Thorsten Frei ist der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU.Bild: www.imago-images.de / Political-Moments
Interview
Stärke. Geschlossenheit. Klarheit. Wörter, die in den vergangenen Wochen immer wieder von Mitgliedern der CDU zu hören sind. Auch vom Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der Partei, Thorsten Frei. Was er damit meint und warum er nicht glaubt, dass Angela Merkel der Partei den Rücken kehrt:
Eine verlorene Bundestagswahl, eine ehemalige Kanzlerin, die mit dem neuen Chef ihrer Partei nicht dinieren möchte und der Rückzug eines Fraktionsvorsitzenden. Seit Alt-Kanzlerin Angela Merkel 2018 den Vorsitz der CDU abgab, steckt die Partei in einer Krise. Doch das soll sich mit dem neuen Chef Friedrich Merz ändern.
Wie will die CDU ihre Zukunft gestalten und wie soll die Erneuerung der Partei aussehen? Darüber hat watson mit dem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU gesprochen: Thorsten Frei.
Watson: Herr Frei, Twitter brüskiert sich über die Absage von Angela Merkel zu einer Dinner-Einladung von Herrn Merz. Hat Angela Merkel die CDU verraten?
Thorsten Frei: Nein, Angela Merkel hat die CDU natürlich nicht verraten. Ihre Entscheidung darf man jetzt auch nicht überhöhen. Wenn Sie diese Einladung nicht angenommen hat, dann ist es zunächst einmal Ihre Sache und von uns auch zu akzeptieren.
Nach außen hat es zumindest so gewirkt, als hätte Frau Merkel der Partei sofort den Rücken gekehrt, als ihre Kanzlerschaft endete.
Sie hat bis zur Bundestagswahl dem Bundestag und unserer Fraktion angehört. Sie hat an jeder Sitzung teilgenommen und es gab immer einen intensiven Austausch. Ich würde einfach sagen, es ist wie es ist. Und wir sollten das auch nehmen, so wie es ist.
Thorsten Frei
Der 43-jährige Thorsten Frei ist seit 2021 der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU. In seinem Amt managt er sozusagen das Alltagsgeschäft der Union im Bundestag.
Frei ist Rechtsanwalt und war von 2004 bis 2013 Oberbürgermeister der Stadt Donaueschingen in Baden-Württemberg.
Seit 2012 sitzt er für die CDU im Bundestag.
Jetzt ist Friedrich Merz am Zug. Nachdem Ralph Brinkhaus seinen Rücktritt als Fraktionschef angekündigt hat, wird aller Voraussicht nach Herr Merz übernehmen. Haben Sie Angst vor einer solchen Veränderung?
Nein, überhaupt nicht. Fest steht: Angesichts der Tatenlosigkeit der Ampel-Koalition können wir uns eine Verzögerung in der Neuaufstellung nicht leisten. Aus diesem Grund hat auch unser Fraktionsvorsitzender Ralph Brinkhaus eine schnelle Entscheidung getroffen, für die ihm großer Respekt gebührt. Wir dürfen die Ampel nicht damit durchkommen lassen, dass sie einen verfassungswidrigen Nachtragshaushalt vorlegt, sich weigert, einen Gesetzesentwurf zur Impfpflicht zu erarbeiten und in diesen Tagen und Wochen gegenüber unseren NATO-Partnern in kürzester Zeit Vertrauen verspielt. Wir brauchen dringend eine Kurskorrektur. Mit Friedrich Merz als Partei- und Fraktionschef erhalten wir die nötige Durchschlagskraft, entsprechende Alternativen nach vorn zu spielen. Das eindeutige Mitgliedervotum und die klare Entscheidung auf dem Bundesparteitag verleihen ihm eine besondere Legitimation, sich der irrlichternden Regierung entgegenzustellen. Um es klar zu sagen: Die Schonzeit ist vorbei. Und mit Friedrich Merz geht es jetzt in die Offensive.
"Die Menschen erwarten von uns, dass wir uns jetzt nicht primär mit uns selbst befassen. Jetzt geht es um Geschlossenheit. Die hat uns letztes Jahr gefehlt."
Beim Bundesparteitag am Wochenende ist Herr Merz mit fast 95 Prozent der Delegierten-Stimmen gewählt worden...
Genau. Wahrscheinlich ist noch nie ein Parteivorsitzender mit einem dermaßen großen Rückhalt in seine Amtszeit gestartet. Aber auch die anderen Mitglieder des Präsidiums und des Bundesvorstandes sind mit starken Ergebnissen gewählt worden. Das ist der jüngste Bundesvorstand, den die CDU Deutschlands je hatte. Das alles gibt uns enorm viel Rückenwind, um die anstehenden Herausforderungen zu lösen. Die Debatte um den Fraktionsvorsitz ist naheliegend und wir werden das intern klug und vernünftig lösen. Dabei nutzen wir die Dynamik, die aus diesem Parteitag kommt und aus dem hohen Maß an Geschlossenheit, das wir erreicht haben.
Der neue CDU-Chef Friedrich Merz.Bild: www.imago-images.de / Political-Moments
Sie haben das Stichwort schon genannt: Geschlossenheit. Auf dem Parteitag war besonders auffällig, welche Einigkeit die CDU markieren möchte. Was, wenn Herr Merz wirklich den Fraktionsvorsitz übernehmen will: Wird es wieder einen Machtkampf geben? Kommt die CDU jemals zur Ruhe?
Wir werden jedenfalls alles dafür tun, dass Partei und Fraktion mit dieser Geschlossenheit die Dinge anpacken. Die Menschen erwarten von uns, dass wir uns jetzt nicht primär mit uns selbst befassen. Jetzt geht es um Geschlossenheit. Die hat uns letztes Jahr gefehlt. Wir müssen uns programmatisch klar aufstellen. Das heißt, sowohl unsere Mitglieder als auch die Bürgerinnen und Bürger im Land müssen wissen, wofür die Union steht. Wir werden jetzt der Regierung auf die Finger schauen und die Menschen mit besseren Vorschlägen von uns überzeugen. Das wird uns gelingen, davon bin ich überzeugt.
"Wir brauchen eine neue Form von Leistungsgerechtigkeit. Das heißt, diejenigen, die sich anstrengen und sich bemühen, müssen am Ende auch etwas davon haben."
Wofür steht denn die CDU heute?
Die CDU ist die große Volkspartei der bürgerlichen Mitte und zieht ihre Kraft aus drei Wurzeln. Eine christlich-soziale, eine liberale und eine konservative. Und eine Volkspartei der Mitte schafft es auch, diese Wurzeln in einer Partei zu vereinen. Das ist uns in der Vergangenheit geglückt und es wird uns auch in der Zukunft gelegen. Das setzt aber eben auch voraus, dass man alle diese Wurzeln zur Geltung kommen lässt.
Wie meinen Sie das?
Dass man den Kern freilegt, dass man auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes handelt. Dass man den Staat von unten nach oben aufbaut, dass man Solidarität und Freiheit zusammen denkt – also auf Eigeninitiative setzt, aber dort unterstützt, wo jemand vielleicht auch nicht stark genug ist, die Dinge allein zu schaffen ...
... dass man also mehr Gerechtigkeit schafft?
Wir brauchen eine neue Form von Leistungsgerechtigkeit. Das heißt, diejenigen, die sich anstrengen und sich bemühen, müssen am Ende auch etwas davon haben. Wenn es zum Beispiel darum geht, in großen Städten die hohen Mietpreise zu adressieren. Für viele Menschen, die jeden Tag in ihrem Beruf das Beste geben, sind sie eine echte Herausforderung. Oder die Inflation, die aktuell so hoch ist wie seit 1993 nicht mehr. Insbesondere Menschen mit schmalem Geldbeutel sind davon überproportional betroffen.
Die CDU zeigt momentan etwas, das in der Partei lange verloren schien: Kampfgeist. Glauben Sie, die Oppositionsrolle hilft dabei, wieder zu neuer Größe zu kommen?
Diese Rolle haben wir uns nicht ausgesucht. Immer wenn die Union zu Wahlen antritt, will sie gewinnen und regieren. Aber wir tun nun auch gut daran, diese Rolle anzunehmen. Opposition ist konstitutiv für die Demokratie, und wir sollten in dieser Situation durchaus die Chancen und Möglichkeiten sehen. Wir haben uns vorgenommen, sehr zügig ein neues Grundsatzprogramm zu erarbeiten. Klare Positionen, die klar kommuniziert werden müssen. Köpfe, die das transportieren und die auch mit einem hohen Maß an Geschlossenheit agieren. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass die Opposition die Möglichkeit bietet, sich nicht im Klein-Klein zu verheddern, sondern auch die großen Linien zu zeichnen. Also auch die, die über den Tag hinausgehen.
"Wir waren an manchen Stellen wie ein wandelnder Koalitionskompromiss unterwegs."
Was hat die CDU in der Regierungsverantwortung daran gehindert, das zu tun?
Das ist wirklich eine gute Frage. Wenn man lange regiert, so wie das bei uns der Fall war, dann werden die Kräfte durch das Management des Hier und Jetzt vollständig gebunden.
Also war die CDU eingeschlafen.
Das nicht. Man kann aber vielleicht sagen, dass wir an vielen Stellen wie ein wandelnder Koalitionskompromiss unterwegs waren. Die Menschen konnten vielleicht auch nicht mehr unterscheiden: Was ist jetzt eigentlich Regierungshandeln und was ist CDU/CSU pur? Also wofür stehen wir eigentlich selbst, bevor wir mit unseren Partnern entsprechende Kompromisse eingehen? Und das kann man in der jetzigen Situation sehr viel deutlicher, sehr viel klarer herausarbeiten. Am kürzesten halten wir die Oppositionszeit, wenn wir die Chancen der Opposition nutzen.
Der neue Vorstand der CDU.Bild: www.imago-images.de / Chris Emil Janssen
Sie haben zu Beginn unseres Gesprächs das Thema Verjüngung der CDU angesprochen. Wie wollen Sie als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer die jungen Abgeordneten und auch die weiblichen Abgeordneten in Ihrer Fraktion stärken?
Wir haben unsere Fraktionsgremien besetzt, und da sind auch viele jüngere Kolleginnen und Kollegen zum Zug gekommen. Jetzt kommt es darauf an, dass wir uns sehr stark der inhaltlichen Arbeit widmen und nicht zu sehr in Hierarchien denken.
Sondern?
Sondern, dass wir jeder Kollegin und jedem Kollegen ermöglichen, in ihren Themen zu arbeiten und dort dann auch Akzente zu setzen und sich zu zeigen. Jeder, der in den Bundestag kommt, tritt sein Mandat mit einem unglaublichen Gestaltungswillen an. Und dieses Potenzial sollten wir wirklich nutzen.
Um das in einem Satz zusammenzufassen: Sie wollen die jungen Menschen ernst nehmen.
Absolut. Also ernst nehmen ist eine Selbstverständlichkeit. Darüber hinaus wollen wir den Kollegen die Chance bieten, sich zu beweisen, zu zeigen, was sie können. Wir sind darauf angewiesen, dass wir sowohl die Erfahreneren als auch die Jüngeren in die Fraktionsarbeit integrieren. Dann entsteht am Ende auch etwas Gutes.
"Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass die Brandmauer nach rechts steht."
Der Bundesverband Lesben und Schwule in der CDU, also die LSU, soll jetzt, Zitat: "Teil der CDU-Familie sein". Wie kann ich mir das vorstellen?
Die CDU ist eine große Volkspartei, in der es verschiedene soziologische Gruppen oder Themengruppen gibt: die Junge Union, die Frauenunion, die Seniorenunion oder andere Gruppen, wie zum Beispiel die Kommunalpolitische Vereinigung, die Mittelstandsvereinigung, die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft. Und da wollen wir die LSU integrieren und ihr einen vergleichbaren Status verschaffen.
Könnte die unter anderem von Wiebke Winter gegründete Klimaunion künftig auch darauf hoffen?
Bei der Klimaunion ist das ein Stück weit anders. Die Mitglieder der Klimaunion wollen ja vor allem ein Thema nach vorne bringen: Klimaschutz, Nachhaltigkeit. Das ist etwas, das sollen und das müssen wir auch als Gesamtpartei verstärkt angehen. Das werden wir auch – und das zeigt sich unter anderem dadurch, dass mit Andreas Jung der klimapolitische Sprecher zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt wurde. Sein großes Thema ist die Nachhaltigkeit. Das heißt, es ist auch für uns ein zentrales Thema, hier vorwärtszukommen. Da spielt die Klimaunion eine wichtige Rolle.
Wiebke Winter ist Vorstandsmitglied der CDU und hat die Klimaunion mitgegründet.Bild: www.imago-images.de / teutopress GmbH
Was ist mit der Werteunion? Die CDU hat diese Woche deren Vorsitzenden Max Otte von all seinen Mitgliederrechten befreit und ein Parteiausschlussverfahren in die Wege geleitet – weil er auf Vorschlag der AfD für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert. Wird jetzt eine Brandmauer nach rechts aufgebaut?
Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass die Brandmauer nach rechts steht. Herr Otte hat meiner Einschätzung nach eindeutig gegen die Grundordnung unserer Partei verstoßen. Für uns steht fest, nicht mit der AfD zu kooperieren. Im Übrigen gehört die sogenannte Werteunion nicht zur CDU.