"Heaven Shall Burn" war immer eine politische Metal-Band. 1996 trug sie ihre Botschaft von Antifaschismus, Naturschutz und Revolte in die Clubs rund um Saalfeld, Thüringen. 2020 werden die fünf Musiker ein neues Album rausbringen und ihre Überzeugungen vor Zehntausenden ins Mikro brüllen – auf den Bühnen von "Rock am Ring" und "Rock im Park".
Wie geht eine so erfolgreiche Band mit den Entwicklungen in ihrer Heimat Thüringen um? Was sagt sie zum Erfolg des rechtsradikalen Flügels der AfD? watson hat mit HSB-Songschreiber und Gitarrist Maik Weichert darüber gesprochen.
Herauskam ein Gespräch über den richtigen – und den falschen – Umgang mit Rechtsradikalen auf und neben Konzerten. Herauskam auch eine düstere Prognose von Weichert für den Fall, dass "Fridays For Future" scheitern sollte. Und Details zum anstehenden Album gab es natürlich auch.
Watson: Maik, eure Wurzeln liegen in Thüringen, wo rund 20-24 Prozent der Wähler am Wochenende einem Rechtsradikalen ihre Stimme geben werden. Heimat bedeutet für dich …
Maik Weichert: In erster Linie bedeuten Menschen 'Heimat' für mich. Ein Gefühl für 'meine geografische Heimat' habe ich erst entwickelt, seitdem ich quer durch die Welt toure. Wenn ich einmal zwei Wochen in Sao Paulo war oder in Tokio, dann sehe ich mein kleines Weimar gerne wieder. Ich denke, solch ein gewachsener Heimatbegriff ist auch der gesündere.
Gibt es einen ungesunden?
Manche Leute wollen ihre 'Heimat' über alles erheben. Dabei haben sie noch nie etwas anderes erlebt. Sie wollen auch Nichts mit Nachhause bringen, keine neuen Ideen, Bräuche oder Lebensweisen. Wer sich so verschließt, kann seine Heimat weder verstehen noch bereichern. Es gilt die Weisheit: 'Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben'.
Viele Menschen im Osten haben sich verändert und genau dieser Weltanschauung zugewendet...
Das ist für mich die schwierige Frage: Hat sich ein Mensch verändert, weil er jetzt die AfD wählt und nicht mehr die CDU? Ich selbst habe Bekannte, die nach der Wende Kohl die Stimme gaben, jetzt der AfD. Die haben sich im Vergleich zu den Verhältnissen um sie herum gar nicht so sehr verändert. Trotzdem werden sie alle mit Nazis über einen Kamm geschoren. Etwa, wenn sich irgendwelche Kölner Comedians über sie lustig machen.
Das musst du erklären
Ich bin mit vielen AFD-Wählern in den Kindergarten gegangen, später waren sie meine Schulkumpels. Solche Leute retten das Fußballteam im Ort aus der Scheiße, renovieren den Jugendclub und arbeiten für die freiwillige Feuerwehr – Kaum einer von ihnen ist ein Monster, nur weil er Angst vor der Zukunft hat und in die Fänge der AfD geraten ist. Damals bei Kohl stand der Angst dieser Menschen Hoffnung entgegen, trotzdem wurden sie betrogen. Heute gibt es die gleichen Ängste, nur dass die AfD statt Hoffnung Hass daraus erzeugt, um Wählerstimmen zu bekommen.
Das entlässt BürgerInnen nicht aus der Verantwortung dafür, einen Mann wie Björn Höcke zu wählen.
Absolut. Das will ich damit auch nicht sagen. Umso schlimmer, wenn Leute die keine Rechtsradikalen sind dann trotzdem Neonazis wählen. Denn nichts anderes ist Höcke. Dahinter steckt auch das Versagen der etablierten, besonders der konservativen, Politik im Osten. Sie scheint tatsächlich keine Alternativen zu dieser Wahlentscheidung zu bieten.
Machst du es dir so nicht ein wenig zu einfach?
Stell es dir so vor: Dein Lieblingsonkel wählt AfD, soll er jetzt nicht mehr dein Lieblingsonkel sein? Sowas kann nur von dir fordern, wer keine politisch schwierigen Menschen im Freundeskreis oder in der Familie hat.
Das ist das 'Divide et impera'-Prinzip: Je mehr sich die Menschen voneinander isolieren, desto leichter kann man sie für die eigenen Zwecke zur Wahlurne treiben. Das kann es nicht sein, und ich habe auch schon oft genug gemerkt: Wenn ich mit klarer Meinung und Haltung dagegen stehe, respektiert das mein Gegenüber und oft löst das auch etwas aus. Egal ob in der Familie oder im Freundeskreis.
Wirst du nie wütend?
Natürlich werde ich das. Aber es ist kontraproduktiv, diesem Gefühl immer freien Lauf zu lassen. Ein Beispiel: Als ich eine Weihnachtsfeier für den Kindergarten meines Sohns vorbereitet habe, half ich einem anderen Vater bei den Vorbereitungen und bemerkte plötzlich seine 'Thor Steinar'-Jacke. Aber soll ich den jetzt vor den Kindern runtermachen, oder auf die Fresse hauen? Lieber soll der doch mitbekommen, dass ich 'cooler' Typ eine klare und unverrückbare Meinung habe, die ihn vielleicht beeindruckt und zum Nachdenken anregt. Anderes Beispiel: Auf einem Open-Air schaute ich mit einem total netten Typen die Fußball-WM und dann kommt im Nachhinein heraus, das ist der Freiwild-Sänger. Hätte ich das gewusst, hätte ich mich vielleicht gleich ferngehalten und einen Austausch vermieden. Aber ich kann doch nicht bei jedem einen Gesinnungstest machen, bevor ich mit ihm in Kontakt trete. Das wäre auch eine ungesunde Isolation.
Die Politik also lieber rauslassen aus dem Zwischenmenschlichen?
Ganz im Gegenteil. Man muss ein gutes Beispiel setzen. Eine beeindruckende Haltung und Handlungsweise ist zehnmal effizienter als nerviges Labern und agitieren, das haben manche Linke leider noch nicht verstanden. Viele können das in ihren liberalen Großstadtblasen wohl schwer nachvollziehen, aber 'diese Leute' gehören für uns nicht erst seit der AfD zum Alltag.
Dann plötzlich hieß deren Lieblingsband 'Störkraft' und nicht mehr 'Sodom'. Und auch dann muss es weitergehen. Du begegnest diesen Leuten ständig in der Schule, beim Bäcker und im Hauseingang. Ich kann mich nicht jeden Tag mit ihnen prügeln oder jemanden dumm anmachen, nur weil er ein falsches Shirt trägt. Die Auseinandersetzung muss auf andere Weise stattfinden.
Deshalb hast du eine Metal-Band mit Antifa-Botschaften gegründet, das dürfte doch ebenfalls zu reichlich Prügeln geführt haben.
Natürlich bin ich damals auch von Nazis gejagt worden, und natürlich kamen die auch zu unseren Konzerten im Jugendclub. Aber ich stand auch schon in der Disco, wo alte, und dann sehr rechte, Freunde anderen Rechten auf die Schnauze gehauen haben, weil die mir als Linken ans Leder wollten. Da war plötzlich die Verbundenheit, gemeinsam großgeworden zu sein, größer als die Ideologie. Das soll niemanden reinwaschen, was ich hier sage. Ich will dir nur die Ambivalenz erklären, in der wir uns hier in Thüringen bewegen. Das mag für viele unverständlich sein, dass ich überhaupt dort war, aber es gab nun mal nur eine Disco bei uns.
Mit zunehmender Bekanntheit musstet ihr als Band auch irgendwie von der Bühne aus mit dieser Ambivalenz umgehen.
Auch das tun wir, indem wir eine klare Haltung zeigen. Wir wollten immer Vorbild sein und uns Respekt verschaffen.
Konkreter?
Es ist schon oft vorgekommen, dass Nazis zu unseren Konzerten gekommen sind. Je nachdem wie die geartet waren, haben sie ganz klare Ansagen bekommen und wir haben sie direkt angesprochen. Wir hatten auch schon 15-Jährige auf einem Konzert, die Nazi-Shirts trugen. Ich redete mit denen, dann haben die den Mist ausgezogen und von mir ein ordentliches HSB-Shirt als Ersatz geschenkt bekommen. Wenn sie auf solch eine 'tolerante Gegenwehr' treffen, fangen die Leute an nachzudenken. Wenn sie gleich die Fresse voll bekommen, müssen sie sich in ihrer Gruppenzugehörigkeit als Rechtsradikale dagegen ja geradezu bestätigt fühlen. Viele Menschen hier brauchen nur einen anderen Denkanstoß, eine ernst zunehmende und authentische alternative Sichtweise. Es darf nicht die AFD sein die diese neuen Impulse gibt!
Und später auf großen Konzerten und Festivals?
In Dresden haben wir beispielsweise einmal mit einer Art 'Steckbrief' für die Ordner gearbeitet. Darin haben wir über bekannte Nazi-Größen informiert, die manchmal auf unseren Konzerten auftauchen. Solche Personen lassen wir gar nicht erst rein. Wir haben ja Hausrecht.
Warum kommen die überhaupt zu euch?
Manche wollen echt nur das Instagram-Selfie mit der Unterschrift: 'Schau mal, hier bin ich mit den ganzen Zecken'. Andere sind sich dagegen gar nicht bewusst, dass wir alle Zecken sind. Dann gibt es Leute, die Sprüche bringen, wie: 'Wir sind doch beide gegen das System'. Oder sie suchen sich nur ganz bestimmte Merkmale unserer Musik heraus. Es gibt etwa Tierschützer aus der rechten Szene, die den 'Natur'-Faktor unserer Texte toll finden. Wieder andere scheinen einfach auf die revolutionäre Power in der Musik zu stehen, die wir rüberbringen. Das biegen die sich dann ideologisch irgendwie hin, weil sie auch einmal 'cool' sein wollen.
Scheinheilig.
Machen wir uns nichts vor: In der rechten Szene mangelt es einfach an qualitativ hochwertiger Musik. Auch Rechte können ja nicht die ganze Zeit nur Scheiße hören. Genau das ist unsere Chance, solche Leute zu erobern.
Weil ihr den besseren Metal macht?
Blöd gesagt, ja.
Irgendwie finde ich das schwer zu glauben.
Man muss das so sehen: Da kommt jemand zu einem Konzert voller Zecken bzw. 'Systemlinge', trägt Merch von einer Zecken-Band. Er zieht sich an wie ein Linker, singt linke Texte mit. Er gibt Geld für eine Band aus, die offen ansagt, Teile der Einnahmen zurück in die linke Szene fließen zu lassen. Frage dich eins: Was ist an dem eigentlich noch ein Fascho abgesehen davon, dass er selbst glaubt, einer zu sein. Jetzt muss man ihn nur noch davon abhalten, an der Wahlurne Scheiße zu bauen.
Ist das auch eure Einstellung, wenn ihr nächstes Jahr wieder auf Tour geht?
Das war sie, und das bleibt sie. Es gibt vielleicht neue Sachverhalte, neue Schlagwörter. Aber ich werde mit jedem reden, bei dem ich das Gefühl habe, es ist noch nicht Hopfen und Malz verloren. Damit bewege ich mehr, als wenn ich mit 3000 Zuschauern zusammen 'Nazis raus' brülle. Auch das ist richtig und nachvollziehbar, es führt allerdings dazu, dass wir nur eine Identität unter Gleichgesinnten bestärken. 'reaching to Converted' würde man sagen.
Stehen denn auch die Song-Texte eures neuen Albums schon, und werden sie was mit der Situation im Land zu tun haben?
Ja klar, alles schon fertig. Jeder Text behandelt eigene Themen. Einer etwa dreht sich um Lehrer in Afrika, die ihr Leben riskieren, indem sie Schülern Unterricht geben. Ein Song 'Eradicate' hat das Thema 'Widerstand' in den Niederlanden. Dann wird es einige Texte geben, die sich mit der aktuellen Umweltproblematik auseinandersetzen.
Wird die Platte also der härteste Soundtrack, den sich 'Fridays For Future' wünschen konnte?
Lustig wäre es, aber die Natur-Themen unserer alten Songs taugen ja auch schon ganz gut, um diese Bewegung zu begleiten. Wir sehen schon immer eine riesengroße Gefahr für unsere Welt durch den westlichen Konsum. Im Moment beweist unsere Demokratie, dass sie zu schwerfällig ist, um überhaupt die richtigen Maßnahmen zu treffen. Das gilt für das Klima, und das gilt auch für den Rest des Umweltschutzes. Gerade redet jeder von Klima, doch die ganz akuten bereits existierenden Umweltprobleme werden seltener mit in den Blick genommen. Du hast vorhin gefragt, ob mich der Umgang mit Rechten manchmal wütend macht. Auch dieses Umweltproblem sollte ebenso geeignet dafür sein, dass wir so richtig wütend werden.
Was wäre deiner Meinung nach die Folgen einer zu schwerfälligen Demokratie?
Ich habe da eine sehr dystopische Vision. Wenn wir es nicht schaffen in demokratischen Staatsformen die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, dann werden angesichts immer größerer und dringlicher Umweltprobleme auch auf diesem Gebiet Populisten mit einfachen Lösungen auftauchen. Die sagen dann nicht wie die FFF-Bewegung: 'Wir wollen doch nur dass Ihr Politiker auf die Wissenschaftler hört.' Diese Autokraten und Diktatoren werden Lügen und Halbwahrheiten verbreiten, um scheinbare Lösungen anzubieten und sich so an die Macht putschen.
Klingt wirklich ein wenig zu dystopisch...
Tut es das? Noch lösen die Umweltprobleme hier keine existenziellen Ängste in großem Maße aus. Wenn es aber einmal soweit ist, dann sind die Tore für 'grüne Diktatoren' geöffnet. Ich befürchte, diese Herrscher werden nicht wie aufgeklärte Despoten das Wohl der Welt und der Menschen im Auge haben, sondern die Abwärtsspirale fortsetzen. So gesehen wäre es ein Glücksfall, wenn z.B. Xi Jinping eines Morgens aufsteht und beschließt ab jetzt in seiner Einflusssphäre den Umweltschutz ganz vorn an zu stellen. Angefangen damit hat er ja schon. Dies würde in einem System wie in China sicher effektiver und schneller durchgesetzt als z.B. in Deutschland.
Das klingt fast, als wärst du Fan.
Auf keinen Fall, solche Verhältnisse kann kein Demokrat ernsthaft wollen, egal wie grün er ist. Von daher ist meine Antwort auf die Ausgangsfrage: Hat man das Wohl der Menschen und nicht nur das der Erde im Blick, dann gibt es keine Alternative zur Demokratie. Aber es muss an ihr gearbeitet werden, sie muss effizienter werden, Politiker müssen sie von kapitalistisch-wirtschaftlichen Interessen befreien, damit sie wieder im ursprünglichen Sinne den Menschen dienen kann. Dann ist der Umweltschutz als reales Staatsziel eine logische Folge. Das ist so einfach und logisch, dass es schon fast populistisch klingt.