Den Posten als Ministerpräsident in NRW ist Armin Laschet schon los und das Kanzleramt scheint aktuell sehr weit weg. Bild: Getty Images Europe / Lukas Schulze
Interview
08.10.2021, 08:3608.10.2021, 15:00
Es wird einsam um Armin Laschet. Die Wahl hat die Union krachend und mit einem historisch schlechten Ergebnis verloren. Für seinen Posten als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen gibt es mit Hendrik Wüst bereits einen Nachfolger. Die Hoffnung auf den Posten des Bundeskanzlers hat CSU-Chef Markus Söder mit seinem Vorwurf, FDP und Grüne hätten sich bereits für die Ampel entschieden, weiter geschmälert.
Innerhalb der Union wird zunehmend der Ruf nach Erneuerung laut. Eine Erneuerung, die in letzter Konsequenz auch am Stuhl Laschets als Parteivorsitzender sägen könnte. All die Macht, die Armin Laschet einmal hatte, rinnt ihm aktuell durch die Finger.
Was eine solche Erfahrung mit einem Spitzenpolitiker machen kann, darüber hat watson mit dem Psychologen Michael Schmitz gesprochen. Und darüber, was Laschet nun tun müsste, um mit Würde gehen zu können.
Michael Schmitz ist Professor für Psychologie und Management an der Lauder Business School in Wien. Seine Schwerpunktthemen sind die Psychologie der Macht und Emotions-Management.
watson: Herr Schmitz, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet denken?
Michael Schmitz: Da denke ich mir, dass er ein armer Tropf ist.
Warum?
Er hat sein ganzes Leben darauf ausgerichtet, in der Politik erfolgreich zu sein und Machtpositionen zu erlangen. Er hat sich sehr stark dafür eingesetzt, Kanzlerkandidat zu werden. Und das, obwohl es viel Widerstand und Skepsis gab. Er hat das alles nicht ernst genommen. Offenbar war der Trieb, nach der Macht zu greifen, so stark, dass Zweifel, ob das eine gute Idee ist, nicht aufkamen.
Ist dieser starke Wunsch nach Macht etwas, das Spitzenpolitiker miteinander gemein haben?
Wenn man in die Politik geht, dann in aller Regel, um für die Gesellschaft etwas Gutes zu bewirken. Natürlich ist aber auch immer eine persönliche Ambition dabei, die verbunden ist mit einem Streben nach Status. Einem Streben nach Einfluss. Und mit einem Streben danach, etwas entscheiden zu können. In Machtpositionen geht es eben auch um das Selbstwertgefühl.
Wie meinen Sie das?
Derjenige, der eine Machtposition hat, ist für viele attraktiv, weil er eben etwas bietet: Teilhabe an der Macht, Nähe zur Macht, Posten und Position.
Kurz vor der Wahl versuchte Laschet mit der Bildung eines "Zukunftsteams" dem weiteren Abrutschen in den Umfragen entgegenzuwirken.Bild: dpa / Christoph Soeder
Ist das der Grund, weshalb Laschet sich trotz der verlorenen Wahl so lange an jeden Strohhalm geklammert hat?
Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass es ihm sehr schwerfällt, dieses Machtstreben aufzugeben. Und die Vorstellung aufzugeben, er könnte vielleicht doch noch sein großes Ziel erreichen: die Kanzlerschaft in Deutschland. Dieses Ziel wird er aber aller Voraussicht nach nicht erreichen, auch seine Spitzenposition innerhalb der CDU wird er auf Dauer nicht halten können – schließlich richten sich alle Vorwürfe gegen seine Art, sich und seine Politik zu präsentieren.
"Ein Ausstieg kann dann dazu führen, dass die Menschen keinen weiteren Sinn in ihrem Leben erkennen und nichts mit sich anzufangen wissen"
Laschet musste sich im vergangenen Jahr generell sehr viel Kritik stellen. Dazu kamen die parteiinternen Kämpfe: erst um den Vorsitz, dann um die Kanzlerschaft. Auch jetzt wird immer wieder der Ruf nach einer Neuaufstellung laut. Gibt es für ihn eine Möglichkeit, diese Situation würdevoll aufzulösen?
Wenn man scheitert, kann man die Situation nicht auflösen, ohne sich sein Scheitern einzugestehen. Würdevoll könnte er aus dieser Situation nur herauskommen, wenn er klar sagen würde: 'Ich bin der, der die Verantwortung trägt. Und deshalb ziehe ich jetzt persönliche Konsequenzen.' Laschet müsste also die persönliche Stärke aufbringen, sich komplett zurückzuziehen und etwas Neues anzufangen.
Er ist 60 Jahre alt, also noch jung genug, um noch mal was Neues auszuprobieren. Was würde denn das Machtvakuum, in dem sich Spitzenpolitiker nach ihrer Karriere befinden, ausgleichen?
Wenn ein Mensch so sehr an Macht gewöhnt ist, dass sie für die eigene Identität wesentlich geworden ist, dann ist ein Ausstieg ganz schwer. Ein Ausstieg kann dann dazu führen, dass die Menschen keinen weiteren Sinn in ihrem Leben erkennen und nichts mit sich anzufangen wissen.
Gibt es also keinen Ausstieg aus der Spitzenpolitik ohne anschließende Lebenskrise?
Spitzenpolitiker brauchen die Bereitschaft, die Machtposition als etwas Vorübergehendes zu betrachten, als etwas, das nicht die gesamte Persönlichkeit definiert. Nach ihrem Ausstieg aus der Politik könnten sich die Politiker dann überlegen, wo ihre Fähigkeiten liegen. Wenn sie vor ihrem Leben in der Spitzenpolitik gearbeitet haben, können sie unter Umständen zurück.
Laschet war zum Beispiel Dozent an der Hochschule in Aachen.
Das könnte durchaus eine Position sein, die er wieder anstrebt. Er könnte auch im Bereich der Politikwissenschaften die Zeit nutzen, selbst darüber nachzudenken, was Macht mit den Menschen macht. Was Macht mit ihm gemacht hat.
"Ärger ist nie eine gute Reaktion – gerade dann nicht, wenn man dadurch zu der Auffassung kommt, man würde doch alles ganz grandios machen"
Ich finde, man hat in den letzten Wahlkampfwochen auch gemerkt, dass Laschet zunehmend gereizt gewirkt hat. Teilweise fast schon aggressiv. Kann dieses Verhalten damit zu tun haben, dass er sich eben schon die Sorge gemacht hat, dass er seine Macht verlieren wird?
Auch er muss im Wahlkampf gemerkt haben, dass viel danebengegangen ist. Statt wachsender Zustimmung muss er zunehmend gemerkt haben, dass er mit dem, was er macht, nicht überzeugt. Dass er mit der Art und Weise, wie er auftritt, die Menschen nicht gewinnen kann. Das ist eine schmerzhafte Erfahrung und eine persönliche Niederlage. Dazu kam, dass er von der Presse sehr kritisch begleitet wurde und auch in der eigenen Partei auf Ablehnung gestoßen ist. Diese permanente Zurückweisung greift natürlich an. Sie schmerzt und enttäuscht. Es kann leicht passieren, dass das in Ärger umschlägt. Und Ärger ist nie eine gute Reaktion – gerade dann nicht, wenn man dadurch zu der Auffassung kommt, man würde doch alles ganz grandios machen.
Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup
Prinzipiell können Misserfolge für Menschen auch eine Chance darstellen. Inwiefern gilt dieser Grundsatz auch für Spitzenpolitiker?
Politiker, die innerlich gefestigt sind, können mit Misserfolgen ihren inneren Kompass ausrichten. Wenn sich der innere Kompass aber immer nur auf Zuspruch verlässt, dann kommt es wie im Fall von Helmut Kohl zum Beispiel dazu, dass sich Politiker nur durch Machtpositionen definieren. Kohl konnte seine Macht nicht loslassen, obwohl er nicht mehr in der Lage war, sie auszuüben. Damit hat er dazu beigetragen, dass die Union damals gescheitert ist und SPD-Kandidat Gerhard Schröder Kanzler werden konnte.
Angela Merkel macht genau das Gegenteil. Sie gibt ihre Position auf, obwohl sie wahrscheinlich noch weitere vier Jahre hätte regieren können. Es gibt also eine Möglichkeit, sich mit Würde aus der Spitzenpolitik zurückzuziehen.
Das ist eine Haltung, vor der man Hochachtung haben muss. Angela Merkel hatte immer ein klares Machtbewusstsein, ohne sich selbst als Zentrum der Welt zu sehen.