Landete mit ihrem Buch über Rassismus in der Top 5 der "Spiegel"-Bestsellerliste: Journalistin und Autorin Alice Hasters. Bild: www.imago-images.de / Malte Ossowski/SVEN SIMON
Interview
Autorin Alice Hasters: Rassismus in Deutschland "lässt sich nicht mehr ignorieren"
Die Autorin Alice Hasters war überrascht von den Protesten nach dem Tod von George Floyd vor fünf Monaten. Wie die anschließende Debatte Deutschland verändert hat, erzählt sie im Interview mit watson.
Am 15. Oktober 2020 wäre George Floyd 47 Jahre alt geworden. Doch so weit kam es nicht, stattdessen starb er genau vor fünf Monaten, am 25. Mai im Alter von 46 Jahren. Millionen von Menschen sahen das Video, in dem gezeigt wurde, wie ein amerikanischer Polizeibeamter acht Minuten und 46 Sekunden auf seinem Hals kniete und den Schwarzen George Floyd damit tötete.
Am Todestag von George Floyd, fünf Monate nach den Protesten in den USA, wollte watson von Alice Hasters wissen, was von dem Zorn und der medialen Aufmerksamkeit geblieben ist, die den Tod von George Floyd begleiteten und die Black-Lives-Matter-Bewegung nach Deutschland brachte.
Alice Hasters hat eines der meistgelesenen Bücher zum Thema Rassismus in Deutschland geschrieben. "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten" rangierte mehrere Wochen in den Top 5 der "Spiegel"-Bestsellerliste. Sie erklärt darin anhand persönlicher Erlebnisse, dass Rassismus nicht nur in den USA ein beherrschendes Thema ist, sondern sie, auch hier in Deutschland, immer noch strukturellen Rassismus erlebt.
"Menschen, die zuvor gesagt haben, dass sie von Rassismus in Deutschland nichts wussten, können das heute nicht mehr behaupten."
watson: Vor fünf Monaten starb George Floyd in den USA. Weltweit regten sich Proteste und eine Rassismus-Debatte, die auch Deutschland erreicht hat. Hatten Sie das damals erwartet?
Alice Hasters: Als jemand, der schon lange die Black-Lives-Matter-Bewegung verfolgt, habe ich nicht damit gerechnet, dass der Tod von George Floyd so massive Proteste auslösen würde. Das Thema ist ja nicht neu: Das war bei Weitem nicht das erste Mal, dass ein Schwarzer Mensch in den USA von der Polizei getötet wurde und es auf Videos zu sehen war. Dagegen gehen schon seit 2012 Menschen auf die Straße. Dass dieser Anlass jetzt so massive Proteste ausgelöst hat, hat mich überrascht.
Was ist Ihre Erklärung dafür?
Es scheint hier etwas passiert zu sein, das dazu führt, dass Menschen dieses Video von George Floyds Tod geschaut und anders reagiert haben als bisher. Das kann zum einen an der Corona-Pandemie gelegen haben, dass deswegen vermehrt über soziale Ungerechtigkeit gesprochen wurde. Hier in Deutschland kommt aber noch etwas anderes hinzu: Die Attentate in Halle und Hanau sowie der Mord an Walter Lübcke haben gesellschaftlich etwas ausgelöst. Der Diskurs über Rassismus ist breiter geworden. Wir können nicht nur in die USA schauen und sagen, dass es dort so schrecklich sei. Sondern wir müssen uns auch mit dem Rassismus hier beschäftigen.
Welche Fehler wurden vorher in der Debatte um Rassismus in Deutschland gemacht?
Ich hatte lange das Gefühl, dass der Umgang mit Rassismus in Deutschland vom Versuch geprägt ist, das Thema zu umschiffen und so zu tun, als ob es nichts mehr zu sagen gibt. Es wurde ignoriert. Nach den Protesten und Demonstrationen in diesem Sommer lässt es sich aber nicht mehr ignorieren. Menschen, die zuvor gesagt haben, dass sie von Rassismus in Deutschland nichts wussten, können das heute nicht mehr behaupten.
Könnte es nicht aber auch sein, dass das Thema nach dem großen Medienhype wieder in der Versenkung verschwindet?
Ich würde mir wünschen, dass das Thema bestehen bleibt. Rassismus ist nichts, was wir in ein paar Jahren besiegt haben und dann vorbei und erledigt ist. Das Thema wird nicht abgehakt sein. Rassismus muss immer wieder thematisiert werden und auch als Teil der öffentlichen Debatte bestehen bleiben.
"Man versucht, den Rassismus-Diskurs in eine ganz andere Richtung zu lenken, die sich am Ende wieder nur um die Befindlichkeiten von weißen Menschen dreht oder Rassismus relativiert."
Es ist auch ein unbequemes Thema. Tun wir uns in Deutschland schwer damit, die Tatsache zu akzeptieren, dass Weiße bevorzugt werden?
Natürlich. Wenn es anders ist, fällt das auf. Wenn eine Bahn-Werbung beispielsweise mehrere nicht-deutsch aussehende Menschen zeigt, regt sich der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer darüber auf und fragt, welche Gesellschaft das abbilden solle. Es regt sich Widerstand.
Hier stellt sich aber auch die Frage, inwieweit Boris Palmer wirklich für die Gesellschaft spricht oder nur meint, für sie zu sprechen…
Na klar. Boris Palmer ist natürlich ein Populist. Aber auch das ist Teil des Problems. Die Debatte wird "derailed" oder es wird "Whataboutism" benutzt. Man versucht, den Rassismus-Diskurs in eine ganz andere Richtung zu lenken, die sich am Ende wieder nur um die Befindlichkeiten von weißen Menschen dreht oder Rassismus relativiert.
Medien prägen die öffentliche Debatte. Sie sind selbst Journalistin, inwiefern ist das auch ein Problem, dass es zu wenige Schwarze Menschen in den Redaktionen gibt?
Der Journalismus ist definitiv zu weiß. Das ist ganz objektiv so. Auch an Journalistenschulen stimmt die Quote von nicht-weißen Menschen überhaupt nicht.
Wird genug dagegen getan aus Ihrer Sicht?
Ich glaube schon, dass das in manchen Redaktionen bemerkt wird, aber auch dort gibt es sehr unterschiedliche Reaktionen auf diesen Umstand. Manche reagieren darauf sehr behäbig, andere suchen auf einmal nicht-weiße Journalisten und Journalistinnen. Jene nicht-weißen Journalisten und Journalistinnen, die schon lange da sind, versuchen den Mangel an nicht-weißen Stimmen in den Redaktionen zu kompensieren, was aber nicht wirklich funktioniert. Wenn zum Beispiel eine Schwarze Sportjournalistin plötzlich Rassismus-Expertin der Redaktion sein soll, ist das nicht sinnvoll. Nicht alle, die von Rassismus betroffen sind, sind auch Expertinnen auf diesem Gebiet.
"'Black Panther' war für die Diskussion sehr wichtig."
Was würde wirklich dagegen helfen?
Man muss die Strukturen und Erzählweisen ändern und sich fragen, wie begreifen wir Dinge? Welche Objektivität vermitteln wir? Das Problem ist zum Beispiel, dass eine nicht-weiße Perspektive nicht als die neutrale Perspektive gesehen wird.
Auch in Filmen. Sie haben das auch selbst erfahren. Sie haben in jungen Jahren geschauspielert und wurden aber nur für eine bestimmte Art Rolle besetzt…
Ja. Schwarze Menschen werden immer für Nebenrollen gecastet. Die Geschichten werden aus der Sicht weißer Charaktere erzählt. Was man als Schwarzer Mensch von Kind an lernt, ist, "es geht nicht um dich". Die geläufigen Filme und Bücher sind nicht aus meiner Perspektive geschrieben. Ich komme nur als Nebenrolle vor. Und das prägt auch weiße Menschen in ihrer Sicht auf die Welt. Da wird unbewusst eine Selbstverständlichkeit etabliert, die weiße Menschen bevorzugt. Das müssen wir alle verstehen und wieder verlernen.
Mit der Verkörperung des Schwarzen Superhelden Black Panther setzte sich Chadwick Boseman ein eigenes Denkmal. Im vergangenen August starb er mit 46 Jahren an Krebs. Bild: Getty Images Europe / Tim P. Whitby
Wie wichtig sind hierfür Filme wie der Superheldenfilm "Black Panther", der aus einer Schwarzen Perspektive erzählt wird und in dem ein Schwarzer Protagonist die Welt rettet?
"Black Panther" war für die Diskussion sehr wichtig und ich persönlich mag ihn auch sehr. Allein schon die Prämisse des Films: Was wäre, wenn es ein Land in Afrika gäbe, das nicht kolonialisiert worden wäre? Das stellt die weiße Vorherrschaft und die Geschichte der Versklavung auf den Kopf. Diese Idee zu diskutieren, war wahnsinnig wohltuend für mich.
In Ihrem Buch "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten" erzählen Sie auch von Ihrer ganz persönlichen Erfahrung mit Alltagsrassismus. War das für Sie schwer, sich damit auseinanderzusetzen?
Das war schwierig, aber ich hatte auch das Gefühl, dass Storytelling sehr hilfreich dafür ist, um in der Gesellschaft eine Sensibilität für das Thema zu entwickeln. Außerdem war es notwendig für mich, um das Buch überhaupt schreiben zu können. Wäre es nicht schwierig gewesen, mich mit meinen eigenen Erfahrungen auseinanderzusetzen, dann wäre es nicht gut geworden. Sich selbst verwundbar zu machen, ist Teil des kreativen Prozesses. Und das Gute ist, dass es zum großen Teil aufgegangen ist. Ich bekomme viel positive Resonanz dazu.
"Wichtig ist, Verantwortung zu übernehmen und zu verstehen, welche Privilegien man als weiße Person hat."
Kam auch aus Ihrem persönlichen Umfeld Rückmeldung? Etwa, dass es Menschen leid tut, dass Sie sie mit bestimmten Äußerungen verletzt haben oder ihnen nicht bewusst gewesen ist, dass bestimmte Äußerungen rassistisch waren?
Als ich angefangen habe, darüber zu schreiben, war mein erweiterter Freundeskreis und auch der weiße Teil meiner Familie (Alice Hasters Vater ist weiß, Anm. d. Red.) ein bisschen nervös (lacht). Ich habe in jedem Fall gemerkt, dass sich Ansichten in den darauffolgenden Diskussionen geändert haben, aber ich habe sehr selten erlebt, dass jemand sich entschuldigt oder erklärt hat, dass er Dinge jetzt anders machen würde.
Was würden Sie weißen Menschen raten, die Schwarze Freunde unterstützen möchten?
Ich würde empfehlen, nicht zu versuchen, die Erfahrungen, die Schwarze Menschen machen, mit eigenen Erfahrungen zu vergleichen. Das ist nicht hilfreich. Es bringt auch nichts, als weiße Person so zu tun, als ob man ganz anders ist als andere weißen Personen. Was hilft, ist, Empathie zu haben und sich nicht persönlich angegriffen zu fühlen, wenn ich mich als Schwarzer Mensch über weiße Menschen und Rassismus aufrege. Wichtig ist, Verantwortung zu übernehmen und zu verstehen, welche Privilegien man als weiße Person hat.
Inzwischen gefragter Gast: Alice Hasters (l. u.) bei der Aufzeichnung des Kölner Treffs.Bild: www.imago-images.de / Malte Ossowski/SVEN SIMON
Ihr Buch war zwischenzeitlich in den Top 5 der "Spiegel"-Bestsellerliste. Hatten Sie damit gerechnet, als Sie es geschrieben haben?
Niemand hat damit gerechnet, dass das ein Bestseller wird. Es ist nicht so, dass alle darauf gewartet haben, dass ich ein Buch schreibe (lacht). Als das Buch 2019 erschienen ist, ist der Verlag, genauso wie ich, mit nicht so hohen Erwartungen reingegangen. Es ist echt krass zu sehen, was jetzt daraus geworden ist.
Ein großes Thema war in den vergangenen Wochen auch die Besetzung der deutschen Talkshows und der Anteil von People of Colour in den Runden. Werden Sie inzwischen häufiger angefragt für Talkshows?
Na klar. Vorher wusste ja auch niemand, wer ich bin. Ich war jetzt einmal bei "Anne Will" und einmal im "Kölner Treff". Es ist aber nach wie vor so, dass Talkshows meist auf die bekannten, meist weißen, männlichen Gesichter setzen.
Kinderlose Katzen-Lady? Harris hat eine klare Botschaft an die Trump-Republikaner
"Ich möchte etwas klarstellen", sagt eine junge Frau und schaut auf ihre Notizen. Sie zitiert eine Aussage von Donald Trump, der erneut für das Weiße Haus kandidiert: "Einige US-Staaten töten Babys nach der Geburt". Sie blickt auf. Vor ihr sitzt die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris, kopfschüttelnd und mit hochgerissen Augenbrauen.