Die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal macht sich für eine Vermögensabgabe stark.Bild: Getty Images Europe / Pool
Interview
Jessica Rosenthal ist die Bundesvorsitzende der Jusos. Im Interview spricht sie über die Finanzierung breiter Entlastungen und den Umgang mit den Krisen der Welt.
watson: Jessica, als wir uns im vergangenen Jahr beim SPD-Parteitag unterhalten haben, ging es um die Geflüchteten, die an der Grenze von Belarus und Polen erfrieren. Seither ist viel passiert. Was machen die Krisen mit dir?
Jessica Rosenthal: Diese Art von Grausamkeit trifft mich natürlich. Mir ist aber auch klar geworden, dass wir noch entschlossener darin sein müssen, Dinge zu verändern. Mit dem russischen Angriffskrieg zeigen sich auch internationale Dimensionen: Es geht um Verteilungsfragen, um Lieferketten, Handelspolitik. Es geht um die Frage, was Freiheit und Demokratie in diesem Kontext bedeuten. Hier hat sich die Debatte komplett verändert. Ich freue mich, dass wir endlich mit einem unverstellten Blick auf diese Fragen schauen – und dass wir merken, dass eben nicht der Markt alles regelt.
Sondern?
Wir müssen uns auf unsere eigenen Werte zurückbesinnen. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wehrhaft unsere Demokratie ist und wir müssen auf unsere kritische Infrastruktur blicken.
Die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal beim Bundeskongress der Jugendorganisation.Bild: dpa / Roberto Pfeil
Nun wurde die chinesische Beteiligung an einem Teil des Hamburger Hafens bewilligt. Was meinst du mit Sicherung der kritischen Infrastruktur?
Kritische Infrastruktur gehört in staatliche Hand. Das bedeutet: kein Ausverkauf kritischer Infrastruktur an private Unternehmen. Es geht nicht darum, dass der Staat alles verwalten muss, das können auch kommunale Unternehmen tun. Es geht aber schon darum, dass der Staat bestimmen kann, was damit passiert. Deswegen kritisieren wir die Austeritätspolitik seit 2008.
Also die Sparpolitik.
Wenn wir Staaten wie China und Russland begegnen wollen, können wir uns diese übermäßige Privatisierung nicht mehr leisten. Wir müssen all diese Infrastruktur zurückkaufen. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.
Ein autarkes Europa?
Im Gegenteil. Wir sollen uns nicht abriegeln. Wir brauchen definitiv diplomatische, internationale Beziehungen. Wir brauchen Handelsbeziehungen. Die Frage ist aber, unter welchen Bedingungen. Und da wurden krasse Fehler gemacht, die es zu korrigieren gilt.
"Es geht nicht darum, Ideologien, wie die schwarze Null nach vorne zu schieben."
Mittlerweile haben wir auch in der Europäischen Union besorgniserregende Entwicklungen. Kürzlich wurde in Italien eine Neofaschistin zur Ministerpräsidentin gewählt. Wie blickst du auf das Europa unserer Zeit?
Mit Sorge. Postfaschisten und ihre konservativen Steigbügelhalter versprechen ein Zurück zur Vergangenheit – und überzeugen die Leute damit. Das ist eine extreme Gefahr. Was aktuell in Ungarn passiert, hat mit europäischen Werten nichts zu tun. Rechtsstaatlichkeit wird dort mit Füßen getreten. Wenn wir auf die Wahlen in Schweden oder in Italien schauen, ist die Entwicklung extrem bedenklich. Alle Demokratien, die die Brandmauer gegen Rechts aufrechterhalten, müssen zeigen, dass ihr Staat handlungsfähig ist. Dass es nicht darum geht, sich in Streitigkeiten zu verlieren.
Das europäische Sorgenkind: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán.Bild: Lev Radin / imago images
Wie meinst du das?
Es geht nicht darum, Ideologien, wie die schwarze Null nach vorne zu schieben. Wir müssen breit entlasten, wir müssen unsere Gemeinschaft gut aufstellen. Wir müssen gemeinsam stark sein. In Deutschland und in Europa.
Um unser Land stärker aufzustellen, habt ihr Saskia Esken einen Arbeitsauftrag für die Kabinettsverhandlungen mitgegeben. Ist ein Nachschärfen der Entlastungen mit der Koalition möglich?
Es ist eine Frage des Willens.
Bist du als Juso in der Ampel unzufrieden?
Ich verstehe nicht, warum Bund und Länder sich nicht auf eine günstigere Nachfolgeregelung zum 9-Euro-Ticket einigen konnten. Ich verstehe auch nicht, wieso wir immer noch darauf warten, konkrete Vorschläge für die Gas- und Strompreisbremse auf den Tisch zu bekommen. Ich höre es in meinem Wahlkreis und auch die Jusos, die an diesem Wochenende hier sind, wissen ganz genau, wie es ist, in einer Ausbildung oder im Studium zu sein und nicht zu wissen, wie man das finanzieren soll. Wir brauchen jetzt konkrete Antworten auf diese Fragen. Es ist aber auch nicht richtig, immer nur zu sagen, was alles schlecht läuft.
Jesssica Rosenthal mit der Co-Vorsitzenden der SPD, Saskia Esken, auf dem Bundeskongress.Bild: dpa / Roberto Pfeil
Nicht?
Wir haben Jahrzehnte für die Abschaffung von 219a gekämpft. Wir legalisieren Cannabis, das Chancenaufenthaltsrecht kommt. Ich sehe weiterhin viel Potenzial in der Ampel. Wir können dieses Land gemeinsam modernisieren. Die FDP muss sich endlich neu justieren und aufgrund der Krise die ein oder andere Stelle ihrer Programmatik überdenken. Das haben wir Jusos gemacht, das haben wir in der SPD gemacht, das haben die Grünen gemacht.
Die FDP soll bei der Vermögensumverteilung von ihrem Dogma abrücken. Die Grünen mussten das beim Thema Kohle, Atom und Gas. Und ihr?
Wir haben uns in den Fragen von Waffenlieferungen und der Ausstattung der Bundeswehr sehr bewegt. Wir müssen uns außerdem weiterhin mit unserem Umgang zu Russland auseinandersetzen, damit so etwas nicht noch einmal passiert.
"Ich verstehe nicht, wie Putin jeden Tag in den Spiegel gucken und wissen kann, dass er für diese Toten verantwortlich ist."
Ist es für dich schwierig zu akzeptieren, dass Waffen für den Frieden gebraucht werden?
Ich bin keine Pazifistin. Für mich war immer klar, dass es bei der Frage des Existenzrechts Israels eine militärische Komponente braucht. Und das gilt auch für andere Konfliktlagen. Wenn wir gegen den Imperialismus und für die Freiheit der Menschen kämpfen, dann bedeutet es in letzter Konsequenz, dass so ein Schritt denkbar wäre. Womit ich hadere, ist etwas anderes.
Und zwar?
Ich kann nicht verstehen, wie politische Verantwortungsträger zu dem Schluss kommen können, dass der Einsatz von dieser Gewalt ein denkbares Mittel ist. Ich verstehe nicht, wie Putin jeden Tag in den Spiegel gucken und wissen kann, dass er für diese Toten verantwortlich ist. Für Vergewaltigung, für dieses Leid. Das werde ich nie verstehen.
Euer Bundeskongress stand unter dem Motto Solidarität. Was bedeutet das für dich?
Aktuell heißt es konkret: Wir müssen alles tun, um die Ukraine zu unterstützen. Wir müssen alles tun, um die Menschen im Iran zu unterstützen, für ihre Freiheit streiten. Nach Innen heißt Solidarität aber eben auch, dass die, die mehr leisten können, mehr geben. Wir rufen nicht den Kommunismus aus. Alles, was wir wollen, ist, dass jeder seinen Teil beiträgt – und zwar in einem Rahmen, wie es ihm möglich ist.
Seit über einem Monat gehen die Menschen im Iran für ihre Freiheit und Selbstbestimmung auf die Straße.Bild: AP / Uncredited
Das heißt, ihr wollt die im Grundgesetz festgeschriebene Vermögenssteuer zurück.
Wir müssen an die Steuern ran, ganz klar. Wir Jusos fordern aber auch eine Vermögensabgabe. Denn bis die Vermögenssteuer greifen würde, dauert es gerade jetzt zu lange. Die Vermögensabgabe könnte schneller umgesetzt werden.
Wie hoch soll diese Abgabe sein?
Wir wollen, dass bei zwei Millionen Euro Netto-Privatvermögen zehn Prozent abgegeben werden müssen. Wir können uns auch vorstellen, mit sehr großen Stufen dazwischen bei den sehr großen Vermögen bis zu 50 Prozent Abgabe zu fordern. Unser Grundgesetz sieht eine solche Vermögensabgabe sogar vor. Eigentum verpflichtet, sogar Enteignungen sind möglich. Das Grundgesetz ist in Teilen radikaler als unsere Fähigkeit zu diskutieren.
"Und wenn wir unseren Kindern mal unsere Welt übergeben, erben die Schulden in der Umweltbilanz."
Die Schuldenbremse steht auch im Grundgesetz. Sie ist aber das einzige Instrument, das immer wieder in der breiten Debatte herangezogen wird.
Es ist ganz klar, dass die Schuldenbremse auch 2023 ausgesetzt werden muss. Ich will aber nicht nur, dass die Schuldenbremse ausgesetzt wird, sondern, dass sie abgeschafft wird. Solide Haushaltspolitik ist die Pflicht des Parlamentes. Wir müssen die Schuldenbremse sowieso im Kopf haben. Wir müssen aber auch frei entscheiden können, was das Beste für unser Land ist.
Wie meinst du das?
Wenn ich auf unsere Straßen gucke, auf die Schienen, in unser Bildungssystem, dann muss ich sagen: auch hier machen wir Schulden. Und wenn wir unseren Kindern mal unsere Welt übergeben, erben die Schulden in der Umweltbilanz. Es ist extrem frustrierend, dass wir hier nicht auf der Sachebene debattieren können, sondern es immer um Ideologie geht.