Mitglieder der Werteunion mit Fahnen bei einer Gedenkfeier.Bild: www.imago-images.de / Martin Müller
Interview
04.06.2021, 17:4505.06.2021, 09:52
lukas armbrust, paulina schmidt
Max Otte ist CDU-Mitglied, 2017 kündigte er öffentlich an, die AfD zu wählen. Jetzt ist er der neue Chef der Werteunion. Damit drängt sich eine Frage in den Vordergrund, die CDU und CSU seit Jahren bewegt: Wie gehen sie mit der Werteunion um?
2017 gründeten Mitglieder beider Unionsparteien den Verein unter dem Namen Freiheitlich-Konservativer Aufbruch, später wurde er in Werteunion umbenannt. Die Mitglieder behaupten von sich, den freiheitlich-konservativen Markenkern von CDU und CSU hochzuhalten. Für die meisten Medien und Beobachter ist es eine Vereinigung, die sich am rechten Rand der Unionsparteien bewegt – und die kaum Berührungsängste mit der rechtspopulistischen AfD hat.
Erst diese Woche stand Armin Laschet wieder unter Beschuss. Der CDU-Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat der Union musste sich bei "Maischberger" kritischen Fragen zur Werteunion stellen. Ein Anlass: Dem neu gewählten Vorsitzenden der Werteunion, Max Otte, wird eine Nähe zur AfD nachgesagt. Maischberger konfrontierte Laschet in ihrer Sendung mit einem Video, in dem Otte während einer Demonstration von "Querdenkern" von einer "Diktatur" spricht, die sich in Deutschland entwickele. "So eine Aussage ist Unsinn, aber Unsinn ist kein Parteiausschlussgrund", erwiderte Laschet darauf.
"Die Werteunion ist institutionell und organisatorisch nicht mit der CDU verbunden", sagte Laschet gegenüber Maischberger weiter. "Sie ist überwertet, sie spielt keine Rolle. Wir reden über ein Phänomen, das keinen Einfluss auf den Kurs der CDU hat".
Ob diese Aussage des Parteivorsitzenden Bestand hat, könnte sich nach dem kommenden Sonntag zeigen. Dann wird nämlich in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Aktuellen Umfragen zufolge käme die derzeitige Regierung aus CDU, SPD und Grünen zwar erneut auf eine Mehrheit, die Demoskopen sehen die AfD teils aber gleich auf mit der CDU. Am Ende könnte die rechtspopulistische Partei sogar stärkste Kraft in Sachsen-Anhalt werden.
Watson hat mit dem Politikwissenschaftler Thomas Biebricher über die Werteunion gesprochen: Biebricher hat sich 2019 in seinem Buch "Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus" mit den Problemen konservativer Politik in Deutschland auseinandergesetzt. Wir haben ihn nach dem Einfluss der Werteunion auf CDU und CSU gefragt – und danach, wie es um die Abgrenzung der beiden Parteien nach rechts steht.
"Ein Großteil der Basis möchte es einfach etwas konservativer haben. Aber ich glaube nicht, dass das gleichbedeutend ist mit dem, was die Werteunion inhaltlich vertritt."
watson: Herr Biebricher, laut prominenten CDU-Politikern ist die Werteunion bedeutungslos. CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet sagte zuletzt deutlich, dass sie "kein Teil der Union" sei. Medial ist die Werteunion aber sehr präsent. Wie schätzen Sie ihre Bedeutung ein?
Thomas Biebricher: Ich muss sagen, dass ich da eine ähnliche Einschätzung habe wie Herr Laschet und diverse andere Leute in der Führungsetage der Union. Die Werteunion hat in keiner nennenswerten Art und Weise Einfluss auf die Ausrichtung der Union. Sie ist in erster Linie ein mediales Phänomen und generiert sehr viel Aufmerksamkeit, die steht aber in einem umgekehrten Verhältnis zu ihrem Einfluss innerhalb der Partei.
Politikwissenschaftler Thomas Biebricher.bild: privat/ PAULA WINKLER
Wieso bekommt die Werteunion denn so viel Aufmerksamkeit, wenn sie eigentlich so unbedeutend ist?
Das hat etwas mit journalistischen Logiken zu tun. Es steckt aber auch noch etwas anderes dahinter: Die Werteunion repräsentiert in einer greifbaren Art und Weise ein diffuses Bedürfnis nach einem klareren inhaltlichen Profil, das es innerhalb der Union gibt. Man könnte das eine stärkere konservative Profilierung nennen. Innerhalb der Basis gibt es die Hoffnung, dass man sich wieder klarer mit irgendetwas identifizieren kann.
Armin Laschet betont ja immer wieder, dass die Werteunion nicht repräsentativ sei für diesen konservativeren Teil der Union. Viele Mitglieder der Werteunion kommen aber aus den Unionsparteien.
Es gibt Studien von der Konrad-Adenauer-Stiftung, die zeigen, dass sich die Basis der Union schon lange Zeit als konservativer empfindet als die Führungsriege. Ein signifikanter Teil der Basis möchte es einfach etwas konservativer haben. Aber ich glaube nicht, dass das gleichbedeutend ist mit dem, was die Werteunion inhaltlich vertritt. Ich glaube, dass sich die Werteunion eigentlich sehr viel weiter am rechten Rand der Union befindet – wenn das überhaupt noch der rechte Rand der Union ist.
"In gewisser Weise natürlich schon, weil immer deutlicher wird, dass die Werteunion nicht auf dem Boden des christdemokratischen Konsenses steht."
Kommt man am rechten Rand der Union nicht schon sehr in die Nähe der AfD?
Doch, die Werteunion ist schon eine Art Verbindungsstück zwischen einem gemäßigten Konservatismus und der AfD. Die Positionen, die im Mainstream des Unionsdiskurses vertreten sind, zähle ich als gemäßigten Konservatismus – auch wenn das inhaltlich recht ausgehöhlt ist, aber es ist immer noch da. Die AfD vertritt im Gegensatz dazu keinen Konservatismus, das ist eher Autoritarismus oder Rechtspopulismus. Die Werteunion ist hier die mögliche Verbindung als eine Art Radikalkonservatismus, der auch bisweilen ins Reaktionäre kippt. Und von manchen wird dort ja auch die Möglichkeit punktueller Kooperationen mit der AfD auf kommunaler Basis gefordert.
Auch dem neuen Chef der Werteunion, Max Otte, wird eine große Verbundenheit mit der AfD nachgesagt. Sein Vizechef Klaus Dageförde war früher in der rechtsextremen Szene. Was bedeutet das für die Werteunion?
Ich habe zur Kenntnis genommen, dass sogar Herr Maaßen bei den Führungspositionen der Werteunion Bedenken hat und seine Mitgliedschaft ruhen lassen möchte. Das ist schon sehr bezeichnend, weil Herr Maaßen ja kein gemäßigter Konservativer ist. Herr Otte hat in der Vergangenheit in diversen Tweets zur Wahl der AfD aufgerufen, von daher muss man das als eine Art Radikalisierungsprozess der Werteunion beschreiben.
Und was bedeutet diese Radikalisierung für die Unionsparteien?
Ich glaube nicht, dass sich das Problem dadurch für die Union erledigt. In gewisser Weise natürlich schon, weil immer deutlicher wird, dass die Werteunion nicht auf dem Boden des christdemokratischen Konsenses steht. Aber die Werteunion gibt es halt, die Medien berichten darüber und gerade in ostdeutschen Kontexten wird das weiterhin eine Rolle spielen.
Könnte das auch Auswirkungen auf die Bundestagswahl haben?
Das ist im Moment noch schwer abzuschätzen. Aber die Problematik für die Union ist folgende: Auf der einen Seite müssten sie sich schon um eine etwas stärkere konservative Profilierung bemühen. Auf der anderen Seite darf man rein wahlstrategisch auf keinen Fall die Milieus vergraulen, die lange Zeit eigentlich gar nicht zur Stammwählerschaft gehörten.
Wen meinen Sie?
Die Menschen, die die Partei gewählt haben, solange sie von Angela Merkel geführt wurde und die eben vor allem auch die Kanzlerin Merkel gewählt haben. Diese Leute darf man nicht zu sehr vor den Kopf stoßen mit einer starken konservativen Kante. Und man darf nicht vergessen: Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sich ja Schwarz und Grün in irgendeiner Koalition wiederfinden. Ich glaube, die Grünen hätten gewisse Vorbehalte gegenüber einer stramm konservativ gewandelten CDU.
"Die Union muss jetzt einen Balanceakt vollziehen und die Werteunion ist ein verkomplizierender Faktor"
Glauben Sie denn, dass es so weit kommt?
Nein, ich sehe nicht, dass das kommt. Die Union muss jetzt einen Balanceakt vollziehen und die Werteunion ist ein verkomplizierender Faktor. Man darf vonseiten der Union nicht den Eindruck erwecken, dass man in irgendeiner Art und Weise von der Werteunion getrieben wird.
Mehrere CDU-Politiker haben einen Unvereinbarkeitsbeschluss zwischen CDU und Werteunion gefordert, Armin Laschet hat sich aber dagegen ausgesprochen. Was wäre sinnvoll für die Union?
Ich wäre da auch eher zurückhaltend, ein Unvereinbarkeitsbeschluss verschafft der Werteunion noch viel mehr öffentliche Wahrnehmung. Das hebt das Ganze auf eine andere Stufe und verleiht der Werteunion eine Bedeutung, die sie eigentlich nicht hat.
Was könnte dann die Lösung sein?
Die CDU muss hoffen, dass möglichst wenig über die Werteunion geredet wird. Das wird aber nicht einfach, weil ja beispielsweise auf jeden Fall über Herrn Maaßen berichtet wird, auch wenn er seine Mitgliedschaft ruhen lässt. Trotzdem glaube ich, dass man davon ausgehen kann, dass es jetzt einen kurzen Aufruhr gibt, die auch der Wahl des neuen Vorsitzenden geschuldet ist – aber, dass das wieder abflauen wird. Die Leute haben dann wahrscheinlich wieder andere Dinge im Kopf als die Werteunion.