Lange hatte die AfD versucht, der Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen. Wie eine Eidechse ihren Schwanz abwirft, um Feinde abzulenken, hatte die Partei den rechtsextremen "Flügel" zur Selbstauflösung gebracht und einem seiner wichtigsten Mitglieder, dem früheren Chef der brandenburgischen AfD-Landtagsfraktion Andreas Kalbitz, die Parteimitgliedschaft aberkannt. Damit geben sich die Behörden aber nicht zufrieden. Als erster Landesverband steht die Brandenburger AfD unter Beobachtung durch den Verfassungsschutz und auch eine Beobachtung der Gesamtpartei steht nach wie vor im Raum.
Der "gärige Haufen", wie Fraktionschef Alexander Gauland die AfD einmal bezeichnet hat, gärt währenddessen munter weiter. Auch und wegen der drohenden Überwachung durch den Verfassungsschutz wollen viele in der Partei rechte und rechtsextreme Mitglieder loswerden oder kaltstellen. Allen voran Co-Parteichef Jörg Meuthen will die Macht in der Partei bei sich konzentrieren. Kann Meuthen sich gegen die Überbleibsel des nach wie vor starken rechten Flügels durchsetzen?
Watson hat mit Hajo Funke gesprochen. Er ist einer der bekanntesten und renommiertesten Forscher zum Thema Rechtsextremismus. Wir wollten wissen, was die Beobachtung der Brandenburger AfD durch den Verfassungsschutz für die Gesamtpartei bedeutet – und ob der Bundes-AfD das gleiche Schicksal wie dem Brandenburger Landesverband droht. Funke erklärt, warum der rechte "Flügel" der AfD auch nach seiner offiziellen Auflösung weiter schlägt. Und warum er davon ausgeht, dass der Machtkampf in der AfD noch lange nicht vorüber ist.
watson: Herr Funke, die AfD hatte vor einiger Zeit Andreas Kalbitz die Parteimitgliedschaft aberkannt, offensichtlich in der Hoffnung, dadurch einer Überwachung durch den Verfassungsschutz zu entgehen. Nun hat der Verfassungsschutz trotzdem die Brandenburger AfD unter Beobachtung genommen. Ist die Strategie von Parteichef Jörg Meuthen gescheitert?
Hajo Funke: Es war eine utopische Annahme, zu glauben, dass die AfD der Überwachung entgehen könnte, indem man Andreas Kalbitz aus der Partei ausschließt. Jörg Meuthen hat vier Jahre lang zu den rechtsextremen Bestrebungen innerhalb der AfD geschwiegen und auch davon profitiert. Nun hat man versucht, einen ihrer Vertreter auszuschließen, und selbst das ist nicht ganz gelungen. Andreas Kalbitz klagt nach wie vor dagegen, er ist nach wie vor Teil der AfD-Fraktion in Brandenburg. Er ist tief verankert in der Partei dort.
Ist die Überwachung der AfD in Brandenburg berechtigt?
Absolut. Ich teile diese Einschätzung. Das ist eine stramm organisierte Vereinigung, die sehr stark auf Andreas Kalbitz zugeschnitten ist. Kalbitz war ja selbst in mehreren rechtsextremen Vereinigungen und vertritt rechtsextreme Standpunkte.
Mit der Überwachung der AfD in Brandenburg hat die Bundespartei nun wohl auch die Hoffnung verbunden, selbst nicht ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten. Funktioniert das?
Nein. Es gab vor über einem Jahr ein Gutachten des Verfassungsschutzes, in dem neben den Vertretern des rechten Flügels Björn Höcke und Andreas Kalbitz eben auch Jörg Meuthen kritisiert wurde. Auch Alexander Gauland und Alice Weidel finden sich mit Äußerungen in dem Gutachten. Es ist falsch zu glauben, dass sich die teilweise als rechtsextrem eingestufte Gesinnung nur auf eine in sich geschlossene Splittergruppe innerhalb der Partei beschränkt.
Brandenburg ist der erste Landesverband der AfD, der nun insgesamt unter Beobachtung steht. Was bedeutet das für die Bundespartei?
Das ist eine weitere Zäsur. Erst wurden nur Einzelpersonen – unter anderem Björn Höcke – und dann der Flügel vom Verfassungsschutz ins Visier genommen. Nun ein ganzer Landesverband. Insofern hat Jörg Meuthen allen Grund zu befürchten, dass der Prozess der Beobachtung weiter geht und bald auf die Bundespartei ausgeweitet wird.
Welche Rolle spielt Jörg Meuthen innerhalb der Partei?
Jörg Meuthen hat eine komplette Kehrtwende hingelegt, aus Angst, die Bundespartei könnte Schaden nehmen. Zunächst hat er den Flügel nicht nur toleriert, sondern auch verteidigt. Er hat Andreas Kalbitz gelobt und einen "Harten Hund" genannt, was durchaus als Kompliment gemeint war.
Meuthen hat auch viele Elemente dieser rechten Gesinnung selbst vertreten, indem er über "Kulturfremde" spricht, die aus dem Land verbannt werden sollten. Das sind laut Björn Höcke Afrikaner und Asiaten. Höcke will diese Menschen mit "wohltemperierter Grausamkeit" aus dem Land verbannen, sobald die AfD an der Macht ist.
Aufgrund solcher Äußerungen wird Björn Höcke als Faschist bezeichnet…
Das ist eine Grundausrichtung, die von Jörg Meuthen nicht wirklich gekontert wird. Man lässt diese Menschen innerhalb der AfD gewähren. Es ist absurd, anzunehmen, dass der Verfassungsschutz da nicht annimmt, dass auch große Teile der Gesamtpartei hinter diesen Äußerungen stehen.
Wie stark ist der Flügel?
Der Flügel ist in der AfD stark verankert, insbesondere in den ostdeutschen Verbänden. Er hat eine Blockadefunktion innerhalb der Partei und kann diese auch notfalls lahmlegen. Sollte es zum offenen Machtkampf zwischen Meuthen und dem Flügel kommen, ist nicht klar, wer gewinnen würde.
Wie ernst ist dieser Konflikt für die AfD als Gesamtpartei?
Sie ist in einem vergifteten Machtkampf, der nun schon Monate anhält und noch weitere Monate anhalten wird. Es gibt niemanden dort, der da aktuell vermitteln könnte. Früher hätte das Alexander Gauland sein können. Der hat nun aber sein Amt als Parteichef an Tino Chrupalla abgegeben, der wiederum zu schwach ist, um die Partei wieder zu einen.
Also hat Jörg Meuthen die Chance gewittert, hier die Führung innerhalb der Partei zu übernehmen?
Ja. Das bedeutet aber nicht, dass er die Partei damit auf seine Linie gebracht hat. Der Flügel ist nach wie vor stark und in seinen Ansichten innerhalb der Partei wohl auch mehrheitsfähig. Das weiß auch der Verfassungsschutz und zieht die Überwachung daher auch durch.
Und wer wird sich am Ende innerhalb der AfD durchsetzen?
Das ist noch nicht absehbar. Jörg Meuthen gewinnt vielleicht den nächsten Schachzug, wenn es um den Ausschluss von Andreas Kalbitz geht, aber das Spiel ist noch lange nicht vorbei. Jeder wartet auf den nächsten Schachzug der Gegenseite. Das ist ein langanhaltender Machtkampf. Die AfD wird auch deshalb ihren eigenen Weg des Niedergangs weiter fortsetzen.
Das zeigt sich auch in den Umfragen. Die Partei rutschte zuletzt einige Prozentpunkte ab…
Das ist ein weiterer Grund, der die Partei in Bedrängnis bringt. Möglicherweise kommt es zu einer Abspaltung von Teilen der Partei, denn der Flügel schlägt nach wie vor und wird das nicht einfach so hinnehmen, dass eines ihrer prominentesten Mitglieder aus der Partei ausgeschlossen wird. Man darf nicht vergessen, wie wichtig der Flügel für die Partei ist. Ohne ihn wäre die AfD kaum noch etwas.