XR-Aktivistin Annemarie Botzki (rechts).Bild: Oliver Feldhaus
Interview
11.10.2019, 12:4125.10.2019, 10:27
Sie stehen auf gegen das Aussterben. Die Klimaaktivisten von "Extinction Rebellion" – kurz XR. Ihre Botschaft: Die Klima-Apokalypse droht. Uns rennt die Zeit davon. "Dürre, Brände, Stürme, Überschwemmungen, Krieg, Massenmigration. Es ist Zeit zu handeln", alamieren die Aktivisten in ihrem Aufruf.
Vor einem guten Jahr in London entstanden, gehen die Aktivisten der Extinction Rebellion heute weltweit auf die Straßen. Mitmachen kann im Grunde jeder, der die zehn Grundprinzipien der Bewegung befolgt. In dieser Woche legten die Rebellen mit mehreren, tagelangen Aktionen den Verkehr in Berlin teilweise lahm. Auch am Freitag wollen sie weiter Straßenbereiche blockieren. Im Gegensatz zur Fridays-for-Future-Bewegung setzen sie dabei auch auf den zivilen Ungehorsam.
Radikal aber sind nicht die Sitzblockaden, sondern ist die Systemfrage, die die Aktivisten stellen. Ihre Argumentation: Weil die Klimakrise so grundsätzlich ist, muss das bestehende System eben grundsätzlich hinterfragt werden. Denn: Die Klimafrage ist so fundamental, dass die derzeitigen Institutionen darauf gar keine Antwort geben können.
Was aber heißt das? Und wie ist es um das Demokratieverständnis dieser Bewegung gestellt? Ein Gespräch mit Annemarie Botzki vom Presseteam der Extinction Rebellion in Deutschland.
Seit Montag versucht ihr, Berlin zu blockieren. Zufrieden mit den Aktionen?
Annemarie Botzki: Sehr. Tausende Menschen aus ganz Deutschland, aber auch aus Schweden, Polen, oder Dänemark unterstützen uns. Auch Familien mit Kindern sind dabei. Wir sind extrem schnell gewachsen. Und wir haben gezeigt, dass wir bereit sind, in den zivilen Ungehorsam zu gehen. Wir setzen damit die Regierung unter Druck.
Am Montag (08.10.2019) besetzte die XR den Großen Stern in Berlin.imago images/Bildgehege
Ihr könntet ja auch "normal" demonstrieren, eine Partei gründen oder einer beitreten, also den Weg über demokratische Institutionen gehen, statt auf illegale Aktionen zu setzen…
Wir haben doch in den letzten Jahren gesehen, dass es nicht mehr ausreicht, nur zu demonstrieren oder Petitionen zu unterschreiben. Auch die Parteien, die mit großen Zielen angetreten sind, haben kaum etwas erreicht. Wir steuern voll auf die Klimakatastrophe zu. Ich kann wirklich nur noch mal empfehlen, sich die letzten Studien zu der 4-Grad-Erwärmung anzuschauen. 4 Grad heißt, Milliarden von Menschen sterben, es gibt kein Essen mehr, eine geordnete Gesellschaft ist nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Klingt nach Untergang…
Das sagen führende Wissenschaftler. Und es gibt halt Klimakipppunkte, die unumkehrbar sind. Das wird komplett von der Regierung ignoriert. Die Klimapakete sind ein Witz. Wir fordern die Regierung auf, dass sie sofort den Klimanotstand ausruft und diese dramatische Situation dadurch deutlich macht. Die Geschichte hat gezeigt, dass der Weg des zivilen Ungehorsams das effektivste Mittel ist. Rechte wurden nicht einfach gegeben, sondern erkämpft. Beim Frauenwahlrecht oder der Bürgerrechtsbewegung in den USA zum Beispiel.
Annemarie Botzki ist ...
32 Jahre alt, Umweltaktivistin und Gründerin (Solar StartUp Rocsun), studierte Sozialwissenschaft, Europäische Politik und Umweltmanagement und arbeitete als Energie-Reporterin in Brüssel und London.
Ihr rebelliert gegen das Aussterben. Geht es nicht eine Nummer kleiner?
Es geht um das massenhafte Austerben von Tierarten, das derzeit stattfindet, aber auch um das Überleben der Menschheit. Wir wollen den Menschen keine Angst machen, aber Studien und Wissenschaftler auf der ganzen Welt sagen, dass wir es mit einer ernsten Bedrohung für die Menschheit zu tun haben. Die Situation ist schon sehr emotional aufgeladen, weil man um die Situation weiß und so eine Ohnmacht verspürt. Unsere Strategie ist es, diese Hoffnungslosigkeit in Aktionen umzuwandeln. Und wir können jetzt nicht mehr ignoriert werden.
Die Sanduhr, das Symbol der Rebellen.Bild: www.imago-images.de
Extinction-Rebellion-Mitgründer Roger Hallam spricht von "der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte", glaubt an die baldige Auslöschung der Menschheit. Damit kann man letztlich jedes Mittel rechtfertigen.
Wir haben klare Grenzen und sind komplett gewaltfrei. Wir wollen auch nicht weniger, sondern mehr Demokratie. Das Problem ist doch: Unser System ist gar nicht für die Klimakatastrophe ausgerichtet. Die Regierung kann in diesem Wahlzyklus auf die generationenübergreifenden Herausforderungen des Klimawandels im Grunde gar nicht reagieren. Wir brauchen eine große Transformation in der Gesellschaft.
Wie soll die aussehen?
Über die konkreten Maßnahmen soll eine Bürger*innenversammlung entscheiden. Dafür sollen Menschen per Losverfahren ausgewählt werden. Damit können wir dann auch die Spaltung der Gesellschaft, wie wir sie gerade erleben, überwinden. Und wir arbeiten auch nicht gegeneinander, wie das im Parteiensystem oft passiert, sondern miteinander. Es geht um eine Repräsentation aller in diesem Prozess.
Noch einmal zurück zu dem Mitgründer eurer Bewegung, Roger Hallam. Er sagt auch, dass das Thema Klimawandel größer sei als die Demokratie. Und: "Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird Demokratie irrelevant." Teilt ihr dieses Demokratieverständnis?
Nein. Wir sind die Extinction Rebellion in Deutschland, die Bewegung ist dezentral. Wir wollen mehr Demokratie, mehr Bürgerbeteiligung. Es hat sich in den letzten 30 Jahren gezeigt, dass die Strukturen, die wir haben, unfähig sind, eine Antwort zu finden auf diese Katastrophe. Und damit erzeugen sie selbst faktisch eine massive Gefahr für die Demokratie. Autoritäre Kräfte sind gut darin, Krisensituationen auszunutzen. Genau das wollen wir verhindern. Wir müssen als Gesellschaft gemeinsam und solidarisch Antworten auf die Krise finden.
Das fordern die Rebellen:
1. Die "Wahrheit": Die Regierung soll die existenzielle Bedrohung der ökologischen Krise offenlegen und den Klimanotstand ausrufen.
2. Klimaneutralität bis 2025: Außerdem soll das Artensterben gestoppt werden und "der ökologische Raubbau mit allen Mitteln eingedämmt und – wenn möglich – wieder rückgängig gemacht werden".
3. Bürgerversammlungen aus zufällig ausgewählten Männern und Frauen: Diese Form direkter Demokratie soll neben den Parlamenten helfen, den Kampf gegen die Erderhitzung voranzubringen – weil diese Zufallsbürger nicht nur bis zur nächsten Wahl denken, sondern das Ganze im Blick haben sollen.
Das heißt, ihr distanziert euch von den demokratiefeindlichen Aussagen eures Mit-Gründers?
Das tun wir. Hallam hat außerdem gar nicht im Kontext der Bewegung gesprochen, sondern in einem anderen Bezug. Von daher kann man diese Aussagen auch nicht den Extinction Rebellen zuordnen.
Sie mögen es morbide: Ein X-Rebell vor dem Großen Stern in Berlin.Bild: imago images/photothek
Aber er ist ja auch Gesicht dieser Bewegung…
Die hat aber keine hierarchischen Strukturen. Es kommen keine Vorgaben aus England oder von irgendjemandem. Wir entscheiden selber, dezentral. Wir haben beispielsweise über 100 Ortsgruppen in Deutschland und wer sich an unsere zehn Prinzipien und die drei Forderungen hält, kann mitmachen und Aktionen planen.
Wie ist das mit Rechten?
Wir dulden in der Bewegung keinen Rassismus oder Sexismus, das ist durch unsere Prinzipien ausgeschlossen.
Ganz konkret: Kann jemand von der AfD bei euch mitmachen?
Wer Mitglied bei der AfD ist, unterstützt Positionen und Forderungen, die mit unseren Prinzipien nicht vereinbar sind, und ist damit bei uns nicht willkommen.
Extinction Rebellion
Die Frage ist ja, wie sich eine junge Bewegung gerade vor einer Einflussnahme von extremer Seite schützt. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass eine politische Bewegung unterwandert werden würde…
Bisher haben wir keinen Grund zu befürchten, dass wir unterwandert sind. Wir haben Vertrauen in unsere Strukturen. Um das auch in Zukunft zu verhindern, werden wir uns in der kommenden Reflexionsphase genau damit verstärkt auseinandersetzen.
Sie üben den Aufstand gegen das Aussterben am Großen Stern in Berlin.Bild: imago/ snapshot-photography/K.M.Krause via www.imago-images.de
Was habt ihr außer Protest zu bieten? Ihr bietet ja keine Lösungen an. Auf eurer Homepage heißt es: "XR hat die strategische Entscheidung getroffen, keine konkreten Vorschläge zu unterbreiten, wie die Klima- und Umweltkrise zu lösen ist."
Doch. Wir geben keine konkreten Maßnahmen vor, aber wir fordern einen bestimmten Prozess, mit der Situation umzugehen. Wir sagen, wir brauchen die Bürgerinnen und Bürger dafür. In einer Bürger*innenversammlunge sollen dann Expert*innen sprechen. Sie sollen alle auf den Stand der Wissenschaft bringen, die Bürger schulen, dass sie sehr weise und vorausschauende Entscheidungen treffen können. Mit einer solchen Bürgerversammlung können sich die Menschen dann auch besser identifizieren, weil dort keine Berufspolitiker sitzen, die nach ihrem Politikerleben in die Wirtschaft gehen. Dadurch, dass jeder über das Losverfahren ausgewählt werden kann, schafft man auch eine andere Zufriedenheit und mehr Beteiligung.
Was, wenn die Mehrheit in dieser Bürgerversammlung dann trotzdem gegen radikalere Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel stimmt?
Wir sehen es auch als unsere Aufgabe als Bewegung, den gesellschaftlichen Diskurs so weiterzudrehen, dass faule Kompromisse nicht mehr akzeptiert werden. Wir werden weiter Druck machen, bis alle unsere Forderungen – d.h. auch die Klimaneutralität bis 2025 – erfüllt sind.
Wenn also nicht das rauskommt, was ihr wollt, dann geht der Protest weiter? Klingt, als sei die Bürgerversammlung nur eine Art Feigenblatt, wenn sie nur dafür da ist, eure Ziele umzusetzen…
Die Bürgerinnenversammlung ist nicht nur Mittel zum Zweck. Die Leute müssen ertsmal verstehen, worum es geht. Wir müssen die Treibhausgase so schnell wie möglich auf null senken. Das Problem ist ja nicht nur die Klimakatastrophe, sondern es ist auch ein Problem der Strukturen, die keine Lösungen dafür bieten.
Das heißt Demokratie, so wie wir sie kennen, ist euch zu langsam?
Das heißt, dass die Demokratie erweitert werden muss. Das Problem ist nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Verstrickung von Politik und Wirtschaft. Das gehört mit zu dem, was wir "toxisches System" nennen und überwinden wollen.
Was ist denn mit Menschen, die um den Ernst der Lage wissen, aber vielleicht diesen Wandel gar nicht wollen. Haben die nicht auch ein Recht auf Untergang?
Es ist ja nicht so, dass alle Menschen das für sich allein entscheiden könnten. Auf einer Blockade heute hatten wir die große Aufschrift "Wir sitzen alle in einem Boot". Es geht dabei auch um globale Gerechtigkeit. Die, die zuerst betroffen sind, sind die im globalen Süden. Es geht also auch um die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Zudem hat der Staat doch klar im Grundgesetz die Verantwortung für die künftigen Generationen verankert.
Rebellion beginnt beim Haaransatz.Bild: imago images/Christian Spicker