watson: Wann haben Sie das letzte Mal an einem Joint gezogen, Herr Blienert?
Burkard Blienert: Cannabis hat mich nie gereizt.
Sie können den Hype um Gras also nicht nachvollziehen?
Ich kann nachvollziehen, dass Menschen vieles ausprobieren und konsumieren wollen.
Mitte Oktober kam das geplante Cannabisgesetz im Bundestag in die erste Lesung. Es geht voran. Warum hat die Cannabisfreigabe so lange gedauert?
Aus meiner Sicht hat sie gar nicht so lange gedauert.
Nicht?
Es ist ein komplexes Gesetzesvorhaben, an dem viele beteiligt waren und noch sind. Wir haben eine konzentrierte und intensive Debatte mit vielen Akteuren geführt und aus den Eckpunkten ist ein umfangreicher Gesetzentwurf entstanden.
Eine umfassende Legalisierung ist das Gesetz nicht. Sind sie trotzdem zufrieden?
Wir betreten absolutes Neuland. In Deutschland und mit dem Blick auf das Europa- und Völkerrecht. Auch deshalb ist es klug, die Legalisierung in zwei Säulen aufzuteilen. Jetzt kümmern wir uns um die erste Säule – und die ist für viele schon diskussionsbedürftig genug. Mit der zweiten Säule jedoch wird das Haus erst komplett, denn dann geht es um Modellregionen und lizensierte Fachgeschäfte.
Anders als THC-haltiges Cannabis sind ebenso high machende HHC-Produkte nach wie vor erhältlich – und zwar nicht nur in Fachgeschäften.
HHC ist relativ neu – auf einem Drogenmarkt, der sehr dynamisch ist. Wir müssen diese Entwicklungen aufmerksam im Blick behalten: Wie groß ist die Verbreitung, wie hoch das Risiko? Wir schauen auch, welche Erkenntnisse andere EU-Länder mit dem Stoff sammeln.
Sie beobachten also die Situation und entscheiden dann, ob es verboten wird?
Ja.
In Berlin gibt es mittlerweile die Möglichkeit, Drogen testen zu lassen. Welche Rückschlüsse ziehen Sie aus diesem Pilotprojekt?
Der Zuspruch ist in Berlin hoch, es ist eine gute Möglichkeit, um auf mögliche Gesundheitsgefahren durch gestreckte Drogen hinzuweisen. Drug-Checking ist eine wichtige Präventionsmaßnahme, es dient letztlich der Schadensminimierung und kann sogar Leben retten. Vor der Sommerpause hat der Bundestag geklärt, dass solche Angebote bundesweit kommen können – das war ein enorm wichtiger Schritt. Ich hoffe, dass die Bundesländer diese Möglichkeit nun auch nutzen. Denn das ist eben keine Einladung zum Konsum, wie manche meinen.
Sondern?
Es führt zu mehr Aufklärung, bewussterem Konsum, letztendlich zu mehr Gesundheitsschutz.
Wollen Sie die Erkenntnisse auch für eine ausführlichere Präventionsarbeit an Schulen nutzen?
Schon jetzt richtet sich die Präventionsarbeit in Schulen nicht danach, was legal und was illegal ist. Wenn Prävention stattfindet, wird über Drogen im Allgemeinen gesprochen – und exemplarisch über Substanzen, die weit verbreitet sind. Etwa auch Cannabis.
Aber?
Dazu müssen die Länder bereit sein und Ressourcen bereitstellen. Und es braucht nicht nur in Schulen mehr Präventionsangebote, sondern auch in Sportvereinen und Jugendclubs. Dafür ist die jetzt laufende Debatte über Cannabis ebenfalls wichtig und eine gute Chance.
Warum?
Wir sprechen mehr über Prävention. Und über die Wirkung von Werbung. Für mich ist klar: Wir würden in Prävention und Jugendschutz besser werden, wenn wir ein allgemeines Werbeverbot für alle Drogen hätten. Das gilt ebenfalls für Influencer-Marketing.
Influencer bewerben unter anderem Vapes, diverse Rapper:innen glorifizieren in ihren Songs unterdessen den Konsum von etwa Tilidin. Die Fans sind häufig jung. Bräuchte es mehr Aufklärung darüber, was das Besungene eigentlich bedeutet?
Sobald ein Text jugendgefährdend ist, weil er etwa den Drogenkonsum verharmlost oder verherrlicht, gehört die Auseinandersetzung damit mit in die Debatte hinein. Das würde sich auch nicht gegen die Kunstfreiheit – die ein ebenso hohes Gut ist – richten.
Zurück zu Vapes: Wie blicken Sie auf die bunten Plastik-Glimmstängel?
Wenn Nikotin mit im Spiel ist, kann das der Einstieg in die Abhängigkeit sein. Es gibt zwar auch Vapes ohne Nikotin, aber auch hier besteht die Gefahr, dass junge Menschen anfangen zu rauchen. Wir müssen klare Grenzen ziehen und Verbote für Nicht-Nikotin-Produkte aussprechen. Die Einweg-E-Zigaretten wird es ab 2027 nicht mehr geben.
Sie setzen sich dafür ein, dass es Werbeverbote für Alkohol, Tabak und Glücksspiel geben soll. Was genau erhoffen Sie sich davon?
Je natürlicher für Produkte geworben werden kann, desto eher sinkt die Hemmschwelle, etwas auszuprobieren. Das gilt für Alkohol und Tabakprodukte gleichermaßen. Durch breite Zigaretten-Auslagen an Supermarktkassen wird Kindern und Jugendlichen suggeriert, dass Rauchen zum Leben dazugehören würde. Das muss sich ändern.
Das heißt, sie fordern Fachgeschäfte für Alkohol und Tabakprodukte?
Das wäre ein Ansatz. Auch im Bereich Werbung und Sponsoring gibt es noch zahlreiche Lücken, die ich schließen will. Der gesellschaftliche Umgang mit Alkohol ist zu selbstverständlich, hier sind Jugendliche nur unzureichend geschützt. Unter 18 Jahren sollten Drogen für Kinder und Jugendliche verboten sein. Auch Alkohol.
Haben wir ein gestörtes Verhältnis zu Alkohol?
Die Sichtbarkeit und Verfügbarkeit von Alkohol in unserer Gesellschaft zeichnen ein erschreckendes Bild. Wir haben bundesweit ein Problem.
Wie meinen Sie das?
Acht Millionen Menschen in Deutschland haben ein riskantes Trinkverhalten, 1,4 Millionen leiden an einer Alkoholsuchtabhängigkeit. Das sind erschreckende Zahlen, auch für unser Gesundheitssystem. Davor können wir die Augen nicht länger verschließen.
Kritiker:innen der Cannabis-Freigabe machen oft genau das: Gras ist eine Droge, Alkohol Kulturgut.
Gegen irreführende Denkmuster muss man gegenhalten. Legal heißt eben nicht gesund und umgekehrt. Was die Risiken für Suchtverhalten angeht, ist klar: Legale Drogen wie Alkohol und Tabak verursachen in der Gesellschaft neben dem menschlichen Leid einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe.
Statt auf Prohibition wollen Sie nun auf Gesundheitsschutz setzen.
Es hat sich gezeigt, dass ein Verbot von Cannabis die Menschen nicht vom Kiffen abhält, im Gegenteil. Darum stellen wir nun den Gesundheitsschutz in den Mittelpunkt. Dazu gehören auch Hilfsangebote und Beratungen, für jene, die konsumieren wollen.
Vertreter:innen aus der akzeptierenden Drogenarbeit fordern die Entkriminalisierung auch von harten Drogen. Können Sie sich vorstellen, diesen Schritt zu gehen?
Wir sind am Beginn einer Debatte, auf dem Weg zu einer neuen Drogenpolitik, die mehr Gesundheitsschutz bei den Fragen von Drogenkonsum und Süchten einfordert. Dafür haben wir erste Maßnahmen beschlossen. Jetzt haben wir noch zwei Jahre, um weitere hilfreiche Maßnahmen umzusetzen: Dazu zählen Prävention, Werbeverbote, kontrollierte Cannabisabgabe und Drug-Checking. Ich werbe zudem für Drogenkonsumräume in ganz Deutschland. Klar ist: Die Verbotspolitik ist gescheitert.
Es gibt also vor diesem Schritt noch einiges zu tun?
Das ist ein weites Feld. Ich werde auch nach der Cannabisfreigabe neue Herausforderungen angehen. Welche, werden wir dann sehen.