Russland-Insider enthüllt: Militär belügt sich bei Erfolgen in der Ukraine selbst
Am Anfang des russischen Angriffskriegs in der Ukraine standen vor allem Lügen. Die Ukraine werde von Nazis regiert, die einen Völkermord an Russ:innen durchführten – das behauptete der Kreml schon Jahre vor dem Einmarsch im Februar 2022. Diese absurde Behauptung ist bei Weitem keine Ausnahme.
Lange behauptete der Kreml, er würde keinen Krieg gegen die Ukraine führen. Auch über die militärischen Erfolge in der Ukraine verbreiteten Machthaber Wladimir Putin und seine Leute oftmals falsche Fakten. Das hat System, das Narrativ des erfolgreichen russischen Befreiers wird zur Befriedung der eigenen Bevölkerung aufrecht erhalten.
Herausgefordert wird diese Erzählung jedoch seit Jahren schon von der Realität. Der Vormarsch der russischen Armee in der Ukraine geht behäbig voran, da muss mit Propaganda etwas nachgeholfen werden – offensichtlich auch innerhalb des Militärs. Die Folgen sind mitunter tödlich.
Russlands Erfolg in der Ukraine: Fälscht Militär die eigenen Karten?
Das hat zumindest ein russischer Deserteur mit dem Decknamen Wjatscheslaw dem Nachrichtenportal "Mediazona" erklärt. Er arbeitete demnach 2024 und 2025 im Zuge seines Wehrdienstes einige Zeit für das russische Verteidigungsministerium. Dort erstellte er Karten des Frontverlaufs – ein wichtiges Instrument für die russische Kriegs- und Propagandamaschinerie.
Wjatscheslaw zufolge dienten täglich angefertigte Karten dazu, Entscheidungen über die Aktivitäten der nächsten Tage zu planen – möglicherweise aber auch dazu, den russischen Erfolg zu verkaufen?
Der Deserteur berichtete gegenüber "Mediazona" darüber, wie die von ihm erstellten Karten oft auf falschen oder geschönten Informationen basierten. "Die Informationen, die die Regimenter [an das Hauptquartier] liefern, sind größtenteils irrelevant und realitätsfern", erklärte er.
Laut seinen Aussagen melden Regimenter häufig, sie hätten bestimmte Gebiete vollständig eingenommen, obwohl diese in Wirklichkeit in der sogenannten "grauen Zone" liegen – also umkämpft oder unkontrolliert sind.
Die Fälschungen der Regimentskommandeure sind laut Wjatscheslaw jedoch lediglich der Anfang. "Die von den Regimentskommandeuren verfälschten Informationen weichen um eineinhalb bis zwei Kilometer von den Informationen der Armee ab", so der Deserteur. Auf höherer Ebene würden diese Zahlen dann noch weiter manipuliert.
Ukraine: Falsche Karten führten Soldaten in den Tod
Diese Verfälschungen sind nicht nur kurios, sondern auch gefährlich. Wjatscheslaw beschreibt, wie ein Waldstück von einem Kilometer Länge auf Karten als vollständig erobert markiert wird, wenn lediglich vier Soldaten – zwei am Anfang und zwei am Ende – dort postiert sind. Die russische Armee verfüge an diesen Positionen jedoch über keine befestigten Stellungen.
Diese falschen Angaben führen dazu, dass Einheiten in vermeintlich gesicherte Gebiete geschickt werden, die in Wahrheit noch von ukrainischen Truppen kontrolliert werden.
Ein aus russischer Sicht dramatisches Beispiel für die Folgen dieser Fälschungen ereignete sich im September: Eine Karte zeigte ein Gebiet nahe Torezk als fast vollständig unter russischer Kontrolle. Als Marineinfanteristen und Spezialeinheiten dorthin geschickt wurden, trafen sie auf ukrainische Streitkräfte – alle russischen Soldaten wurden getötet.
Russland-Insider: Militär "betrügt sich selbst"
Besonders brisant ist auch eine Anekdote zum Besuch von Generalstabschef Waleri Gerassimow. Als dieser die Truppen in Awdijiwka besuchte, habe Wjatscheslaw den Auftrag erhalten, speziell für Gerassimow neue Karten zu erstellen.
Diese hätten jedoch auf Berichten des Generalstabs basiert, die laut Wjatscheslaw "völliger Unsinn" gewesen seien. "Es konnten unmöglich Russen in dem auf der Karte dargestellten Gebiet gewesen sein", ist er sich sicher.
Trotzdem habe er die Karten anfertigen müssen – "absurd", wie Wjatscheslaw trocken erklärte. "Letztendlich betrügen sie sich selbst", resümierte er in seinem Bericht für "Mediazona" über den russischen Militärapparat.
Die Aussagen des Deserteurs zeichnen das Bild eines dysfunktionalen Systems, in dem falsche Informationen nicht nur die Realität verzerren, sondern auch fatale Konsequenzen für die eigenen Truppen haben.
Russland-Deserteur flieht vor Armeedienst
Wjatscheslaw ist nach eigenen Angaben während eines Urlaubs aus Russland geflohen. Bis zuletzt hatte er nicht einmal seiner Familie von derlei Plänen erzählt; seine Eltern hätten von seinem Verschwinden erst durch Anrufe seiner Einheit erfahren.
"Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich es geschafft habe, Russland zu verlassen", zeigte er sich dennoch im Nachhinein erleichtert. Hinter dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine habe er selbst nie gestanden. "Ich will kein Faschist oder Nazi sein", sagt er über seine Beweggründe dafür zu desertieren.
