Derzeit warten rund 9000 Menschen auf ein Spenderorgan. Leider gibt es in Deutschland zu wenig Spender, um dem entgegenzuwirken. Jens Spahn wollte das mit einer doppelten Widerspruchslösung ändern. Demnach sollte jeder Organspender werden, der dem zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. Dieser Vorschlag wurde allerdings abgelehnt.
"Selbst wenn der Bundestag diesen Vorschlag akzeptiert hätte, gibt es dennoch zu wenig Spenderorgane", erklärt der Mediziner Eckhard Wolf. Er forscht aktuell an Alternativen zur Organspende. Im Gespräch erklärt er, wieso gerade Schweineherzen viele Menschen retten könnten und warum die Spenderorgane aktuell anders verteilt werden sollten.
watson: Herr Wolf, derzeit forschen Sie an der Xenotransplantation. Dabei sollen Schweineherzen in den menschlichen Körper verpflanzt werden. Wie funktioniert das?
Eckhard Wolf: Bei der Xenotransplantation modifizieren wir Schweineembryonen genetisch. Dafür schneiden wir unliebsame DNA mittels Genschere aus und ersetzen sie durch neue. Dadurch bilden sich menschliche Proteine. Das Ergebnis sind Schweine, deren Organe nach der Transplantation in Menschen nicht mehr so stark abgestoßen werden sollten wie das bei normalen Schweineorganen der Fall wäre.
Allerdings gab es auch bei Xenotransplantationen Fälle, in denen ein Spenderorgan vom menschlichen Körper nicht angenommen wurde – was den Patienten das Leben kostete.
Hier muss ich sagen, dass es sich zu Beginn der Xenotransplantationsforschung nicht um genetisch veränderte Schweine handelte. Wenn man ein normales Schweineherz in einen Menschen implantieren würde, käme es zu einer sogenannten hyperakuten Abstoßung.
Das bedeutet?
Antikörper in unserem Blut reagieren auf bestimmte Zuckerreste auf Schweinezellen – weshalb unser Immunsystem diese als Bedrohung einstuft und sie bekämpft. Das kann man sich wie Unverträglichkeiten von Blutgruppen vorstellen. Da wir die Schweineembryonen jedoch genetisch modifizieren, fällt das Problem mit den Zuckerresten weg.
Gab es bereits Versuche, in denen das geklappt hat?
Bisher nur mit Pavianen. Die Tiere haben ein halbes Jahr überlebt. Da Schweine jedoch wesentlich größere Herzen als Paviane haben, musste das Experiment abgebrochen werden. Bei Menschen gibt es das Problem nicht. Ein Schweineherz einer kleineren Rasse passt perfekt in den menschlichen Brustkorb.
Neben der Xenotransplantation gibt es noch andere Alternativen zur Organspende wie etwa Chimären. Dabei sollen menschliche Zellen mit tierischen gekreuzt werden. Was kann man sich darunter vorstellen?
Das Verfahren läuft so ab, dass man spezielle menschliche Stammzellen in Tierembryonen injiziert. Die Embryonen müssen zunächst genetisch bearbeitet werden. Sie sollen das jeweilige tierische Organ nicht mehr selbst produzieren können und stattdessen das gewünschte menschliche Äquivalent ausbilden. 2010 führte der japanische Forscher Hiromitsu Nakauchi das Verfahren erstmals durch. Er ließ in Mäusen die Bauchspeicheldrüse von Ratten wachsen. Dafür schaltete er ein Gen in den Mäusen aus, dass für die Ausbildung der Bauchspeicheldrüse notwendig ist.
Und dann ging es direkt zum Menschen?
Zumindest war die Vision da. Da Mäuse allerdings zu klein für menschliche Bauchspeicheldrüsen sind, wichen die Forschenden auf Schweine aus. Sie probierten, menschliche Stammzellen in Schweineembryonen zu injizieren. Die Stammzellen beteiligten sich jedoch nur in einem sehr geringen Ausmaß an der Entwicklung der Schweineembryonen.
Woran liegt das?
Mensch und Schwein sind weniger miteinander verwandt als Ratte und Maus. Außerdem glaube ich nicht, dass das Verfahren zukunftsfähig ist.
Warum?
Theoretisch müssen die Forschenden bei jedem Organ von Neuem beginnen. Denn die Schweine vererben die Fähigkeit, ein menschliches Organ wachsen zu lassen, nicht weiter. Entsprechend müssen sie immer erneut einen Embryo bearbeiten, was sehr aufwändig ist. Außerdem wissen sie nicht, ob am Ende ein geeignetes Organ herauskommt. Der Chimärismus kann mal stärker, mal weniger stark ausfallen. Bisher ist er in der Kombination "Mensch-Schwein" eher gering, weshalb am Ende kein komplettes Organ entsteht. Deshalb konzentrieren wir uns auf die Xenotransplantation.
Jetzt gab es gerade bei den Chimären eine große ethische Debatte. So sprach SPD-Politiker Karl Lauterbach von einem "Mega-Verstoß gegen ethische Grundsätze". Wie stehen Sie zu dem Thema?
Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet es nicht, hierzulande an Chimären zu forschen. Menschliche Stammzellen in tierische Embryonen zu injizieren ist nicht verboten, sofern es sich nicht um embryonale Stammzellen handelt. Andersrum geht das natürlich nicht – schon rein rechtlich.
Bei Xenotransplantationen schien der Diskurs etwas ruhiger. Gibt oder gab es da Debatten?
Selbstverständlich gibt es da Debatten. Einige Menschen sagen, dass man kein Tier töten dürfe, um Menschenleben zu retten. Das ist für mich persönlich nicht nachvollziehbar, weil wir in Deutschland jährliche viele Millionen Schweine für die Lebensmittelproduktion schlachten.
Aber das ist doch ein anderer Punkt.
Dennoch hängt es letztendlich vom Blickwinkel ab. Habe ich ein Weltbild, in dem ich alle Lebewesen auf eine Stufe stelle oder habe ich eines, in dem der Mensch über den Tieren steht. Ich wäre für eine gemäßigte zweite Variante. Es muss im Einzelfall abgewogen werden, wie groß die Belastung für die Tiere ist und ob es in Relation zum Nutzen für den Menschen steht.
Leiden die Tiere denn unter den genetischen Veränderungen?
Die genetischen Modifikationen für die Xenotransplantation sind für die Tiere nicht belastend. Ein Tierarzt könnte bei einer Untersuchung nicht unterscheiden, ob es ein genetisch verändertes oder normales Schwein ist. Wichtig ist, dass die Menschen über das Verfahren aufgeklärt werden.
Eine weitere Option ist es, Organe mittels 3D-Drucker herzustellen. Ist das auch eine Alternative zur Organspende?
Bisher noch nicht. Zwar wurde in Israel bereits ein Herz mittels 3D-Drucker produziert, aber das hatte lediglich die Form und zelluläre Struktur des Originals, geschlagen hat es nicht. Einfache Dinge wie die Haut kann man drucken, aber komplexe Gebilde wie ein funktionierendes Herz oder eine Niere sind derzeit nicht möglich.
Die sicherste Option bleibt also erstmal das Spenderorgan.
Ja, aber davon gibt es zu wenige. Außerdem hat auch das große Nachteile. Denn die Transplantation ist ein unberechenbarer Prozess. Es ist nicht klar, wann ein Spenderorgan verfügbar ist. Kommt jemand zu Tode und steht als Organspender zur Verfügung, haben die Ärzte nur sehr wenig Zeit, um den Empfänger entsprechend vorzubereiten. Im Falle der Xenotransplantation könnten sie viel besser planen.
Was müsste sich denn noch ändern, damit jeder in einer Notlage ein Spenderorgan erhält?
Generell muss die Forschung weiterhin gefördert werden. Das gilt sowohl für die Xenotransplantation als auch für andere Bereiche. Natürlich ist auch die Widerspruchslösung ein Schritt nach vorn. Allerdings glaube ich nicht, dass es dann genug Organe geben wird. In Österreich gibt es die Widerspruchslösung schon länger und trotzdem warten viele Menschen auf ein Organ. Außerdem sagten mir die Ärzte in einer österreichischen Klinik, dass die Verteilung der Organe nicht gut durchdacht ist.
Inwiefern?
So kriegen erst die Extremfälle ein Organ – die Patienten, die noch länger durchhalten, müssen warten. Leider sind diese extremen Fälle meist so vorgeschädigt, dass ihre Lebensdauer nicht besonders steigt. Den weniger schlimmen Fällen geht es jedoch mit der Zeit schlechter, sprich sie werden zu Extremfällen. Dadurch entsteht ein Teufelskreis. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass stets ausreichend Organe vorhanden sind – und das geht nur über Alternativlösungen.