Lateinamerika hat sich zum Epizentrum der Corona-Pandemie entwickelt. Eine Region jedoch scheint dem Virus weit besser zu trotzen: Die Menschen in den Anden erkranken deutlich seltener an Covid-19. In Peru, wo es nach Brasilien die meisten Infektionen des Subkontinents gibt, traten in Gegenden über 3000 Metern Höhe nur zehn Prozent der Fälle auf.
Die Anden sind der längste Gebirgszug der Welt und erstrecken sich über 7000 Kilometer von Venezuela bis Feuerland. Im Schnitt ist die Gebirgskette 4000 Meter hoch. "Wir haben zwar Fälle in Städten wie Cusco, Huaraz, Cajamarca und Cerro de Pasco", sagt der peruanische Infektiologe Augusto Tarazona.
Im Verwaltungsgebiet Loreto im Regenwald wurden etwa 8000 Infektionen und 321 Todesfälle gezählt, während es im hoch gelegenen Cusco – trotz 50 Prozent mehr Bevölkerung – nur 1500 Fälle und 13 Tote gab. Die Sterblichkeitsrate in Loreto liegt demnach bei vier Prozent im Vergleich zu 0,87 Prozent in Cusco.
Die Situation im benachbarten Bolivien ist ähnlich. Dort konzentrieren sich die Infektionen im Tiefland wie dem tropischen Santa Cruz und der Amazonasregion an der Grenze zu Brasilien.
"Die Infektionsrate in hochgelegenen Gebieten wie La Paz ist deutlich niedriger", sagt Virgilio Prieto, der Chef-Epidemiologe des Gesundheitsministeriums. In Santa Cruz wurden 13.000 Infektionen registriert, während es in La Paz, wo etwa genau so viele Menschen leben, knapp 1400 waren.
Noch ist unklar, warum die Andenbewohner dem Virus offenbar besser trotzen. Es könnte an ihrem Atemsystem liegen, das an das Leben in großer Höhe mit wenig Sauerstoff angepasst ist, lautet eine Hypothese.
"Studien dazu fangen gerade erst an", sagt Tarazona. "Menschen mit chronischem Sauerstoffmangel könnten weniger ACE-Rezeptoren haben, die dem Virus als Eingangstor dienen", sagt der peruanische Infektiologe Eduardo Gotuzzo. "Dadurch könnte das Virus für sie weniger infektiös sein."
Eine andere Hypothese versucht den leichteren Verlauf der Pandemie in den Anden mit der ultravioletten Strahlung zu erklären. Einige Studien legen diese Schlussfolgerung nahe. "Die ultraviolette Strahlung ist eindeutig höher in größerer Höhe und das bedeutet, dass das Virus schlechter überleben kann", sagt der Lungenfacharzt Carlos Ibérico von der Sabogal-Klinik in Lima.
Der bolivianische Chef-Epidemiologe Prieto hält die These von der Strahlung als natürliche Sterilisation für gefährlich. "Das schafft ein falsches Gefühl der Sicherheit in der Bevölkerung", sagt er. Die niedrigeren Fallzahlen in den Anden müssen noch besser untersucht werden.
(lin/afp)