashchenko ist der Berater des ukrainischen Innenministers. Das Video konnte bislang nicht unabhängig überprüft werden.
"Wir kamen wie die Rüpel, marschierten mit unseren Stiefeln durch das ganze Gebiet, suchten nach Nazis", sagte Prigoschin. Und weiter: "Während wir nach Nazis suchten, haben wir jeden kaputt gemacht, der uns über den Weg lief. Wir sind nach Kiew, scheiterten, und zogen uns zurück."
Dann kam er auf seine Eingangsfrage zurück: "Wir machten die Ukraine zu einer Nation, die in der ganzen Welt bekannt ist."
Erst vor wenigen Tagen lud Putin eine Handvoll kremlnaher Militärblogger ein, um seine Sicht der "militärischen Spezialoperation", wie sie in Russland weiterhin genannt wird, kundzutun. Demnach läuft für den Kreml alles nach Plan. Prigoschin sieht das anders.
Denn anschließend kam er auf die Gegenoffensive der Ukraine zu sprechen. Der Auftrag der Söldner und der russischen Militärs lautet: die Ukraine entmilitarisieren und entnazifizieren. Laut Prigoschin haben sie allerdings bisher genau das Gegenteil erreicht:
"Wie haben wir sie also entmilitarisiert?", fragte er und gab sich nüchtern: "Im Gegenteil, wir haben sie militarisiert". Prigoschin wurde noch deutlicher und sagte: "Die ukrainische Armee ist heute eine der stärksten."
Allerdings sind die Zahlen, die Prigoschin in dem Video nannte, nicht belastbar. Laut dem Statistikdienst Statista hat die Ukraine aktuell 200.000 aktive Soldat:innen. Reservist:innen und Paramilitärs hinzugerechnet sind es 500.000.
Auch zu Beginn, im Februar 2022, waren es weit mehr Soldat:innen auf ukrainischer Seite, als Prigoschin schätzte: nämlich laut dem Gardekommandant Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer nicht etwa 20.000, sondern 260.000.
Richtig ist also dennoch: die Zahl der aktiven Soldat:innen hat sich auf ukrainischer Seite im vergangenen Jahr drastisch erhöht.