"Das sind die guten Nachrichten aus Brüssel", sagte Boris Johnson.Bild: dpa / @borisjohnson
International
25.12.2020, 14:1525.12.2020, 18:57
Nach der historischen Einigung auf
einen Handelspakt zwischen der EU und Großbritannien herrscht auf
beiden Seiten des Ärmelkanals große Erleichterung. Während der
britische Premier Boris Johnson jubilierte, liefen in Brüssel bereits
die Vorbereitungen auf eine vorläufige Anwendung des
Heiligabend-Deals ab Januar.
EU-Chefunterhändler Michel Barnier informierte am Freitag die
Botschafter der 27 EU-Staaten über das Ergebnis der monatelangen und
zähen Verhandlungen. Die EU-Mitgliedstaaten würden die 1246 Seiten
nun prüfen und "diese gewaltige Aufgabe in den kommenden Tagen
fortsetzen", schrieb ein Sprecher der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft am Freitag auf Twitter. Weil Deutschland
derzeit turnusgemäß den Vorsitz der EU-Staaten innehat, hatte es
kurzfristig eine Botschaftersitzung angesetzt.
Einigung nach ewigen Verhandlungen
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits am Donnerstag
zugesagt, den Text nun zügig zu prüfen. Das Bundeskabinett werde sich
am Montag telefonisch über die deutsche Position verständigen. "Ich
bin sehr zuversichtlich, dass wir hier ein gutes Resultat vorliegen
haben."
Die EU und Großbritannien hatten sich am Donnerstag nach
langwierigen Verhandlungen auf einen Handelspakt geeinigt. Der
Vertrag soll die Beziehungen beider Seiten von Januar 2021 an neu
regeln. Wichtigster Punkt ist, Zölle zu vermeiden, unbegrenzten
Handel in beide Richtungen zu erlauben und Reibungsverluste so weit
wie möglich zu begrenzen. Aber auch etliche andere Punkte wie die
Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen oder die Teilnahme an
Forschungsprogrammen werden geregelt.
Da das Abkommen nur acht Tage vor Ablauf der Übergangsfrist
zustande kam, bleibt für eine Ratifizierung durch das Europaparlament
allerdings keine Zeit mehr. Deshalb kann der Vertrag zunächst nur
vorläufig angewendet werden. Dafür braucht es jedoch noch die
Zustimmung der 27 EU-Staaten.
Johnson streckt den Vertrag stolz in die Kamera
In Großbritannien soll sich das Parlament am 30. Dezember mit dem
Vertrag befassen. Zeit für eine eingehende Prüfung bleibt dadurch
kaum. Eine Rebellion seiner Brexit-Hardliner muss Johnson nicht
fürchten: Er verfügt über eine satte Mehrheit im Parlament und die
oppositionelle Labour-Partei kündigte an, ebenfalls für das
Vertragswerk zu stimmen. Selbst der Chef der Brexit-Partei, Nigel
Farage, der bislang mit Argusaugen auf den aus seiner Sicht korrekten
Vollzug des EU-Austritts geachtet hatte, gab dem Abkommen seinen
Segen: Es sei zwar nicht perfekt, "aber im Großen und Ganzen ist der
Krieg vorbei".
Johnson legte den Briten die Lektüre des komplexen Werks für die
Feiertage nahe. Wer in diesem "schläfrigen Moment nach dem
Weihnachtsmahl" etwas lesen wolle, dem empfehle er die Lektüre des
Handelspakts, sagte er in einer auf Twitter ausgestrahlten
Video-Weihnachtsbotschaft in gewohnt scherzhafter Manier. Dabei hielt
er einen dicken Packen Papier hoch, den er als "frohe Botschaft"
deklarierte.
Der Brexit sei der erste Gang gewesen, das Abkommen sei nunmehr
"das Fest", wie er sagt. "Voller Fisch, übrigens", fügte Johnson
hinzu. Die Verhandlungen über den Zugang von EU-Fischern zu
britischen Hoheitsgewässern waren einer der kniffligsten
Streitpunkte, dieser wurde als letztes gelöst. Schon an Heiligabend
hatte Johnson sich mit einer Fisch-verzierten Krawatte vor der Presse
gezeigt.
Britische Regierung spricht von vollem Erfolg
Aus Sicht der britischen Regierung ist mit dem jetzigen Abkommen
all das erreicht, was die britische Öffentlichkeit mit dem
Brexit-Referendum von 2016 wollte. "Wir haben wieder Kontrolle über
unser Geld, unsere Grenzen, unsere Gesetze, unseren Handel und unsere
Fischgründe zurückgewonnen", erklärte die Regierung. Zugleich gewähre
das Abkommen Zollfreiheit und unbegrenzte Exporte in die EU.
Doch auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sprach von
einem guten Ergebnis, das alle Interessen der EU wahre. Nach den
quälenden Verhandlungen der vergangenen Monate will man sich in
Brüssel nun demonstrativ anderen Themen zuwenden. "Endlich können wir
den Brexit hinter uns lassen", hatte von der Leyen bereits an
Heiligabend gesagt.
Für die Briten wird sich viel ändern
Dass sich trotz des Abkommens - vor allem für die Briten - eine
Menge ändern wird, machte am Freitag sogleich die französische
Regierung deutlich: Sie pocht auf eine massive Überprüfung britischer
Waren vom Jahreswechsel an. "Wir müssen britische Produkte
kontrollieren, die zu uns kommen", sagte Europa-Staatssekretär
Clément Beaune am Freitag im Sender Europe 1. Bei Nahrungsmitteln
oder Industrieprodukten müssten allen geltenden Normen eingehalten
werden. Der französische Staat habe rund 1 300 Menschen angeworben,
um diese Kontrollen zu gewährleisten. Frankreich ist ein wichtiges
Drehkreuz für britische Waren.
Auch der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, David McAllister,
erwartet nach dem britischen Austritt aus dem Binnenmarkt zum
Jahreswechsel "weitreichende Folgen für die Menschen, Unternehmen und
öffentliche Verwaltungen", wie er der "Welt" sagte. "Der Handel
zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wird nicht mehr so
reibungslos ablaufen können, wie wenn wir gemeinsam dem Binnenmarkt
und der Zollunion angehören."
Auf welche Vorzüge der EU-Mitgliedschaft Großbritannien künftig
verzichten muss, machte die EU-Kommission noch an Heiligabend in
einer Tabelle deutlich: EU-Programme wie Erasmus, Zugang zum
Corona-Hilfsplan, der Binnenmarkt für Spediteure, reibungsloser
Handel und dass Haustiere künftig einen Pass haben müssen sind nur
wenige der Beispiele.
Ohne Abkommen wären die Folgen allerdings deutlich dramatischer
ausgefallen. Dann wären Zölle und aufwendigere Kontrollen notwendig
geworden. Wirtschaftsvertreter auf beiden Seiten hatten für diesen
Fall vor Verwerfungen und dem Verlust Zehntausender Jobs
gewarnt.
(hau/dpa)
Für die Union läuft es derzeit wie am Schnürchen. Allerdings ging die Landtagswahl in Thüringen für die CDU in die Hose. Das ist extra bitter, weil dadurch gerade die in Thüringen als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD bei ihrer ersten großen Wahl in Deutschland stärkste Kraft wurde.