CDU und CSU haben seit Längerem ein Problem: Junge Menschen wählen sie nicht besonders oft. Das zeigen Wahlanalysen wie nach der Europawahl 2019, das belegen Umfragen unter jüngeren Menschen. Die Unionsparteien tun sich außerdem in vielen Großstädten schwer – und besonders in den deutschen Metropolen Berlin, Hamburg und München. Und dass CDU und CSU weiblicher werden müssen, sagen Politiker von Angela Merkel über Annegret Kramp-Karrenbauer bis Markus Söder seit Jahren.
Jenna Behrends ist 30 Jahre jung, sie lebt in Berlin – und sie ist eine der lautesten Stimmen der Partei in der Familienpolitik. Sie sitzt für die CDU in der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Mitte. Behrends wurde bundesweit bekannt, als sie 2016 in einem Gastbeitrag für das Online-Frauenmagazin "Edition" F Sexismus in der Hauptstadt-CDU anprangerte und dafür Zustimmung wie Anerkennung, aber auch viel Gegenwind erhielt.
2019 hat Behrends das Buch "Rabenvater Staat" veröffentlicht, in dem sie einen Neustart in der deutschen Familienpolitik fordert – und mehr Anerkennung für den Dienst, den Eltern an der Gesellschaft leisten.
CDU-Politikerin Behrends prangert seit Beginn der Corona-Krise an, wie sehr Eltern und Kinder unter den Folgen der Pandemie leiden. Und sie hält wenig von dem, was die Bundesregierung bisher für Familien getan hat. Warum sie das denkt – und was sich ändern sollte, darüber haben wir mit ihr gesprochen.
Frau Behrends, gerade in den ersten Wochen der Corona-Krise haben Sie auf Ihrem Twitter-Account erschreckende Beispiele dafür aufgelistet, wie junge Familien am Lockdown gelitten haben. Hat der Staat seine Lektion daraus gelernt?
Jenna Behrends: Ich wünschte, es wäre so. Zumindest besteht jetzt große Einigkeit, dass die Schulen im November-Lockdown so lange wie möglich offen gehalten werden sollen. Das ist gut. Aber seit Schulen und Kitas geöffnet haben, sind die Schicksale der Familien wieder in den Hintergrund gerückt. Dabei läuft noch längst nicht alles so gut, wie es sollte.
Wenn man sich anschaut, was die Bundesregierung in der Corona-Krise für die Familien angestoßen hat, sieht das aber gar nicht schlecht aus: Kinderbonus, Kinderzuschlag, Lohnfortzahlung, wenn die Kita schließt. Warum reicht das nicht?
Das sind Schlagworte, die gut klingen. Aber wenn man sich anschaut, was dahintersteht, dann ist keine dieser Maßnahmen ausreichend. Der Familienbonus, das sind nur 300 Euro. Und die fühlen sich für viele Familien an wie Schweigegeld, weil sie monatelang im Stich gelassen worden sind. Bei vielen kommt auch dieses Geld nicht an: Weil es zum Beispiel mit Unterhaltsleistungen verrechnet wird. Und das trifft gerade Alleinerziehende sehr hart, die es im Frühjahr, zu Beginn der Coronakrise, besonders schwer hatten.
Für Sie sind diese Maßnahmen also nur eine Art Trostpflaster.
Ja. Und auch, wenn die Kitas wieder geöffnet haben und Familien zumindest teilweise die Chance haben, wieder ihren Alltag zu managen, bleibt das alte Problem der Kitas: Es gibt zu wenig Betreuerinnen und Betreuer pro Kind. Das rächt sich jetzt besonders, weil es in den Kitas mehr Ausfälle wegen Krankheit oder Quarantänezeiten gibt. Und weil Springer, die solche Leerstellen normalerweise füllen, nicht eingesetzt werden können, da die einzelnen Gruppen möglichst isoliert voneinander sein sollen. Und all das führt dazu, dass viele Kitas verkürzte Öffnungszeiten haben. Gerade für berufstätige Eltern ist das ein großes Problem.
Was müsste die Politik denn besser machen?
Wir brauchen mehr Anerkennung für die Menschen, deren Beruf es ist, sich um Kinder zu kümmern und ihnen Bildung mit auf den Weg zu geben. Das sind schöne, aber unter den derzeitigen Bedingungen auch herausfordernde Berufe. Mich hat da eine Aussage von Familienministerin Franziska Giffey sehr aufgeregt. Sie hat in einem Interview auf die Frage, ob ihr eigenes Lehramtsstudium ihr beim Homeschooling geholfen habe, gesagt: Wenn man einigermaßen zugewandt mit seinen Kindern umgehe und sich mal die Zeit nehme, dann brauche es kein Lehramtsstudium. Das ist die völlig falsche Botschaft! Das widerspricht der Erfahrung vieler Familien, die gemerkt haben, dass es eben nicht so einfach ist. Das, was Lehrerinnen und Lehrer leisten, können Eltern eben nicht so nebenbei zu Hause schaffen.
Es geht Ihnen also um den Ton.
Ja, auch der ist ja wichtig. Uns fehlen Erzieherinnen und Erzieher. Und es gibt kaum eine bessere Investition in die Zukunft als guten Unterricht. Wenn wir wollen, dass junge Menschen diese Berufe ergreifen, dann müssen die attraktiv sein. Und wertgeschätzt werden.
Welche konkreten Schritte würden den Familien aus Ihrer Sicht jetzt helfen?
Berufstätigkeit funktioniert für Eltern nur, wenn die Betreuung der Kinder gesichert ist. Und ich finde es erschreckend, dass der einzige Vorschlag der Bundesregierung jetzt zum Home Office ist. Home Office kann immerhin Fahrzeiten einsparen und eine gewisse Flexibilität ermöglichen – aber die Idee, dass dadurch Kinderbetreuung und Arbeit plötzlich gleichzeitig möglich sind, die ist abstrus. Man kann nicht konzentriert arbeiten und gleichzeitig für ein Kind da sein.
Was würden Sie sich denn statt des Rechts auf Homeoffice wünschen, für das sich Arbeitsminister Hubertus Heil einsetzt?
Die Betreuung muss verbessert werden. Neben mehr Personal brauchen wir endlich den lange angekündigten Rechtsanspruch auf Betreuung für Schulkinder. Ich kann mein sechs- oder siebenjähriges Kind doch nicht mit dem Schlüssel in der Hand nach Hause schicken, wenn der Unterricht schon mittags zu Ende ist. Doch gerade der für 2025 angekündigte Anspruch wird angesichts der Corona-Krise infrage gestellt: Mehrere Ministerpräsidenten wie Markus Söder und Winfried Kretschmann äußerten Bedenken, wie das angesichts der angespannten Finanzlage möglich sein solle. Familien scheinen hier als erstes vom Tisch zu fallen.
Mehr Betreuer in Kitas, Rechtsanspruch auf Ganztagsschulen: Das umzusetzen dauert Jahre. Ist es nicht ungerecht gegenüber den Regierenden in Bund und Ländern, zu fordern, das jetzt in der Corona-Krise schnell umzusetzen?
Kurzfristig müssen die Länder bei den Kitas zum Beispiel entscheiden, ob sie diese für alle Familien beitragsfrei machen, anstatt Gebühren abhängig vom Einkommen der Familie zu erheben – oder ob sie mit dem Geld vom Bund mehr Personal einstellen und die Qualität verbessern. Langfristig können sie natürlich beides anstreben, aber alles gleichzeitig funktioniert nicht. Ich finde, hier sollte die Priorität klar bei guter Betreuung liegen.
In Ihrem 2019 erschienen Buch "Rabenvater Staat" werfen Sie den Regierenden vor, dass die deutsche Familienpolitik immer noch veraltet ist – und dass sie nicht anerkennt, dass Kinder zu erziehen ein Dienst an der ganzen Gesellschaft ist. Warum ist die Lobby für Familien aus Ihrer Sicht so schwach?
Bis heute gibt es noch keine gemeinsame Stimme, die für die Eltern und die Kinder spricht. Das liegt leider auch daran, dass vielen Familien schlicht die Zeit für politische Arbeit fehlt.
Sie arbeiten sich immer wieder an Menschen ab, die Kinder als Privatvergnügen abtun, für die sich Familien eben einschränken müssten. Warum ist diese Argumentation aus Ihrer Sicht so falsch?
Das Wort Privatvergnügen suggeriert ja, dass Kinder so eine Art Hobby wären – wie ein Hund, den ich mir anschaffe. Absolut, Kinder sind ein großes Lebensglück, auch mich erfüllen meine beiden Kinder privat. Aber Kindererziehung bringt der gesamten Gesellschaft ungemein viel. Würden Familien keine Kinder großziehen, dann würde das Rentensystem zusammenbrechen, dann gäbe es keine Innovation im Land. Und diese Arbeit leisten die Familien unentgeltlich. Auch als kinderlose Person kann ich nicht sagen, dass mich das nicht interessiert. Kinderlose sind auch davon abhängig, dass andere Menschen Kinder erziehen. Und ganz nebenbei gesagt zahlen ja auch Eltern Steuern, und gar nicht mal so wenig.
Sie selbst sind jung, weiblich, leben in Neukölln, einem Berliner Bezirk, der in Deutschland wie kaum ein zweiter für Urbanität steht. Und Sie sind CDU-Politikerin. Menschen wie Sie wählen heute kaum mehr Union. Was müssen CDU und CSU ändern, um mehr Menschen wie Sie zu erreichen?
Ein Thema ist die Repräsentanz: Kommen die Themen, die mich in meinem Alltag beschäftigen, in der Politik vor? Für mich ist gerade wichtig, ob ich einen Kitaplatz bekommen, ob die öffentlichen Schulen gut sind – und wie die Lebensqualität hier in Berlin ist. Solche Themen müssen noch mehr nach vorne rücken. Und dafür müssen wir personell breiter aufgestellt sein. Jeder bringt ja in die Politik seine eigene Lebensrealität mit.
Verschiedene Familienmodelle zu akzeptieren, sich für berufstätige Frauen einsetzen: Das war jahrzehntelang nicht die Parteilinie von CDU und CSU. Man hat sich lange vor allem für das traditionelle Familienmodell stark gemacht. Glauben Sie, dass die Zeiten endgültig vorbei sind?
Ja, weil die Gesellschaft sich insgesamt so weit bewegt hat. An der Realität kommt keiner mehr vorbei. Das Modell Hausfrau ist rückläufig. Gelebter Standard ist heute, dass es einen Hauptverdiener und eine Zuverdienerin gibt. Und wer weiß? Vielleicht bewegt sich das noch weiter – und in ein paar Jahren sind beide Elternteile jeweils drei Viertel der vollen Arbeitszeit berufstätig.
Wie viel haben Sie da als junge Unionspolitikerin den anderen Parteien zu verdanken? Für nicht-traditionelle Familienmodelle haben sich ja lange vor allem SPD, Grüne und FDP eingesetzt...
Naja, wenn wir uns anschauen, wer das alles durchgesetzt hat, das Elterngeld, den Rechtsanspruch auf den Kita-Platz, dann kommen diese großen Veränderungen alle von Unions-Familienministerinnen.
Ja, aber die politische Vorarbeit haben andere Parteien gemacht.
Am Ende geht's mir darum, wer die Sachen umsetzt. Und das waren eben Politikerinnen der Union. Und die mussten dahin gar nicht getrieben werden. Angela Merkel hat ja schon vor vielen Jahren gesagt, dass für die Union dort Familien sind, wo Menschen sich um Kinder kümmern. Und das lässt ja vieles offen.
Laut einer Umfrage aus dem Sommer würden 42 Prozent der Erstwähler die Grünen wählen, nur 24 die Union. Lässt sich das wieder ändern?
Dafür mache ich Politik.
Und was muss geschehen, damit Ihre Partei für mehr junge Menschen wieder interessant wird?
Wir sollten mehr darauf schauen, wofür wir stehen und was wir gut können – und nicht so sehr darauf, was andere tun. Wir sind ziemlich gut darin, auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren. Und der CDU stünde es gut, sich wieder darauf zu besinnen. Genau das macht ja eine Volkspartei aus. Es bedeutet, dass wir Menschen aus allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen einbinden, damit sie die Möglichkeit haben, ihre Ideen für ein gutes Leben in die Partei einzubringen.
Und wie überzeugen Sie junge Menschen, die für Klimaschutz auf die Straße gehen?
Bei uns ist Klimaschutz ein riesiges Thema – aber eben nicht das einzige. Wir kümmern uns auch um Themen, die anderen Menschen, vielleicht aufgrund ihrer Lebenssituation, aktuell wichtiger sind. Wir schauen nicht verbissen darauf, wie wir hundert Prozent bei einem Ziel erreichen – sondern wie wir möglichst viel für alle hinbekommen. Denn gerade große Themen brauchen eine breite gesellschaftliche Akzeptanz. In Bezug auf den Klimaschutz sollten wir deshalb stärker auf neue Technologien und Innovationen setzen, statt ständig über neue Einschränkungen nachzudenken. Ich bin mir sicher, dass viele junge Menschen verstehen, dass uns diese Art der Politik langfristig, gerade auch hinsichtlich des Klimaschutzes, weiterbringt.