Benjamin Netanjahu (rechts) und sein Rivale Benny Gantz (links) machen jetzt gezwungenermaßen doch gemeinsame Sache.Bild: reuters / AMIR COHEN
International
20.04.2020, 19:3121.04.2020, 08:13
Israels rechtskonservativer Regierungschef Benjamin
Netanjahu und sein oppositioneller Rivale Benny Gantz haben sich auf
die Bildung einer großen Koalition geeinigt.
- Eine Vereinbarung für eine "nationale Notstandsregierung" werde unterzeichnet, teilten Netanjahus Likud-Partei und Gantz' Mitte-Bündnis Blau-Weiß am Montag gemeinsam mit.
- Die linksliberale oppositionelle Merez-Partei kritisierte die Einigung scharf.
- Nach der Einigung warb Gantz auf Twitter für die neue Regierung. "Wir haben eine vierte Wahl verhindert. Wir werden die Demokratie schützen", schrieb der 60-Jährige. "Wir werden gegen das Coronavirus kämpfen und uns um jeden israelischen Bürger kümmern."
Netanjahu bleibt Ministerpräsident, wird dann von Gantz abgelöst
Nach Medienberichten ist in der großen Koalition eine Rotation im Amt
des Ministerpräsidenten vorgesehen. Netanjahu soll als Erster
eineinhalb Jahre lang das Amt bekleiden und dann von Gantz abgelöst
werden. Dieser soll demnach zunächst Verteidigungsminister werden.
Die umstrittene Einigung soll eine seit mehr als einem Jahr
andauernde Pattsituation zwischen Netanjahus rechts-religiösem Block
und dem Mitte-Links-Lager um Gantz beenden. Beide Seiten haben
betont, angesichts der Corona-Krise sei eine große Koalition
notwendig.
Ewiger Streit in den Koalitionsverhandlungen
Die Verhandlungen waren immer wieder ins Stocken geraten. Blau-Weiß
hatte zuletzt gedroht, ohne eine Einigung werde man am Montag im
Parlament ein Gesetz einbringen, das eine künftige Beauftragung
Netanjahus mit der Regierungsbildung wegen einer Korruptionsanklage
gegen ihn verhindern solle. Am Sonntagabend hatten in Tel Aviv
Tausende Israelis gegen Netanjahu und aus ihrer Sicht
anti-demokratische Maßnahmen unter anderem im Kampf gegen das
Coronavirus demonstriert.
Ein zentraler Streitpunkt in den Koalitionsverhandlungen war laut
Medienberichten die Forderung von Netanjahus Likud-Partei nach einem
Vetorecht bei der Besetzung von Richtern. Netanjahu wollte sich
demnach außerdem absichern für den Fall einer Entscheidung des höchsten Gerichts, dass er wegen einer Korruptionsanklage nicht als
Ministerpräsident oder Vize-Ministerpräsident amtieren kann. Er
forderte den Angaben zufolge einen Mechanismus zur Umgehung eines
solchen Urteils als Teil der Koalitionsvereinbarung.
Gantz' Mandat zur Regierungsbildung war nach einer Verlängerung am
Mittwochabend ausgelaufen. Präsident Reuven Rivlin gab das Mandat
daraufhin dem Parlament. Binnen drei Wochen konnte jeder Abgeordnete
- auch Gantz und Netanjahu - versuchen, sich die Unterstützung von 61
der insgesamt 120 Parlamentarier zu sichern. Ohne Einigung hätte
Israel zum vierten Mal seit April 2019 ein neues Parlament wählen
müssen.
Im Streit über den Schritt von Gantz war sein Mitte-Bündnis Blau-Weiß
zerbrochen. Er tritt daher nur mit dem verbleibenden Teil von
Blau-Weiß in die Koalition ein. Das Restbündnis verfügt über 17 von
120 Mandaten im Parlament, während Netanjahus Likud mit 36 Sitzen
stärkste Fraktion wurde.
Dritte Wahl innerhalb eines Jahres war nötig
Israel wird seit Ende 2018 von einer Übergangsregierung unter
Netanjahu verwaltet. Am 2. März hatten die Bürger zum dritten Mal
innerhalb eines Jahres ein neues Parlament gewählt. Dabei gab es
erneut keinen klaren Sieger, Gantz erhielt aber den Auftrag zur
Regierungsbildung. Netanjahu rief unter Hinweis auf die
Coronavirus-Krise mehrfach zur Bildung einer Notstandsregierung auf.
Gantz hatte bislang eine große Koalition mit der Likud-Partei mit
Netanjahu an der Spitze abgelehnt, weil dieser wegen Korruption in
drei Fällen angeklagt ist. Mitte März sagte Gantz jedoch im Parlament
mit Verweis auf die Corona-Krise, er werde sich mit aller Macht für
die Bildung einer großen Koalition einsetzen. Kritiker werfen ihm
seither vor, er habe sein zentrales Wahlkampfversprechen gebrochen.
Aus dem Mitte-Links-Lager hatte es scharfe Kritik an Gantz' Schritt
gegeben. Jair Lapid gehört zu dem Teil von Blau-Weiß, der Gantz'
Schritt vehement ablehnt. Er sagte im vergangenen Monat: "Benny Gantz
hat sich Netanjahu kampflos unterworfen und ist in seine Regierung
gekrochen." Die Corona-Krise sei "kein Grund, Werte aufzugeben". Die
Merez-Partei schrieb am Montag bei Twitter: "Das ist keine
Einheitsregierung. Das ist keine Notstandsregierung. Das ist eine
Korruptionsregierung."
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums ist das Virus Sars-CoV-2
mittlerweile bei mehr als 13 654 Personen in Israel nachgewiesen
worden. 173 Menschen sind den Angaben zufolge nach einer
Coronavirus-Infektion gestorben.
Unter dem Eindruck der Corona-Krise war der Beginn des
Korruptionsprozesses gegen Netanjahu Mitte März verschoben worden. Er
soll nun erst am 24. Mai beginnen. Die Generalstaatsanwaltschaft
wirft Netanjahu Betrug und Untreue sowie Bestechlichkeit vor. Es geht
um den Verdacht der Beeinflussung von Medien, angeblich krumme Deals
mit Unternehmen und Luxusgeschenke befreundeter Geschäftsleute im
Gegenzug für politische Gefälligkeiten. Der Regierungschef hat alle
Vorwürfe zurückgewiesen.
(hau/dpa)
Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen haben in der gesamten Republik ein politisches Erdbeben ausgelöst. Viele Wähler:innen strömten von den etablierten Parteien an die Ränder des Parteienspektrums. Die AfD und das BSW lockten hier unter anderem mit Wahlkampfthemen wie Einwanderung, Außenpolitik und Wirtschaft.